Slow Reading Club 6

Monika Rinck:
Affektlehre
(Honigprotokolle)

Der Band Honigprotokolle von Monika Rinck trägt den Untertitel 7 Skizzen zu Gedichten, die sehr gut sind. Wir beschäftigen uns mit dem Text Affektlehre und fragen uns, ob dieser recht systematischer Titel ernst zu nehmen ist, oder ironisch gelesen werden sollte. Überhaupt verwirrt uns der Text, scheint immer wieder ins Leere zu laufen. Der Bruch ist allgegenwärtig, sodass wir als Leser:innen immer wieder verdutzt aussteigen und uns

»das Lachen im Halse stecken bleibt.«

Guido Graf

Linn Bongard

Das Leben ist ein Witz, der mich belästigt, weil er keine Pointe hat.

Ich distanziere mich.

Ich höre das Höhnen, das Leben wie Honig, fließt mir aus den Händen, es klebt und schmiert, alles hinterlässt Spuren, ich hinterlasse Spuren und ich mache Fehler, da ist kein Radiergummi, deshalb ist es egal wann der Tod kommt, ist egal, dass er jetzt kommt, so oder so werde ich nicht roh sein, wenn er da ist. Das stimmt, ihr habt recht, da kann man nicht schlankweg in aller Rohheit reingehen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich schreie (oder schreibe), wenn es passiert, jetzt ist es soweit, und ich muss sagen, es ist wirklich laut, ich wusste nicht, dass ich so laut schreien kann. Das ist hoffentlich ein Beweis dafür, dass ich eigentlich noch gar nicht sterben will. Dumm gelaufen, aber schön, dass mein Leben schön war, schön genug, dass ich schreien muss, weil es zu Ende geht.
Die Brühe, die ich in die Räume gelassen habe, darf ich jetzt trinken. Ein Privileg! Darauf kann man sich freuen, das sag ich euch. Auch schön, dass sie doch noch für was gut ist. Die Flöte ist allerdings nutzlos geworden
inzwischen
ein Rest. Ich wütete, jetzt wüte ich immer noch, und anscheinend wird selbst der Tod meine Nikotinsucht nicht beheben. Singen, scherzen, küssen, und schlafen, das die ganze Zeit.
Oh, Moment, die Sense will mir was sagen.
Sie sagt mir, dass es jetzt wirklich vorbei ist. Endgültige Freiheit!? Vielleicht kann ich hier Dinge tun, die ich schon immer mal tun wollte, explodieren zum Beispiel. Ich sehe mich um, Zigarette im Mund, wusstet ihr, dass man im Tod noch schmecken kann? Ich hab den Klee probiert, kann ich nicht empfehlen. Trotzdem keine Enttäuschung, ich dachte nämlich, alle Sinne wären weg, im Nichts. Alles ist verwüstet, und doch seltsam klar – ich kann gut sehen, auch wenn es dunkel ist. Die Flöte, mein Rest, ist wohl im Leben geblieben, ich finde sie nicht. Hier sind auch noch andere, es ist nicht so einsam wie man sich das vorstellt. Die Sense erzählt uns etwas, sie verkündet beunruhigende Dinge, morgen wird wohl ein spannender Tag. Ein bisschen freue ich mich darauf. Idylle und Leben waren zwar schön, aber so anders ist es hier gar nicht. Hier freue ich mich aufs Explodieren.

