Der Begriff weiß‘ wird in diesem Text nicht als Beschreibung einer Hautfarbe verwendet, sondern als Bezeichnung einer privilegierten Position in einem rassistischen System. Er wird deshalb mit ‚ gekennzeichnet. Der Text bildet einen Nachrichtenwechsel ab, der laufend aktualisiert wird. Diese ist die 2. Folge, die weiteren Folgen sind unten verlinkt.
Tobi,
ich möchte, dass du dich mit mir sicher fühlst. Aber ich kann dir diese Unsicherheit, die du beschreibst, nicht nehmen. Ich bin auch jedes Mal aufs Neue verunsichert, wenn ich Diskriminierung erlebe, selbst wenn nicht ich betroffen bin. Außerdem kenne ich diese Unsicherheit auch von mir selbst, wenn ich in gesellschaftlichen Machtbeziehungen auf der privilegierten Seite stehe.
Jede Situation betrifft andere Umstände und unterschiedliche Menschen. Ich merke, dass ich mich dann, manchmal bewusst und manchmal unbewusst, unterschiedlich verhalte. In der Praxis der Frauenärztin fühlte ich mich schwach und ohnmächtig. Deshalb habe ich nicht sofort so reagiert, wie ich es gerne gewollt hätte. Du weißt, ich scheue mich nicht davor, anderen Menschen zu widersprechen oder eine Diskussion zu beginnen. Ich scheue mich auch nicht davor, als erste den Mund aufzumachen, wenn mich etwas stört. Ich musste in meinem Leben lernen, mit Rassismus umzugehen und habe mich viel mit dem Thema befasst. Dennoch wäge ich jedes Mal erneut ab: Wie soll ich mich höher gestellten Personen gegenüber verhalten? Könnten meine Reaktionen Auswirkungen auf meinen Job oder meine Note haben? Was soll ich sagen, wenn sich Freund*innen oder Familienmitglieder rassistisch verhalten? Wie soll ich mit Menschen umgehen, von denen ich möchte, dass sie mich sympathisch finden? Wie mit Menschen, die mir sympathisch sind, deren Beziehung mir wichtig ist? Du kannst dir vorstellen, dass ich jedes Mal, wenn ich neue Menschen kennenlerne, vorsichtig bin und genau hinhöre. Manchmal überlege ich mir schon vorher, wie ich auf eine unangemessene Bemerkung reagieren würde.
Als ich bei der Frauenärztin war, kannte ich dich noch nicht gut genug und wusste nicht, wie du auf mein Erlebnis reagieren würdest. Ich bemerkte deine Unsicherheit und wollte unsere noch neue Beziehung schützen. Die Auseinandersetzung mit der Ärztin ging weiter, doch darüber haben wir nicht so ausführlich gesprochen.
Sie hatte mir ja gesagt, dass sie für Kritik offen sei, und deshalb rief ich sie ein paar Tage später an. Erst einmal redete ich: Es sei unangebracht, so oft meine Hautfarbe und meine Herkunft zu erwähnen. Für mich bedeute die Frage „Woher kommst Du“ übersetzt: „Du kommst nicht von hier, du gehörst nicht hierher“. Sie kennzeichne mich als „anders“. Meine Haut sei nicht „sonnengebräunt“. Meine Heimat sei nicht Sri Lanka und schon gar nicht Indien.
Die Schärfe ihrer Antwort hat mich überrascht. Ihr Verhalten habe nichts mit Rassismus zu tun. Sie habe auch viele andere ausländische Patientinnen und keine habe sich in all den Jahren beschwert. Sie fände so eine Hautfarbe ja auch schön. Sie wurde immer lauter. Sie dürfe auch ihre Gefühle äußern und außerdem könne sie gar keine Rassistin sein, denn sie sei mit einem Ausländer verheiratet. Schließlich schrie sie: „Aus ärztlich-psychologischer Sicht kann ich Ihnen sagen, Frau Berndt, das Sie ein Problem mit Ihrer Identität haben“. Ich wolle ja nur meine Aggressionen bei ihr abladen. Als ich darauf antworten wollte, legte sie auf.
Ich habe dir, lieber Tobi, das zwar erzählt, aber da ich deine Unsicherheit bemerkte und ich Angst hatte, dass du dich unwohl fühlen würdest, beließ ich es dabei. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch Angst davor, wie du dich verhalten würdest. Ich wollte nicht noch mehr verletzt werden. Deshalb rief ich meinen Vater an, um meine Wut, meinen Ärger, meine Gefühle auszudrücken. Ich wollte uns Zeit geben herauszufinden, wie wir mit solchen Erlebnissen umgehen können.
Gleichzeit ist mir deine Unsicherheit sehr sympathisch. Denn die Menschen, die auf mich mit Ablehnung, Aggressionen oder Angriff reagieren, wenn ich Rassismus anspreche, scheinen sich oft sehr sicher zu sein. Auch die weißen‘ Männer, die unseren Austausch hier auf Pfeil und Bogen kommentieren, scheinen sich sehr sicher zu sein, wenn sie rassistisches Verhalten rechtfertigen. Aber sich in gesellschaftlichen Machtverhältnissen angemessen zu verhalten, ist für alle Beteiligten mit Unsicherheiten verbunden.
