typewriter
“Typewriter” by brett jordan is licensed under CC BY 2.0

Ich schreibe nicht, kann nur tippen

1.Ich schreibe fast nie mit der Hand. Handschriftlich schreibe ich nur Notate, Erinnerungen an mich selbst. Ich schreibe / kritzele sie nieder als Grundlage für etwas, das noch getippt werden muss. Wenn (kausal / temporal) ich ein Autor bin, dann ein tippender Autor, kein schreibender – kein Schriftsteller, eher ein Tipper, ein Tippser. Ich tippe mich heran, ich tippele ungeschickt, lösche, überdenke, arrangiere, kopiere. Ich bin ein Autor, dessen Arbeit in der Suche nach einer Konstanz / einer Konstanten besteht, die über die unaufhörlichen (und viel öfter aufhörlichen) Ausschläge / Aufschläge meiner Fingerkuppen hinausgehen. Mein Tippen ist ein defizitärer Zustand, es bleibt Versuch.

Der Wunsch ist Vater des Gedankens (in) einer Muttersprache, meiner Muttersprache. Die Familienverhältnisse sind kompliziert. Der Geist, dem ich nachspüre / nachschleiche ist mein eigener. Ich bin ein Kind des Problems / problematisches Kind. (In einem Stück Rolf Zuckowskis heißt es: „Tipp-Tapp-Tipp-Tapp-Tippe-Tippe-Tipp-Tapp / Seht mal wie er laufen kann“; es geht um Kinder, die in der Nacht aufwachen, geheimnisvollen Geräuschen in die Küche folgen und den Vater am Kühlschrank überraschen.) Ich suche ruhelos auf der Stelle tippe(l)nd nach einem Zustand der Dauer / Ausdauer – tippe mich an einen Satz heran, der (nur von mir) geschrieben werden könnte.

Per Hand zu schreiben, würde voraussetzen, dass ich beim Schreiben eines Satzes schon weiß, welcher der zweite sein wird, welcher der richtige zweite sein wird und dass der erste der richtige gewesen sein wird. Aber das wissen höchstens meine Finger (Niemand hat sie je fragen können). Ich vertraue auf sie / muss auf sie vertrauen.

 

2.

Ich habe mir meine Nägel vorgestern geschnitten. Sie haben keine weißen Ränder, glaubt man der medizinischen Volksweisheit, leide ich also keinen Mangel an lebensnotwendigen Mineralien. Seit einem Ferienjob als Schüler habe ich an der linken Hand zwei Narben. Mein rechtes Handgelenk ist seit einem Armbruch minimal weniger belastbar als das linke. Ich nutze nur sehr selten Handcreme. All das lässt sich aus diesem Text nicht herauslesen. Das Tippen nivelliert Merkmale. Ich kann voller Elan an die Arbeit gehen, oder zögerlich sein oder mein Arm könnte sogar immer noch gebrochen sein. Das Tippen (englisch für „leicht berühren“) könnte ein Hämmern sein, kein An-stoßen sondern Stoßen, ein schmerzhaftes Anrennen mit dem Kopf durch die weiße Wand. Von nichts davon wären hier Spuren / Beweise zu finden. Ich müsste schon so stark bluten, dass einzelne Tasten der Tastatur nicht mehr funktionstüchtig wären, um ein auch für den Leser merkliches Handicap in den Text hineinzutragen.

Die Blutrünstigkeit / Gefährdung dieses Beispiels liegt nahe, da eine der ersten großen Produzenten von Schreibmaschinen die Firma Remington war. Schreibmaschine und Maschinengewehr: zwei Seiten eines vollgeschriebenen Blatts der Geschichte unserer Gegenwart. Das Maschinengewehr löscht Körper aus, ver-nichtet seriell. Die Schreibmaschine ersetzt die Spur des Körpers. Die Handschrift (die vor Gericht Identitäten und auf Jahrmärkten Seelen entblößt) weicht der Typographie, der Standardisierung.

 

3.