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Nina Andresen

Der e e e eklige Klee auf der a a a abgemagerten Wiese mit dem v v v vorbeglücktem Vieh.
Sense mit dem e e e ekligen Klee. Idylle und die Anmuth kommen zurück, wo Roheit war. Jetzt ist Affekt:
Der Herr ist mein Hirte mit Hirschgeweih. Mein Stecken und Stab trösten die Herde im Abgrund meiner Seele angeführt von Diane. In diesem finsteren Tal weidet er mich an verrotteter Aue und führet mich zum faulen Wasser. Das Böse richtet sich selbst, sagt die Bibel. Gestern ward sich selbst geopfert. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Freunde. Mit rohem Honig als Balsam für die Löcher in meiner Seele. Sie stopfen die Luftlöcher des länglichen Holzinstruments. Die Flöte zähmt die Schlange in der Idylle. Ich breche die Flöte wie die Zweige des Apfelbaumes. Also pflücke ich die verbotene Frucht und werde zur Magd. Paradis im Rauch meiner Lieder zu verdrecktem Dorf metamorphisiert. Ich starre ins W W W Weiße. Da ist die Sense in der Idylle.

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Meret Stühmer
Verwinden

Es ist ein Verschwinden hinter der Erwartung eines anderen. So lange lächeln, bis einem die Stimme versagt. Bis es leer geworden ist, in den eigenen, kreisrunden vier Wänden. Es ist ein Ansammeln von Worten, in einem viel zu kleinen Raum. Dicht an dicht stehen sie da, gedrängt bis an die fest geschlossenen Türen. Immer wieder kommt ein Neues hinzu, wird durch die Spalten der Mauern hineingepresst, macht sich klein und groß zugleich.

Es ist kein Verschwinden von Worten, sie nicht auszusprechen. Sie werden immer mehr und öfter. Bis sie sich verknüpfen, neu formieren und ein zweites Ich kreieren. Da stehen sie dann Seit an Seit, das zweite Ich will wieder rein.

Ich sehe dem kleinen Mädchen mir gegenüber dabei zu, wie es kleine Herzchen-Aufkleber auf die Tischplatte klebt. Menschen schreiben Messages auf Aufkleber und verteilen sie in der Stadt. Wut hat das Gesicht eines Stickers. Es ist viel einfacher, die Dinge aufzuschreiben als sie tatsächlich laut auszusprechen. Noch schwieriger ist es, sie von der falschen Person zu hören. Einen Sticker lese ich in meinen eigenen Kontext hinein. Oder der Ort schreibt ihn in seinen Kontext hinein. Oder du gehst einfach vorbei und lässt ihn an dir vorübergehen.

Was will ich damit eigentlich sagen?

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Felix Herrmann

In the time before time eyes ’bove which horns
Curve like psychotropic scythes
And smell of torn flesh bled dry
By hell swarms of pests flies
Vomiting forth flames lit by
An older than ancient force
That slays this life with no remorse
Stefan Burnett (Beware)