Ich erlebe immer wieder, dass meine Vorstellungen, wie ich in einer weißen‘ Mehrheitsgesellschaft leben möchte, meinen Gefühlen widersprechen. Einerseits, sollst du dich mit mir wohl fühlen. Andererseits denke ich: Ich habe es unbequem, ich muss mich ständig verteidigen und werde persönlich angegriffen – wieso sollte das Thema Rassismus für Weiße‘ bequem sein?
In Liebe,
A.
Arpi,
bevor du das erste Mal zu meiner Familie mitgekommen bist, waren wir beide unsicher. Wir haben uns jede*r für sich die gleichen Gedanken gemacht, das haben wir uns erst danach erzählt. Wir hatten Sorge, dass du als erstes nach deiner „Herkunft“ gefragt werden würdest und waren froh, dass es nicht so gekommen ist. Auch meine Familie, das habe ich später erfahren, hat sich gefragt, ob es in euren Gesprächen zu viel um Sri Lanka ging. Mittlerweile denke ich, wir hätten uns allen diese Unsicherheit bereits vorher nehmen können, in dem wir sie offensiv angesprochen hätten.
Du hast die Reaktionen angedeutet, die es auf unseren ersten Nachrichtenwechsel gab, und tatsächlich ist es ja auffällig, dass sich vor allem weiße‘ Männer (jeden Alters) herausgefordert fühlten, unsere Argumentation im besten Fall kritisch nachzuvollziehen und sie im ärgerlichsten Fall zu leugnen und klein zu reden. So selbstgerecht ins Abseits gestellt wie deine ehemalige Frauenärztin hat sich allerdings niemand. In der Bewertung ihrer Reaktion auf deine Kritik waren sich alle einig, denen ich davon erzählt habe. Warum es über die Szene in der Praxis aber so viel Diskussionsbedarf gab, der Hinweis auf rassistisches Verhalten hier als unbegründet abgetan oder als Angriff verstanden wurde, das kann ich, als weißer‘ Mann, zumindest nachvollziehen, wenn auch nicht rechtfertigen.
In vielen Kreisen, in denen ich mich bewege – Studium, Jobs, Freundeskreis, Familie – kommen People of Color und ihre Stimmen selten vor. Das bedeutet, es wird anders über Rassismus gesprochen, als wir beide das voraussetzen. Der Ton ist meist sarkastischer, wo es um äußere Vorfälle geht und emotionaler, wenn das eigene Verhalten betroffen ist. Meistens steht irgendeine Form von Relativierung am Gesprächsbeginn, die darauf hinausläuft, dass Menschen nun mal verschieden seien und Rassismus damit quasi natürlich. Häufig wird zum Beispiel eine Anekdote davon angebracht, dass man im Urlaub in ferneren Ländern oder auf einer hypothetischen Reise nach „Afrika“ auch schon einmal komisch angeguckt worden sei oder werden würde. Gleichzeitig wird dabei immer aus einer Position gesprochen, die ein Bekannter neulich auf den Punkt brachte: „Rassismus? Ich verfolge die Diskussionen darüber mit Interesse, aber ich habe immer das Gefühl, das betrifft mich nicht.“ Die Perspektive ändert sich, wenn der Diskurs an einer Person greifbar wird, zu der eine Beziehung besteht. Die Argumente bleiben dann zwar die gleichen, aber die Bereitschaft, sich auf eine Diskussion einzulassen und die eigene Position zu reflektieren, ist höher. Darum waren die Gespräche, die wir in den letzten Wochen in unser beider Umfeld geführt haben, zwar vorhersehbar und mühsam, doch, wie ich finde, ausnahmslos konstruktiv. Und gleichzeitig waren diejenigen, in denen du physisch anwesend warst, doch insgesamt respektvoller.
Die Reaktionen auf unsere Texte haben mich zum Nachdenken darüber gebracht, in welcher Form sich Rassismus sinnvoll diskutieren lässt. Einerseits müssen wir abstrahieren um Strukturen kritisieren zu können. Andererseits denke ich, Veränderungen in Denken und Handeln sind nur über emotionale Bezugnahme möglich. Dass Möglichkeiten und Bereitschaft dazu den Wenigsten gegeben sind, ist sicher ein Problem. Ich glaube, unsere Bewertung deiner Szene bei der Frauenärztin als Rassismus hat viele deshalb so herausgefordert, da ihr alltägliches Verhalten in Frage gestellt wurde, über das sie sich bisher noch keine Gedanken machen mussten. Ich glaube auch, man kann und muss Menschen daran messen, wie sie mit dem Hinweis auf Rassismus umgehen. Jemand kann sich rassistisch verhalten, aber ist damit nicht sofort auch ein*e Rassist*in.
Was meine Unsicherheit angeht, so habe ich mich in den Gesprächen, die wir mit anderen geführt haben, bereits besser gerüstet gefühlt als noch vor einem Jahr. Ich denke, vor allem, weil wir sie gemeinsam bestritten haben.
Ging es dir auch so?
In Liebe,
T.
Die Folgen dieser Serie:
- Re: Rassismus (13.3.18)
- Re: Re: Rassismus (diese Folge – 16.4.18)
- Re: Re: Re: Rassismus (10.6.19)