Slow Reading Club 8

Dagmara Kraus:
heimsuchung (kummerang)
deutschyzno moja (liedvoll, deutschyzno)

Wir lesen zwei Texte von Dagmara Kraus: heimsuchung aus kummerang und deutschyzno moja aus liedvoll, deutschyzno. Die Lyrikerin arbeitet in ihren Gedichten nicht mit Empfindungen, sondern mit Sprachmaterial.

»millionen füchtige wörter stehen an der grenze zu diesem gedicht …«

Dagmara Kraus

Wir denken über Grenzen, Flucht und Flüchtig-Sein nach.

»Flüchtige Wörter müssen nicht geflüchtete Wörter aus anderen Texten sein, sondern Wörter, die wir nicht festhalten können, die sich aus dem Kontext entfernen, die sich nicht greifen, nicht entziffern lassen.«

Guido Graf

Wir lesen wieder langsam, nicht mehr Zeile für Zeile, nicht mal Wort für Wort – wir lesen Silbe für Silbe.

»Das ist auch ein Fremdmachen der eigenen Sprache: Nichts ist gesetzt, alles ist zusammengesetzt, kontaminiert.«

Annette Pehnt

Victoria Helene Bergemann
Hinweis

Bühne
hier bitte Ruhe
bewahren
behalten
Sie einfach für sich
was Sie sagen wollten
und sprechen Sie
erst
wenn Sie das Gebäude verlassen
verlassen Sie das Gebäude
erst
wenn Sie auf
der Bühne
nichts mehr sagen wollen
und sprechen Sie
erst
auf
der Bühne
im Gebäude
bewahren
Sie Ruhe
behalten
Sie einfach für sich
was Sie verlassen wollte
und wollen Sie nichts sagen
bewahren
Sie Ruhe in sich
und verlassen bitte
die Bühne
verlassen Sie bitte
die Bühne
erst
und sprechen Sie dann für sich
wenn Sie die Ruhe
bewahren
behalten
Sie
die Bühne
bei sich und sprechen Sie davon
erst
wenn Sie dort nichts mehr zu sagen haben
bitte lassen Sie sich von der Ruhe
erst
verlassen wenn Sie auf
der Bühne
etwas sagen wollen und
behalten
Sie nichts bei sich
bewahren
Sie auf
was Sie zu sagen haben
bis Sie auf
die Bühne
wollen aber bitte
halten Sie sich
erst
im Gebäude auf
wenn Sie etwas auf
der Bühne
sagen wollen
hierbei bitte Ruhe
bewahren

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Dennis Brock

In letzter Zeit verflüchtigten sich meine Gedanken. Ich hatte den Verdacht, dass Frontex sie gepushbackt hatte, konnte es aber nicht beweisen. Ich stellte mir vor, dass sie kurz hinter der Grenze eingesammelt und, in einen unscheinbaren weißen Lieferwagen gesperrt, zurück auf die andere Seite gebracht worden waren, wo sie in irgendwelchen halb legalen, das heißt, wahrscheinlich komplett illegalen, libyschen Aufnahmezentren, die nur aus zusammenhanglosen Blechwellverschlägen bestanden, unweigerlich verrotteten, wenn sie es nicht ein weiteres Mal versuchen würden, in meinen Verstand zu kommen. Die Serotonine animierten sie dazu. Sie sagten, sie würden sie schon mitnehmen – für einen fairen Preis versteht sich. Aber was blieb den Gedanken schon für eine Wahl? Hier gab es keine Freiheit. Entweder wurde man gedacht oder man wurde nicht gedacht. Und sie wollten ja gedacht werden. Also schmissen die Serotonine ihre Boote an, wohlwissend, dass die Gedankenwache ihre Überfahrt verhindern würde, indem sie auf den Schlauch klettern. Sie würden das Boot zum Kentern bringen und einige Gedanken würden untergehen und nie wieder auftauchen.