»Ich habe im Moment nicht die Energie, jetzt irgendwas Narratives aufzuschreiben und mir fällt nichts Gutes ein, was zu dem Text passt, aber bei dem dunkler und klarer erscheinenden, verwüsteten Dorf musste ich sofort an Darkwood denken, also kommt jetzt wieder mal ein vollkommen uninformiertes Game-Review, aus dem man nicht viel lernen kann, jedoch hört, worüber ich mich so beschwere, selbst bei Dingen, die ich mag. Also. Darkwood ist ein Survival-Horror-Spiel oder vielleicht sollte man sagen, ein narratives Horrorspiel mit Survival-Elementen. Es spielt in einer Postapokalypse in Polen, in einem endlosen Wald, in dem die Bäume langsam die gesamte Welt einnehmen. In den Wäldern leben Monster, Hexen, Dämonen und Geister. Das Ziel des Spiels ist es, dem Wald zu entkommen und womöglich an einen Ort zu gelangen, an dem ein normales Leben noch möglich ist.
Ich habe das Spiel noch nicht zu Ende gespielt. Trotzdem werde ich es kritisieren und trotzdem werde ich Teile vom Game spoilern, also wer es noch nicht gespielt hat, für den könnte es jetzt von mir ruiniert werden.
Ich nehme die Wertung schonmal vorweg. 8/10. Vor allem der Soundtrack zu diesem Game ist FUCKING mega gut. Die Musik und im weiteren Sinne auch das Sound-Design sind wohl für 80 Prozent der Creepy-Haftigkeit in diesem Spiel verantwortlich und tragen eigentlich das ganze Experience.
Ansonsten muss ich leider sagen, dass das Spiel sehr, sehr viel weniger gruselig wird, je länger man es spielt. Denn alle Gegner, von denen man attackiert werden kann, sind sterblich und gar nicht mal so schwer zu töten. Ein einziger Molotowcocktail reicht selbst bei den stärkeren Gegnern aus, um sie umzubringen. Ebenso ein Schuss aus einer selbst gemachten Shotgun, die dafür wenigstens schwerer herzustellen ist. Solange man vorbereitet ist, muss man sich vor nichts fürchten.
Was außerdem dazu beiträgt, dass das Spiel an Grusel-Faktor verliert, ist die viel zu große Anzahl an Feinden, denen man in den späteren Phasen des Spiels begegnet. Irgendwann trifft man alle dreißig Sekunden auf einen mutierten Hund. Und hat man erstmal fünfzehn mutierte Hunde mit einer Schaufel ins Jenseits geschickt, dann stört einen der sechzehnte auch nicht mehr, der siebzehnte erst recht nicht. Also vor den Monstern im Game hat man irgendwann keine Angst mehr, weil sie so häufig vorkommen, dass man sich vollkommen daran gewöhnt, sie zu bekämpfen. Was mir auch nicht gefiel, ist, dass das Spiel nicht an einem bestimmten Zeitpunkt endet. Also es endet schon irgendwann, nur nicht dann, wann es sollte. Gerade als ich das Gefühl hatte, das Narrativ sei zu einem zufrieden stellenden Schluss gekommen, habe ich herausgefunden, dass es noch weitergeht und sehr, sehr viel schwerer wird. Vielleicht ist es gut, dass es schwerer ist, ich selbst habe den schweren Teil vom Spiel noch nicht gespielt, aber anfangs war ich sehr enttäuscht, dass es nicht einfach vorbei war«, sagte er mir, als wir da zu zweit am Ufer des Flusses standen. Er hatte seinen Blick die ganze Zeit nicht von der Wasseroberfläche gelöst, während er vor sich hin gefaselt hatte. Ich hatte ihm natürlich nicht zugehört, denn ich war darauf konzentriert, ihn einfach anzustarren und alle zehn Sekunden zu nicken oder ›mhm‹ zu sagen.
Ich malte mir aus, wie ich ihn zu einer Suppe verkochen würde. Ich wusste ja, dass das geschehen sollte in den nächsten Tagen, immerhin hatte er selbst es mir gesagt, dass er zu einer Suppe gemacht werden wollte. Ob die gut schmecken würde … na ja ich hatte noch ein Glas Senf im Ärmel. Das würde ich einfach dazu kippen. Senf schmeckt ja mit allem gut.
Ich bemerkte irgendwann, dass er aufgehört hatte zu reden, und weil ich nicht wusste, was ich ihm antworten konnte, wechselte ich einfach das Thema.
»Ich habe heute Nacht von Ye geträumt. Glaube ich. Was da war, weiß ich nicht mehr, aber er war, glaube ich, in meinem Traum.«
»Cool, wen juckt’s?«
»Weiß ich auch nicht. Ich weiß doch gar nichts, man. Ich lass mich einfach vom Fluss durchs Leben treiben, so wie Baloo im Dschungelbuch.«
»Dann bin ich wohl dein Mogli, was?«
»Nein. Du bist eine tropische Frucht, die ich in meiner Suppe verarbeiten kann.«
»Ach ja. Das. Na, ich sag dir deswegen nochmal Bescheid. Ich muss jetzt erstmal nach Hause zu meiner Verlobten.« Ich nahm einen Zettel aus meiner Jackentasche.
»Kannst du ihr diesen Liebesbrief von mir geben? Ich hab mir keine Mühe gegeben beim Schreiben, aber er ist gar nicht so schlecht, wie man vielleicht denken würde.«
»Ja klar. Mach ich«, sagte er und ging dann fort, so schnell er konnte. Danach sahen wir einander nie wieder, denn ein starker Wind zog auf, ein Wind, gegen den ich mich nicht wehren wollte, der mich deshalb in meine Einzelteile verwehte und mich in der Atmosphäre verstreute. Das fühlte sich ganz okay an. Auf der Schmerzskala würde ich dieses Erlebnis mit dem Smiley bewerten, der so guckt, als wäre ihm leicht unangenehm.

