Apfel Hasseröder

Apfel, Hasseröder und Emm&Emms

Das Tieschört? Ja, eigentlich rede ich nicht darüber, aber ausnahmsweise. Da war in Hildesheim Naziaufmarsch gewesen und der ging für die gut durch, weil die Polizei die Nordstadt samt Nazis, Moschee und Synagoge abgeriegelt hatte. Danach, auf dem Weg nach Hannover – denn wir mussten noch über eine Kleinzeitung drüberschauen, damit die Ausgabe diesmal nicht so falsch in Druck ging wie die vorhergehende – saßen wir hinter zwei Aufmärschlern. Witze fielen und der jüngere von beiden revanchierte sich, indem er uns bei seinem Ausstieg in Algermissen abfilmte oder so tat, jedenfalls provokativ.

Traf sich, dass Borussia Dortmund gerade auswärts gegen Hannover spielte. Weswegen ich bis heute nicht weiß, wer mir dann an der Tramhaltestelle Schwarzer Bär das Gefühl gab, verfolgt zu werden, mich bei Rot über die Straße paranoidete und auf Flucht in einen Döner zwang, wo dann die drei Männer um die dreißig, mir tatsächlich hinterhergestiegen, standen, um mit mir zu schwatzen. Südtribüne oder so. Da war ich perplex und hab zugelassen, dass ich das Telefon in meiner Hand vergaß, mit dem ich schon um Verstärkung flehen wollte, während er da in der Mitte meine Jacke aufmachte, wo drunter mein gelbes Tieschört rausschaute. Was aber drauf war, war nicht BeeVauBee, aber auch nichts Okayes wie „Tom Tailor -University of irgendeine Staatenstadt“, sondern Hammer und Sichel in rot.

Wir waren alle erstaunt, auch die, die aussahen, als wären sie Nazis, Sechsundneunzich-Hools, Zivibullen oder alles drei. Nach einem Schulterklopfer war ich wieder allein, sogar die Jacke wieder zugezogen gekriegt vom Mittleren und ich bestellte mir einen Döner, der mir schmeckte, obwohl die in Hannover nicht so gut sind wie in Ostdeutschland im Schnitt. Sicher, weil ich einen ohne Fleisch nahm. Das Tieschört ist mehr ausgewaschen und ich nehms, wenn ich daheim im Erzgebirge bei Umzügen helfe. Dann schaut mich Umzugshelfer Zwo (irgendein Arbeitskollege der Schwägerin, sicher bin ich aber nicht), der selbst bei der Arbeit teures Thor Steinar trägt, so an.

Das ist dann ungefähr so, wie wenn sich zwei eingefleischte Trainingsanzügler gegenüberstehen. Der eine mit drei Streifen aus Passion, Leidenschaft und Herzblut, der andere mit einem Swoosh drauf, der aus Überzeugung da prankt. Auf den linken Brüsten dann die jeweiligen Vereinsembleme. Die sagen sich auch: sich für Klamotten hauen, obwohl da mehr dahinter ist, lassen wir dann doch sein. Das würde nichts entscheiden, denke ich. Der Umzug meines Bruders verlangt Burgfrieden. Umzug vor Anzug. Also sage ich nicht, Faschismus ist Terrorherrschaft deutscher Monopollelleks und Steinarsachen seien hässlich wie die Nacht im russischen Winter Zwoundvierzich/Dreiundvierzich, vom chinesischen oder türkischen Proletariat hergestellt und der Konzerneigner zwischen 2008 und 2010 Faisal al Zarooni ganz unarisch, weil aus Dubai, der dort munter vor sich hin akkumulierte, wenn damals einer hier „Nordic Company“ tragen wollte. Vielleicht trägt er deswegen so neues Zeug.