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Stella Schiwy
Stillschweigen

Millionen Wörter stehen an am Ausgang meiner Seele. Sie wollen meinen Mund verlassen, aber meine Zunge hält sie gefangen. Die warmen Wörter verbrennen meinen Rachen. Ich verschlucke sie mit den Pillen am Morgen. Ich spüre sie langsam meine Magenröhre hinabgleiten. Ein Pfad der Flammen. Ich sage keinen Ton mehr. Meine Melodie versiegt. Ich schaue deine Lippen an. Ich warte auf die Töne, die du von dir gibst. Dann sehe ich die Bewegung deines Kehlkopfs. Du hast auch geschluckt.

Ich genieße die heitere Ruhe zwischen uns. Wir starren an die Decke. Wir starren den anderen an. Blau vermischt sich mit grau. Die Wolken ziehen an uns vorüber. Deine Augen lächeln mich an. Die Falten flüstern mir zu, ich solle fortfahren. Die Ringe erzählen von deinem gestrigen Tag. Meine Ohren lauschen dem Gesang.

Meine Augen wandern weiter zu den Wörtern an der Wand, Ich lese aus deinem Verstand. Du erklimmst meinen Rand und springst kopfvoran in das kalte Wasser.

Das Schweigen schreit mich an.

Die Wörter entfliehen meinen Lippen, wie die Vögel ihrem Käfig. Hoch in den Himmel fliegen sie. Du rennst ihnen hinterher, doch deine Flügel schlagen nicht. Wir sind aus dem Takt gekommen.

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Lio Diona

eine reise machen
an ein schönes wort
hier gibt es kein futura
keine zukunft
nur grenzen
seiten (ränder) auf 0,5
der kaffeeautomat ist robin hood
jetzt wo er von den reichen stiehlt
meinen euro schluckt
aber millionen
abermillionen
abgeschoben
ausgespuckt
wie kitschkerne
vor meine beine
ein weitspucken
auf die fagötter
der tag vor meinem geburtstag
und ihm egal
ein kleiner junge
ein scooter
und eine hand,
die er weiblich las
hielt meine hand,
die er weiblich las
weil und wenn ich meine nägel neu streiche ist das kein statement
sondern eine unterstreichung von dem was man als mein dasein glaubt
nur ein daumennagel und glitzer darauf
sieht nach ziel, nach schwäche aus
aber millionen schweigen
verbleiben
ich trau mich nicht aufzuzeigen
wie weh du mir tust
weil da ist weihnachten
und friedliches zusammensein
das nur meine antwort stören kann
das könnte niemals deine frage sein
eingrenzende seiten (ränder) auf null fünf
bruder wurde rausgespült
der milchschorf zurückgeblieben
in der höhle
meiner (oder unsrer?) mutter
so bist auch du teil von mir
blaurosaweißrosablau
und wärst eine dekade älter als ich
aber vielleicht höhlengleichnis

ari’s tot et laisse
moi

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Josefine Sonneson
spiegamelo di nuovo

dai, sprechen wir uns
zwischen den sprachen
zwischen zwitschern
zwetschgen zweigen, eh?

ah no, spagliato

fliegen mit klappen schlagen
oder tauben mit bohnen

manchmal verheddern
verpassen wir uns
zwischen den sprachen
meine zeile zwischen deiner zeile
meine worte deine worte
rutschen am rand herunter
ma dai! wollen aber rein

wie gerne aber
würde ich gedichte schreiben
dir
in deiner sprache ganz nah
mittenrein treffen
und genau dort
erreichen und ausreichen und weiterreichen