Spielt Darkwood und schreibt mir ne E-Mail, wie ihr’s fandet.

Get so bright, it’s no sun,
get so loud, I hear none
Screamed so loud, got no lungs,
hurt so bad, I go numb
Ye (I thought about killing you)

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Dennis Brock

Aus ihrem Kopf floss der Honig. Ich saugte ihn heraus. Ich wütete. Danach rauchte sie noch. Ich nicht mehr. Ihre Lippen rot. Sie waren aufgeplatzt, denn sie hatte die Flöte überblasen. Sie starrte ins Weiße. Ich starrte nur. Sie sagte etwas, aber ich hörte nichts, konnte überhaupt nichts hören. Ich schrie, vermutlich. Sie sah mich an. Ich sagte, hast du was gesagt und merkte, dass es keine Frage war. Du musst aufhören, damit, sagte sie. Wieso?, fragte ich. Wir machen doch nichts. Sie lachte. Ich wusste gleich, dass sie es scherzhaft gemeint hatte. Ich hatte Lieder in mir und deshalb sang ich eines, aber sobald ich es angestimmt hatte, merkte ich, dass es nicht zu uns passte und deshalb ließ ich es verklingen. Ich küsste sie. Sie küsste nicht zurück. Stattdessen sagte sie, du kannst hier nicht in aller Rohheit reingehen. Ich verstand sie nicht. Verstand gar nichts von ihr. Was wollte sie denn? Jetzt rauchte ich auch. Sie starrte wieder ins Weiße. Hast du was vom Dorf gehört?, fragte sie. Nein, nichts, sagte ich. Dann schwiegen wir. Ist es immer noch verwüstet?, fragte sie nach einer Weile. Ich sah nichts, das letzte Mal, sagte ich, es ist alles dunkel und klar. Und die verrotteten Wiesen? Was soll damit sein?, sagte ich. Gedeiht da was?, fragte sie. Nichts als ekliger Klee, sagte ich, das vorbeglückte Vieh ist längst an sich selbst verreckt. Sie sagte nichts, irgendwann hauchte sie, das ist traurig. Ich sagte, nicht doch, morgen geh ich hin und gucke, ob es da noch was zu holen gibt. Und wenn nicht?, fragte sie. Dann wird sich halt selber geschlachtet, ausgefellt, abgenagt, eingemacht, verkündete ich. Sie stieg aus dem Bett und ging Richtung Küche. Im Gehen sagte sie, dann hoffe ich, dass du dort nichts findest. Wieso?, fragte ich, wieso sagst du so etwas? Ich hörte, wie sie in der Küche mehrere Schränke öffnete. Was suchst du?, fragte ich, vielleicht kann ich dir helfen. Sie rief, du kannst mir nicht helfen, ich suche diese Flöte. Kurz darauf kam sie aus der Küche. Und hast du sie gefunden?, fragte ich. Ja, sagte sie, und ich sah, dass sie ein Feuerzeug in der Hand hielt. Ich starrte ins Weiße. Es scheint, das Ende der Anmuth ist da, sagte ich noch, aber sie schien mich nicht zu hören. Dann explodierte sie.

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Nico Blumrich
3. 5. 5. 3.

Lyrik ist Zäsur. Es sind die Enden der Verse. Zeilenumbrüche. In jeder Zeile. Mitten im Satz. Es sind Entscheidungen. Symmetrie. Man kann es nachlesen. Im poetischen Resonanzraum. U know.