Der Druck auf eine Schreibmaschinentastatur vollzieht automatisch das Zeichen, es ist eine zwingende Beziehung. (Die Vollziehung einer Ehe folgt durch ein Wort: Ja. Die gesprochene Sprache ist affirmativ, ist gegenwärtig. Der Text dagegen verneint die Anwesenheit (s)eines Schöpfers, des Autors; er ist immer schon abwesend. Dieses Durchstreichen positiver Sprache gelangt mit der Software an sein vorläufiges Ende. Die Form verhindert meine Anwesenheit. Den Beweis eines Daseins gibt es nur für den Preis seiner Gewesenheit / Vergangenheit. Literatur wird immer Präteritum sein.) Im semiotischen Sinne fungiert es nicht nur als Buchstabe, Ziffer, Satzzeichen odersoweiter, sondern auch als Index. Indizes verwiesen darauf, dass einmal jemand da war, dass jemand Tasten gedrückt hat(te). Die Referenz als notwendige Bedingung einer vergangenen Gegenwart. Nur glaubt niemand an diese Vergangenheit. Sie ist wie Literatur, die nicht berührt, also keine. Hilft nicht. Maschinengeschriebene Seiten könnten von jedem stammen oder von niemandem. „Wer mit der Hand schreibt, befindet sich in den Außenbezirken der Schriftkultur, nämlich dort, wo noch die Kalligrafie und Grafologie, diese mittelalterlich anmutenden Lesarten, walten.“ (Flusser, Die Schrift)

Die Schreibmaschine und noch viel mehr mein MacBook Pro erfordern die Literatur, den eigenen Stil, einen Text (den nur ich schreiben kann), weil ich sonst dem Gerät nur folgend einen Text schriebe, an dem mein Blut nicht klebt / der nichts von mir aussagt, wegen dem niemand an meinen Körper glaubt. (Mein Leser, Mein Leser, warum hast du mich verlassen?) Wie kann ich mich in die Tastatur hereinholen? Wie kann ich die Standardisierung überwinden? Wie werde ich präsent? (Endlich lebendig, nach allen den Zeilen.) Ich muss einen Text schreiben heißt: Ich muss mich in ihn hineintippen, qwertz muss micha werden.

 

4.

Das Tippen an der Maschine unterscheidet sich zwar vom Tippen am Computer, jedoch: die Anordnung der Zeichen ist dieselbe geblieben. Die qwertz-Tastatur richtet sich nach Sholes Idee, „in Texten häufig vorkommende Buchstabenkombinationen zu trennen, um ein Verhaken der Typenheber einzuschränken“ (Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs; Christians et al 2015). Ein solches Verfahren ist in digitalen Zeiten nicht mehr nötig. Dem Tippen ist also eine Unvernunft eingeschrieben, eine Überkommenheit, eine Trägheit, unter der die Mediengeschichte trotz aller Revolutionen ächzt und von der sie zehrt. (Das Telefon wäre womöglich nie erfunden worden, hätte es nicht die Telefonie als Vorstellung / Wahn der Möglichkeit, mit den Toten oder weit entfernten Menschen sprechen zu können, bereits viel früher gegeben.) Ich tippe also einem unvernünftigen Programm folgend auf einer Tastatur. So produziere ich Zeichen, die diskret und diskontinuierlich sind. Alles ist entzifferbar und alles ist rechenbar. Unter meinen Fingern trennt die Maschine Welt in 1 und 0. Der Unterschied entwirrt den ganzen Zülles und gewährleistet so den totalen Zugriff. (Wer sogar durch Null teilt, macht vor nichts Halt.)

Ich berühre mit meinem Text dem Programm folgend (dem einzigen, das ich beherrsche / das mich beherrscht wie kein anderes) nichts. Das Blatt ist glatt, der Bildschirm ist neu und kein Pixel tot. Niemand betrauert mich. Nichts verletzt. Ich müsste einen gefährlichen Satz schreiben, weil Papierschnitte zu selten sind. Ich muss das Barthessche Punctum kalkulieren, müsste es kalkulieren können, um zu schreiben. Solange tippe ich, um es in der Retrospektive gesetzt zu haben. Ich tippe, damit ich geschrieben haben werde.

 

5.

In diesem Satz drücke ich 26 mal mit dem kleinen linken Finger auf eine Taste, 3 mal mit dem linken Ringfinger, 65 mal mit dem linken Mittelfinger, 67 mal mit dem linken Zeigefinger, 14 mal mit dem linken Daumen, mal mit dem rechten kleinen Finger, 21 mal mit dem rechten Ringfinger, 43 mal mit dem rechten Mittelfinger, 98 mal mit dem rechten Zeigefinger und 72 mal mit dem rechten Daumen.