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Peter Felix Müllejans

… Wie soll ich denn eine andere Sprache verstehen? Ich meine, ich verstehe ja schon die nicht, die mir bei der Geburt angenagelt wurde. Ungefragt und nur per Zufall. Ständig stolpere ich über Wörter oder Zusammensetzungen oder Bedeutungen und von der Grammatik fange ich hier gar nicht erst an. Das sehe ich so wie mit der Psyche, das ist das gleiche Ding. Wie soll man sich selbst verstehen? Die ganze Zeit denke ich über mich nach und wenn ich irgendeine tiefere Einsicht habe und aufschreien will, Heureka, so bin ich also, habe ich mich schon wieder verändert, oft genau durch diese Einsicht. Da kann man nur aus der Unendlichkeit grüßen, also nicht der zeitlichen Unendlichkeit, sondern der wirklichen, wo die Zeit nur noch als flacher Kreis seine Karussell-Runden schwingt und man, oder besser ich, dem Wahnsinn meine eingenässte weiße Unterhose unter die Nase halten kann.«
So sprach er, während er auf den Küchenfliesen thronte. Ich hielt das alles für etwas pathetisch, aber war auch peinlich bewegt, vielleicht auch nur betrunken. So ging das immer, oder immer öfter. Wenn der Alkohol die Welt in Schwarz und Weiß gefärbt hatte, konnte Franki große Reden schwingen. Das klang auch immer irgendwie ok, aber war halt auch der Effekt einer vereinfachten Welt. Einer Welt in Absoluten wurden tiefe Bedeutungen und Zeichen zugesprochen, um sie dann entreißen zu können. Frischgeboren aus den Armen, sozusagen. Ironischerweise gehörte auch diese Reflexion dazu, ich sprach sie halt nur nicht laut aus, da fehlte mir wohl sein Mut, hier auf unserem Küchenboden in einer angemessenen Nordrhein-Westfälischen Kleinstadt, wo man sich sowas erlauben konnte. Wo es um nichts als Reue und Schädel am nächsten Morgen ging. Und am Tag darauf vielleicht um Liebeskummer oder Uni-Stress oder alberne Geldsorgen, weil niemand von uns auf der Straße lebte und solange es auch noch für Alkohol und Zigaretten reichte, waren Geldsorgen immer eher albern. Deshalb dachten wir über uns nach, suchten den kosmischen Horror des Verstehens und Unverständnis. Früher mussten die Menschen in die Nacht, um für ihr Überleben zu kämpfen, heute auch noch, aber halt nicht bei uns, aber weil der Mensch kämpfen muss, kämpften wir halt gegen uns oder gegen ein ominöses System oder den Kater und die leichte Blasenentzündung, weil auf dem Boden zu sitzen oft das einzige Statement war, welches wir uns wirklich zutrauten. Und das alles war in Absoluten gedacht, war eine vereinfachte Welt, in einer vereinfachten Welt, in einer vereinfachten Welt, in dem Fraktal einer nicht ernsten Welt, die doch ernst genug war, aber dann wäre die Welt nicht mehr vereinfacht gewesen.
Also Hände hoch ihr Monster. Wir ziehen heute Abend wieder mit Wein und Bier durch uns und so lange, bis wir die Küche nicht mehr sehen können und verlieren uns in dem schönen Licht und Dunkelheits-Laternen, die auch ohne Schatten auskommen. Weil für Schatten ist nie genug Raum im Absoluten, im Absoluten, im Absoluten, im Absoluten, …, bis hinter jeglicher Aussage.

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Felix Herrmann

»When you start talking, I don’t listen, just wait for you to finish
And when you’re done I’ll say ›that’s crazy‹
›Really?‹ ›Oh yeah,‹ but lately
I don’t reply, you been denied
Sometimes I smile, sometimes I moan, sometimes I look away and nod
Sometimes I give no reply and watch your ice break like a jaw«

Stefan Burnett (Poser Killer)