Der Herd, der geht

Mehr Themen, die nicht fielen: was Drittes Reich und DeeDeeErr, Hitler und Stalin und (Inter-)Nationalsozialismus in echt unterscheidet, während ich einen Nachmittag darauf verwende, einen Schuhschrank zusammenzubauen und er den Herd anschließt. Beide konzentrieren wir uns auf unsre Arbeiten. Stalin überhaupt, dazu gibt es ein Tieschört, das ich gut finde, wo ein Bild drauf ist, wo er noch jung und hot ist, und drumrum steht – schon richtig so -, nach einem Kollegah-und Farid Bang-Albumtitel: „Jung – Brutal – Gutaussehend“. Der Herd, er geht. Meinen Wunsch will ich Steinar zum Scherz mit auf den Weg geben, aber wir sagen nur Tschüss zueinander, ohne Ausrufezeichen dahinter. Vielleicht wollte er mir eigentlich sagen, was es letztens so im Ansgar Aryan-Katalog gab. Dann hätte ich gesagt: sicher nicht Geschmack und (das Ausrufezeichen etwas größer dahinter:) nichts für, nur von Lohnabhängigen Gemachtes. Stattdessen trinke ich Hasseröder, weil es das Bier ist, das es da gibt, wo mein Bruder wohnt.

Der Schuhschrank ist bestimmt der komplexeste, der je aus Schweden kam. Also bitte ich Neffe und Nichte, die Schuhe allesamt noch etwas anzubehalten, weil ja die Ablagestelle gerade noch in meinen Händen hin- und herwankt und noch gar keine Treter fassen will. Auch wenn die Fußballschuhstollen schon langsam durch die Ballettschläppchensohlen drücken und so spät noch so viele Schuhe anzuhaben, für Kinder im Vorschulalter sicher nicht gesund ist. Aber wohin mit den Schuhen? Ich bitte sie, alle anzubehalten, damit nichts wegkommt im Umzugsrummel. Überhaupt: warum müssen Schuhe von New Balance durch die Bank weg hässlich sein? Weil sie bei sich im Haus überproportional viel Arbeitsrechte gestatten?

Nicht dass die Familie meines Bruders sowas trägt, die tragen, was Bayern München und DeeEffBee-Elf ausrüstet. Die drei Streifen sind, ganz Ernst!, dem Europäischen Gerichtshof seit 2008 folgend, rechtlich geschützt. 1300 und ein paar zerquetschte Jahre, nachdem sich in der vorschismatischen Christlichkeit die Trinität etablierte. Bis heute ist die heilige Dreifaltigkeit bei der Katholikin, wie dem Orthodoxen und der Protestantin eine Marke. Nur nicht bei meiner Familie. Wir Nö!gieren bei der Gretchenfrage und täten das wohl auch ohne vierzig Jahre Realsozialismussozialisierungshintergrund. Wir tragen nur ab und an Adolf Dassler und reden über Politik nur da, wo wir wissen, dass wir uns hinterher noch genauso leiden können.

Apfel und Apfel

Zett Bee über das eine Mal, wo wir Holger Apfel, damals Vorsitzender der damals fast einzigen faschistischen Partei im Land, der EnnPeeDee, in natura gesehen haben. „Tag der Sachsen“ in Marienberg. Der September 2006 war von seinen Temperaturen her ziemlich gönnerisch und auch Apfel, umringt von seinen Gorillas, suchte nach etwas zu trinken. Darüber reden wir, weil es eine Anekdote ist, die geht. Dass ich einmal in Dresden war, an einem 17. Juni-Jahrestag, so vier, fünf Jahre später, darüber reden wir dann nicht. Vielleicht vergesse ich auch deshalb sehr oft, dass mir Apfel da zum zweiten Mal vors Auge kam. Er an der Spitze eines EnnPeeDee-Aufmarschs, dem keine sowjetischen Tanks zuleiberückten. Dafür ein paar Sitzblockiererinnen und Sitzblockierer, „Zecken“, wie der polizeiliche Einsatzleiter seinen Mitpolizisten steckte.

Darunter ich, der irgendwann fast allein vor einer Kreuzung stand, bei mir nur einer mit einem Sons-of-Anarchy-Schört und dem mit Ballack- Nationaltricko, wie wir zu dritt gerade von der Straße vor uns geräumt worden waren und jetzt wenigstens noch pöbelten, während die Faschistenschlange, aller Realität zum Hohn, wegen toter Arbeiter vorbeizog. Ich – political correctness auf die Knöchel runtergelassen, Aufzug der Nazis und Aufzug des einen Nazis ineinanderwerfend – Apfel einen Spasti! rufend, so hielten wir beide kurz Augenkontakt. Staatlich verordneter Antifaschismus, denke ich. Das mit der DeeDeeErr, denke ich, die hatte schon recht.