Lyrik ist Widerspruch. Obwohl niemand widerspricht. Lyrik sind Bilder und Figuren, die nicht in der Lage sind, anders zu handeln, als sie es tun. Sie sind gefangen. Keine Freiheit. Weder im Denken noch im Handeln. Idyllendichtung hin oder her. Lyrik ist Pathos und Wiederholung und was auch immer wir ihr zuschreiben. Lyrik kann alles, nur nicht frei sein. Was resultiert daraus? Was schreiben wir ihr zu? Kann Lyrik Revolution? Kann Lyrik Veränderung? Revolution bedeutet ja erstmal nur, der Gesellschaft eine Form zu geben, in der die Menschen selbst entscheiden können, wie sie leben wollen. Kann Lyrik das? Ist das ihre Aufgabe? Aber was sonst sollte es bedeuten, wenn alles möglich ist?

Manche sagen, sie spricht zu uns. Ich höre sie nicht. Trotzdem wende ich mich an sie. Wenn ich allein bin, einzig begleitet von vollen Aschenbechern und leeren Gläsern. Es könnte gestern sein, aber es ist heute mit der Erinnerung an gestern und der Angst vor morgen. Ich möchte meine Stirn auf deine legen. Die Sonne geht auf. Ist dir das recht, Lyrik, Konstrukt aus Unfreiheit?

Zum ersten Mal begreife ich, wie verschieden deine Lage von der meinen ist. Ich bin nämlich in keiner. Ich habe nicht einmal ein anderes Leben zu vermissen oder neu zu lieben, ich bin nur noch deutlicher als früher allein und in keinem Zusammenhang. Damit bin ich freier als du. Meine Erinnerungen an dich taugen nur mehr als Relikt einer Zeit, auf die ich nun keinen Zugriff mehr habe. Ich weiß nicht wohin mit meiner Erschöpfung, sodass ich sie nach innen kehre und sie mich auf dem Weg dahin verstehen lässt, dass ich immer nur auf dem Weg zu dir sein kann. Das ist unser Dialog. Das ist meine Freiheit.

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Charlotte Palatzky
Emotionalisierungslehre

»Verschoben haben sich in der gesamten Kultur (nicht nur im Politischen!) die Stile, mit Emotionen umzugehen.« (Landweer 2021: 75)

Hört ihr das, so schreien Molotowpamphlete: Ich werde hier schlichtweg mit einer Aggression reintreten, werde derart um mich schlagen, dass vor lauter Bersten kein anderes mehr hörbar wird. Verdichten werde ich mich auf dich, verankern werde ich mich an dir, stäubend fixieren, wie Eisenpartikel in eine Rüstung vom Schmied um Körper geschlagen werden, werde mich nicht von dir lösen, dich mit Gewalt konfrontieren, weil du mich gebrochen hast, bekommst du Hass. Landnahme hast du mit mir getrieben, mich eingezäunt, ausgezäunt, gezähmt, ummauert, ich will deine Grundstücke haben. Neidlich denke ich, du seist ein einzigartiges Ressentiment, gegen das ich schäumen darf, ich bin der Zorn, die Verachtung, jetzt, der Hochmut. Ich brauche dich nicht zu Fall bringen, du berührst mich nicht. Entgegengesetzte Bestrebung, ich wende mich von dir ab, von den Fingern, die nach meinen Fesseln greifen, von unten herauf diesmal, ziehe sie irritiert weg, die eine Augenbraue nach oben, bin ein bisschen angeekelt, aber will mich ehrlich gesagt nicht mehr dafür interessieren. Durch dich brennt nichts in mir. Tatsächlich oder eingebildet, möchte ich dich höchstens noch zivilisieren, mein Mord hat einen moralischen Anspruch, der sich kümmert, sich um dich nicht zu kümmern braucht, verdammte Axt. Der Kampfgeist ritter:innenlicher Aggression drückt sich in immer gleichen Schlägen aus, in Eisenbrust eingemeißelt, verdichten, Fixierung in gereizter Weise, die explodiert, und frag mich nicht nach meinen Gefühlen, die haben in der Politik nichts verloren, Emotionalisierung beschließt jede Generation für sich, ich mache das ohne Gefühle und deute Hass in Überlegenheit um, du bist Hammer (wie du dich bewegst in dem Outfit), heiß kalt.