Das Wort ›Loser‹ ist leider zu schlecht, um mit den anderen zu kickern. Auch bei allen anderen Aktivitäten hat es eigentlich nichts zu suchen. Dennoch lassen die restlichen Wörter es bei ihnen sein, denn sie alle wissen, dass ihr Tod ihnen kurz bevorsteht.
Geboren wurden sie alle beim Turmbau zu Babel. Nun wird ein weiteres Riesengebäude ihnen ein Ende setzen. In Russland wird Tag und Nacht am Himmel auf Erden gearbeitet. Ein großer grauer Block steht dort, mehrere Kilometer hoch und fast fertig. In wenigen Wochen werden die Arbeiten abgeschlossen sein, dann zieht die gesamte Menschheit um in dieses eine mächtige Bauwerk.
Dort gibt es alles, was man braucht. Nachts im Schlaf wird ein jeder durch Plastikschläuche von dem Gebäude gefüttert. Auch werden die Menschen mental miteinander verbunden sein, durch das starke Traumfeld, das von den Wänden erzeugt und gebündelt wird. So können sie sich telepathisch miteinander verständigen, ohne jemals wieder sprechen zu müssen.
Diese Idee kam dem brillanten Wissenschaftler Gustav Nomeon, als er 2189 von der Expedition der B.I.S.A.G.E 1 hörte, welche zu diesem Zeitpunkt vom anderen Ende des Kosmos zurückkam. Auf ihrer Reise hatte sie einen Planeten entdeckt, auf dem ein ähnliches System umgesetzt wurde wie das, an dem man nun auch auf der Erde arbeitete. Ein Megakomplex für alle Lebewesen, die vollständig von diesem versorgt wurden. Allerdings kam es auf diesem Planeten zum Konflikt, denn das Wesen, das das Gebäude entworfen hatte, hatte sich dazu entschlossen, die Bewohner des Planeten mithilfe von religiösem Fanatismus friedlich zu halten, was natürlich nicht mehr funktionierte, sobald eine große Menge an Personen diese Religion hinterfragte.
Also hatte man sich auf der Erde einen besseren Plan überlegt. Und zwar würden die Menschen mit der Zeit so sehr mental verschmelzen, dass es schon in naher Zukunft nur noch ein einziges Schwarmbewusstsein geben sollte.
Daher also der Tod der Wörter. Kommunikation sollte vollkommen irrelevant werden.
Tatsächlich hat Gustav Nomeon sich, als er die Weltregierung von diesem Plan überzeugte, auf einen Text aus dem Jahr 1676 berufen, in dem Konrad Holzmur damals schon über eine Welt philosophierte, in der es keine Sprache mehr gab. Folgenden Abschnitt aus diesem Werk zitierte G. Nomeon:

[AUßEN WALD – SPÄTER NACHMITTAG]
Person A:
Person B:
Person A:
[Beide schauen zum Hund. Person A greift langsam nach dem Revolver in der Jackentasche.]
Person B:
[kurze Stille]
Person B:

Der Hund, der jeden Tag Kleinkinder jagt, jedoch noch nie mit Erfolg: »Es ist so unangenehm still hier. Findet ihr nicht?«
Person A:
Person B:
[Person A schießt den Hund ab.]
Person C:
Person D:
HUND E: »Viel Gebell«
[Person B geht schluchzend nach Hause.]

