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Spielen, Gamen, Gamblen

Spielen

„Dem Spieler geht es in erster Linie um die Freude am Spiel, er sieht sich im Spielzusammenhang als Kontrahent einer maschinellen Intelligenz, einer Gruppe von Gegenspielern oder eines Regelsystems, in dem er sich geschickt zurechtzufinden versucht.“ (Matthias Fuchs: Gamen. In: Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Hrsg. von Heiko Christians u.a., Köln 2014, S. 290).

Das beschreibt ziemlich genau den Prozess meines Schreibens vor dem Gedanken an eine mögliche Leserschaft oder Veröffentlichung. In erster Linie will ich einen guten und in sich funktionierenden Text schreiben. Dafür muss ich mich gegen bestimmte Instanzen behaupten, mich selbst, die Sprache und andere Autoren.

Ob ich einen guten Text schreibe, hängt davon ab, wie viel Zeit ich in die Erstellung investiere, aber auch davon, ob ich einen Tag habe, an dem ich konzentriert und motiviert bin. Darüber hinaus sollten meine plot-technischen Planungen aufgehen und den Prozess sicher strukturieren, ohne dass ich an bestimmten Stellen zu viel Zeit verliere, weil ich im Prozess für neue oder revidierende Überlegungen pausieren muss. Ob sich meine Planungen durchsetzen lassen, hängt auch von meinen Sprachkenntnissen ab und damit zum Beispiel davon, wie sich mein Vorhaben grammatisch und syntaktisch umsetzen lässt. Andere Autoren dürfen mich soweit inspirieren, solange ich nicht beginne, sie zu kopieren. Das Schreiben ist ein Spiel, das Kreativität und Flexibilität erfordert, wobei gelegentliche Niederlagen dazugehören und für einen günstigen Verlauf notwendig sind, damit ich alte Methoden durch bessere ersetze.

Gamen

„Gamen verweist aber jenseits der Referenz auf das Spiel auf einen Bedeutungszusammenhang, der von leichtfertiger, entspannter, finanziell interesseloser und sozial eingebetteter Tätigkeit spricht.“ (Matthias Fuchs, a.a.O., S.289)

Das entspricht dem Schreiben, das ich nur zum Selbstzweck ausübe, wenn ich zum Beispiel Tagebuch führe oder kleinere Geschichten beginne. Schreiben kann für mich auch ein einfacher Zeitvertreib sein: Gedanken festhalten, Sorgen, Wünsche, gegenwärtige Assoziationsketten und Ideen für neue Projekte. Andererseits bietet mir das Schreiben die Möglichkeit, in andere Welten abzutauchen, mich von mir selbst zu distanzieren, mich in purer Fiktion zu verlieren, alles zu gestalten, was ich will und mich darüber hinaus selbst zu vergessen. Es bedeutet, inspirierenden Urlaub von der Realität zu nehmen, unabhängig davon, ob ich mit nützlichen Erkenntnissen oder Ergebnissen aus ihm zurückkehre.

Selbst wenn die Tätigkeit an sich in Isolation stattfindet, kann sie Platz in einem sozialen Kontext finden, wenn ich etwa mit anderen Autoren über mein Schreiben spreche oder mir von ihrem Schreiben erzählen lasse. Die Aussage „Ich werde heute Nachmittag schreiben“, ist eine Aussage, für die ich respektiert werde, die Berücksichtigung in der Zeitplanung der anderen findet und für die ich in manchen Fällen auch Bewunderung ernte und vielleicht sogar ein, zwei aufrichtig interessierte Nachfragen erhalte. Die Tätigkeit des Schreibens zeichnet mich als Autor aus und weist mir im sozialen Raum eine entsprechende Rolle (mit Eigenschaften wie intellektuell, sensibel und kreativ) zu. Ich bin also auch Autor, um als solcher von meiner Umwelt wahrgenommen zu werden. Dafür müsste ich nicht eine einzige Zeile geschrieben haben oder meinen Mitmenschen vorlegen. Ein Autor zu sein, bietet bereits genug Gesprächsthemen: darüber, woher ich meine Ideen nehme bis hin zu möglichen Erfolgen auf dem Literaturmarkt.

Gamblen

„Für den gambling man ist es weder die Spielfreude, noch Sichtbarkeit als soziales und spielendes Individuum, sondern das rein private Interesse am Gewinn, das den Spielprozess motiviert.“ (Matthias Fuchs, a.a.O., S.292)

Das Äquivalent hierfür wäre in der Welt des Autors der finanzielle Erfolg durch den Verkauf von möglichst vielen seiner Bücher. Das oberste Ziel eines solchen Autors ist es, Bücher zu schreiben, die sich leicht lesen lassen und eine breite Zielgruppe ansprechen. Er zeichnet sich nicht durch Kreativität und Anspruch aus, sondern durch eine gute Auffassungsgabe in Hinsicht auf Themen und Stoffe, die den jeweils gegenwärtigen Markt wohl am meisten interessieren könnten.

Das soziale Feld, das Feld seiner Leser, zu verstehen, ist das wichtigste Kriterium für sein Vorhaben. Auch hier erkenne ich gewisse Gemeinsamkeiten zu meinem Schreiben, das sich nicht vollkommen am Leserinteresse orientiert, es aber bei der Themenwahl meiner Bücher berücksichtigt. Um mein Leben lang schreiben zu können, ohne dass dieses Schreiben durch notwendige Zweitjobs unterbrochen würde, müsste ich mit meinen Büchern genügend Geld verdienen. Deshalb verstehe ich das Interesse des gambling man, erkläre es aber nicht zu meinem Hauptinteresse. Pures Interesse am Gewinn wäre für mich nicht ausreichend motivierend. Das Schreiben nimmt immense Zeit in Anspruch und gelingt nur dann, wenn es durch sich selbst (und die Freude, die es macht) motiviert ist. Eine vage Vermutung über die Höhe von Verkaufszahlen deckt diese Energien nicht ab.

Rückblick

Schreiben hat für mich in vielfacher Hinsicht eine spielerische Natur, es ist ein ewiges Ausprobieren und Neu-Erfinden. Seine bloße Ausübung belohnt mich genauso wie seine Erzeugnisse. Im Gegensatz zu normalen Videospielen, die ebenfalls einen großen Zeitraum in meiner Freizeit einnehmen, präferiere ich das höhere Maß an Interaktion, das mir das Schreiben zu Verfügung stellt. Bei Videospielen dagegen muss ich mich mit einem kleineren Maß begnügen, um dafür im Gegenzug hübsche Grafiken und prunkvolle Effekte zu erhalten. Im Gegensatz zum Film muss ich beim Gamen und Schreiben keine Ziele erfüllen, ich kann mich gegen einen mir vorgegebenen Plot wehren, eigene Wege einschlagen oder einfach die Fiktion genießen, während ich als Filmrezipient auf vormontierten Schienen vom Anfang bis zum Ende fahre.

Die einzige Entscheidung, die mir bleibt, ist, ob ich ein- oder aussteige. Dennoch sind Videospiele für den Schreibprozess hilfreich, weil ich dort fiktive Strukturen veranschaulicht und räumlich simuliert in Augenschein nehmen kann. Mit Hilfe meiner Phantasie kann ich vorhandene Elemente durch andere austauschen und auf ihren Effekt hin überprüfen. So lässt sich sagen, dass Gamen für mich räumliches Schreiben und Schreiben für mich textliches Gamen ist.

Bild mit freundlicher Genehmigung von lalesh aldarwish