Ich bin der einzige in der Familie, der es schade findet, nie in der EssEeeDee gewesen zu sein. Jene Partei, die viel getan hat und schließlich dann umfiel. Ganz nah am Ende der Achtziger, schrieb Ronald M. Schernikau über die ideologische Annäherung von Ost und West, der Sprint des ZettKaa der Partei also in die Haspelmesser des draufzutuckernden Dreschers: „mit dem grundsatzpapier spd.sed ist die hiesige gesellschaftsanalyse endgültig auf die ebene der selbsttherapie gefallen; eine prophezeiung, in der wir uns gerne geirrt hätten. die art und weise des umgangs miteinander! wir kommunisten und wir sozialdemokraten! ich und du, du und ich, es ist ein ringelpietz mit anfassen geworden. den frieden vereinbaren! die welt als verständigungsproblem.“

Länder, die die EssPeeDee wählen, denke ich, sind sowas von dem Untergang geweiht. Als der Nachbarshund noch der wilde Astor war, konnte der an einem hochspringen und die Vorderkrallen auf den Schultern in die drei Streifen der Jacke einhaken. Gustl, der danach unser Nachbarshund im Dorf der Kindheit, ist zu zahm für den Hund eines Jägers, zu zahm sogar für seinen eigenen Namen. Gustav nennt ihn niemand, nur jetzt manchmal, weil er auch schon alt ist und Hüftprobleme hat, weil eine graue Eminenz kann man Gustav nennen, auch wenn sie sich vor einem fürchtet wie ein Gustl. Nachbarshunds Herrchen nutzt gern die Reisefreiheit im Jägersruhestand, um sich das gute Gefühl zu bestätigen, die pfiffigen von den handelsüblichen Schwarzafrikanern vor Ort scheiden zu können.

Wenn ich diese offensichtliche Art Rassismus aus dem Nachbarn mit dem Mickael Poté-Konterfei auf meinem Dynamoschört beim Familiengrillabend – Nachbars sind ja auch verwandt, wie das auf Dörfern oft so ist – heraustriggere, dann hat dieser grauen Eminenz immer schon niemand mehr zugehört. Zu reden gibt es schließlich auch Langweiligeres: die zeitweise Arbeitslosigkeit meines Vaters und die überzeitliche Kollektivüberarbeitung von dessen und meiner Generation. Ersteres ließ mich fragen, warum Joblosigkeit und Reisefreiheit nicht wenn schon denn schon beeerrdeerechtsstaatlich verbunden werden – mein Vater hätte den verordneten Urlaub gut gebraucht, denke ich, schließlich zeigte sich Zweiteres auch an meiner kindlichen Rezeption der Gegebenheiten: ich habe zwei Onkel, beide heißen Emm und also war meine Welterklärung als Kind, es ginge nicht anders, man müsse Emm heißen, um Onkel sein zu können.

Das aber nur nebenbei, denn über die Neunziger hinaus noch hielt sich bei mir, man müsse als Erwachsener nach der Arbeit in der Firma täglich vier Stundenlöhne obendrauf setzen und bis zehn Uhr abends zusätzlich für den Familienbetrieb von Opa und väterlichseitigem der beiden Emm&Emms-Onkel Holzdekorativa montieren, während ein Krimi im Öffentlich-Rechtlichen läuft oder zweite Bundesliga. Entweder zuviel Job oder gar keiner. In Hildesheim, denke ich, ist unbezahlte Kulturarbeit ganz schön hoch im Kurs. Verordneter Antikapitalismus, denke ich dann und bin, ausgiebig gedankenversunken, dabei, leeres Hasseröder in den fertigen Schuhschrank zu stapeln, während Neffe und Nichte an meinem gelben Tischört zupfen und sich dabei selbstständig aus ihren Schuhen kämpfen, denn es ist schon spät und auf dem Herd kocht Nudelwasser. Ich nehme mir vor, mehr auf die Fragen meiner Mitmenschen einzugehen.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Ken Merten | Pfeil und Bogen