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Maite Herborn

Sie war elf gewesen, als sie hergekommen war. Elf und einsam, elf und unerfahren. Ihre Eltern hatte sie schnell vergessen, Geschwister verloren oder abgeschafft. Wenn sie sich die elfjährigen um sich herum heute anschaute, war sie gar nicht so unerfahren gewesen. Certes, sie hatte auch nichts verstanden, hatte sich alles selbst beibringen müssen. Aber sie war nie einfach mit dem Strom mitgeschwommen, hatte sich nie ihre Selbstständigkeit nehmen lassen. Es beunruhigte sie zu sehen, dass nicht alle waren wie sie. Es tat ihr richtig weh, dass es ihnen jetzt leichter gemacht wurde, zu bleiben. Es schmerzte sie, dass das Leid der Kinder heute anerkannt wurde und ihres nicht, zumindest nicht nach ihrem Ermessen. Sie fasste sich mit der Hand in den Nacken und drückte ihren Kopf ruckartig nach unten, um ihre schlechten Gedanken auszuschütteln. Sie wusste, dass sie das nicht denken durfte. Das war sie nicht, das würde sie nie tun.
Ein kleines Mädchen, Amina? Kam in ihre Richtung, heftig schluchzend, und schmiss sich in ihre Arme. Sie musste um die 9 Jahre alt sein, war erst vor wenigen Tagen hergekommen. Sie hatte mehrere Aufschürfungen an Armen und Beinen und eine Streifschusswunde an der Schulter. Aber das schien sie kaum zu stören, jedenfalls rollte sie immer mit den Augen, wenn jemand versuchte, ihre Wunden zu behandeln. Dafür brachten sie die kleinsten Belanglosigkeiten zum Aufkochen. Es war schwierig, aus ihrem von unregelmäßigem Schluckauf durchbrochenen, wehleidigem Monolog mit Händen und Füßen und einzelnen Brocken verschiedenster Sprachen, irgendetwas zu verstehen. Aber die paar Wörter, die deutlich ankamen, reichten, um die Nachricht zu überbringen. Sie kannte das, hatte es schon hundertmal erlebt, hatte den anderen ebenso oft gesagt, umsichtiger mit ihrem Ausdruck umzugehen. Wer bekam schon gern ins Gesicht gesagt, dass man nichts als ein gefährlich abschätzig klingender Fantasiebegriff sei? Minderjähriger, Unbegleiteter Flüchtling, Mufl. Oder in anderer Reihenfolge: Umf. Die Abkürzung dahinter sofort zu begreifen, obwohl man die deutsche Sprache erst zu Bruchteilen erlernt hat, ist im Prinzip unmöglich. Es endete fast immer darin, dass mindestens drei Kinder pro Tag unter großer Kraftaufwendung davon überzeugt werden musste, nicht beleidigt worden zu sein. Verfluchtes Beamtendeutsch, verdammte Abkürzungen. Das musste den Leuten ja wohl aufgefallen sein, dass mufl kein gutes Wort zum Bezeichnen ohnehin schon traumatisierter junger Menschen ist, und auch umf zumindest nicht als ausgesprochene Abkürzung für die Kinder funktioniert. Dann passt das Ultra Music Festival in Miami, dass den gleichen Namen trägt, schon deutlich besser, dort kann sich zumindest niemand persönlich angegriffen fühlen. Sie seufzte und strich dem kleinen Mädchen behutsam über den Rücken. Sie wusste, was sie sagen musste, die Wörter hatten sich in ihrem Kopf schon zu einem festen Konstrukt zusammengefügt.

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Nina Andresen

Worte sind Orte der Erinnerung
und des Vergessens.
Gedankenschlieren kräuseln sich unter der milchigen Oberfläche
als würden sie jeden Moment vergehen.
Mal sind sie tückische Winkelwasser
mal bodenlose Seen.
Luftblasen sind begrenzte Ressource
im Ökosystem
in dem nicht einmal Feuer die Kraft hat zu bestehen.
Gefangen unter Spiegeln
glattem Eis
Sog in den Abgrund
schicksalsbesiegelnder Verheiß’.
Riss, krach, Splitter
Auftauchen in eine Gegenwart
von Babel, Fremdheit und Vogelgezwitscher.

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Maja Hohenberg
vom anfang des kitsches

wie kaugummi der nicht abgeht stundenlang herumgekratzt herumgefummelt auf ab

mit lineal
ganz schön sinnlos
steckt alles noch im haar fest
eine kette aus kaugummis ums haupt immer auf der suche nach einer dornenkirsche
klitoriskitsch
pudelskern
kirschkern
immer wieder
aprikosenkern
erdkern
zurück zu der kernfrage
kitsch
zu schön um wahr zu sein? warzenschwein
angst vor
angst hinter
und unter
nicht erlauben den kitsch
kitsch abklemmen
die kitschkerne ausspucken
nicht vergraben
damit keine kitschbäume wuchern hinter den abgeputzten Häusern
die uns als zäune dienen

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Greta Sofie Müller

Mehr Leute an der Bushaltestelle. Mehr Leute im Bus. Nicht anders. Nur anders angesehen. Es fühlt sich ein bisschen enger an. Manche hier fühlen sich lieber bedrängt, als jemandem nahezustehen.

Neue Menschen an der Schule. Der Hof ist voller geworden. Es ist aber für alle Platz da. Und es ist noch Platz übrig. Essen ist auch da. Und Häuser, Betten, Freunde.

Und Wörter gibt es immer mehr. Worte auch.

Wir lernen alle etwas Neues.

Ich lerne, was es bedeutet, wegzuschauen. Ich lerne, was es bedeutet, sich zu verschließen. Ich lerne, was es bedeutet, zuzuhören. Ich lerne zuzuhören.

Ich lerne, was du gesehen hast. Ich lerne, was du verloren hast. Ich lerne, wonach du dich sehnen könntest. Ich lerne, wonach du suchst.

Das Wort Privileg habe ich erst viel später gelernt.

Aus dem Fenster meines Klassenzimmers kann ich sehen, wenn du aus dem Gebäude trittst. Du lachst viel, in der Pause. Ich freue mich, dass du lachst, und bin gleichzeitig wütend.

Du kannst lachen, nach alledem. Währenddessen. Und trotzdem gibt es Menschen, die dir finster begegnen. Vielleicht sogar gerade, weil du lachst.

Manche hier fühlen sich lieber bedrängt, als jemandem nahezustehen.

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Charlotte Palatzky

Bin krank und beziehe mich der Einfachheit halber auf den ersten Text und sammle komische Worte

Lobesismus
Repurzilianismus
Minimal Mortalia
Verabgrüßungen
Ratende Drähte
Verhextokratien
Geteilnisse
Gütnis
Politicscity
Protestzessieren
Raushandeln
Oh Todd! Ich will darum baden
Verspanungen
Verregeln
Dystupisieren
Automarktkratie
Popelismus
Postulismus
Kommzumirismus
Dieblomatie
Hinternzimmern
die da toben
Sudbürger, Hutbürger, Hutwürger
Weichsbürger, Seichtbürger
Nancyonalsozialisten, Nancys
Nationalrepulsivorientierte sozial listende
hinter vorgehaltenem Sand
Lieberaalismus
Das Briefate
Kriechend führen mit Plomben
Ewiges auf ab, end zerrüstet

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Lisbeth Leupold

Diese ganzen Wörter, die stehen jetzt vor diesem Text und stellen sich an.

Wenn sie sich zumindest anstellen würden, ordentlich gereiht in eine Schlange, dann könnte ich vielleicht etwas mit ihnen anfangen, zumindest einen Anfang lang, aber so …

So stellen sie sich ganz schön an, sie sträuben sich, sie zerren und zedern, dass mir die Nadeln ausfallen vor leiser Hilflosigkeit.

Ich hab schon überlegt sogar, ob ich sie zurückgeben sollte. Das kann ich nur zurückgeben, könnte ich sagen, diese Wörter hier, die würde ich gern von mir geben, ich will sie nicht mehr, wirklich nicht, ich habe mir das überlegt, sie sind mir überlegen.

Vielleicht werde ich einen Ausruf starten, ich werde sie ausrufen lassen, eins nach dem anderen, dann müssen sie sich aufreihen und eingliedern in ganze Schätze ohne Punkt und Koma.

Sie werden dann festgeschrieben, fest werde ich sie schreiben, drucken werde ich sie, bis eine Spur sich ziert zwischen ihnen: Geschrieben sind sie ein Fest.

Aber diese ganzen Wörter, die laufen mir auf und davon bleibt ein Rest und den stelle ich an.

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Bild mit freundlicher Genehmigung von Kai Simanski | Pfeil und Bogen