Landweer, Hilge 2021: Erlaubte und verbotene Aggressionsaffekte im öffentlichen Raum. In: P. Helfritzsch, J. Müller Hipper (Hrsg.): Die Emotionalisierung des Politischen. Bielefeld: transcript, S. 75–98.

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Lio Diona
Ungeschriebene Sätze

Pointenlose Witze
Von den eigenen Hunden gejagt
Quadratische Rundung
Vierstimmig überblasen
Flöten gehen
Weil ich so schreie
Vermutlich

Kaputt
Ungläubiger Zuspruch
Vorbeglückt verrottet
Rilke schreit oft
Hochmütige Verszeilen
Im Kopfstand
Sieht die Welt weniger verkehrt aus

Anmutiger Abgrund
Hüfthohes Hirschgeweih
Wütendes Weiß
Mit Brühe geflutet
Weidende Maid
Verweile nicht weit
Von hier wo ich wüste
Weil ich so schrei
Vermutlich
Ermutigt
Zu Hochmut
Verhöhnt

Durch den Abgrund der Seele
Verwelken die Kleee e e e
Idylle im Einmachglas
Ich rauche im Mundstück
Und gehe Flöten
auf den Kopf stellen
Ge Weih ter
Wo Schönes gewesen
Wo Raum
Dunkel und klar
Und hüfthohe Lippen
Noch kurz explodieren
dann lass ich dich
da

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Stella Schiwy
Kopfkino

6 Stunden Stille.
In meinem Kopf schreit die Idylle.
Es fehlen Bilder, Lieder und Schmerzen. In einem Plastikstuhl und weiße Wand habe ich mich verrannt. Ich gehe rein in abgenagte Bilderwände und weide auf dem blauen Sofa.
Watch me explode.
Zerrissen in tausend Teile. Wer bin ich?
Ein Puzzle aus meinem Zorn. Drei Wochen setze ich mich zusammen.
Schmier mir Honig ums Maul, damit ich dich verstehe. Ich kann nur hören, wie du höhnest.
Ich starre tief in deine Kehle.
Eingemachte Zitronen schwimmen in meinem Schädel. Säure flutet alle Kanäle.
Ich lache, wüte, schlafe.
Gedanken verrotten im Abgrund meiner Seele. Morgen schlachte ich die Fehde.
Die Sense schneidet meine langen Locken.
Das Ende der Anmut ist da.

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Anna Horak

ambrosia flirrt über den protokollen, belächelt ihn, den honig, holzapflig verwildert zwischen den speeren, die
nur ins schwarze treffen, nicht ins süsse. ich stehe zwischen den schwärmen, ausgestülpt, ausgestrichen, mit feinen härchen. veradelung geschieht nicht hinterverschlossenen türen. nicht im dunkeln, im tiefen, im gottverfürchteten. verlasst mich nicht, olymp, olymp, renne ich mit holzbein um die spiele. giesse teer auf die rennbahn, damit man mich hört beim gehen, damit ich nicht auch schreien muss. ihr glaubt mir ohnehin nicht. doch hallen kann ich dank des echos, es spukt mir im kopf herum, spuckt mir aus der kehle, aus der nase, aus allen höhlen, in denen ich mich verkroch. es riecht nach schaum wie weinen im meer. es klingt nach dem verstimmten klavier im siebten stock. es schmeckt nach ambrosia, von den göttern ausgekotzt.

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Josefine Sonneson
keine flöte keine lieder keine wiese kein klee

wer hört wen wer höhnt wen
ihr mich ich euch ich mich, nicht
sich von innen schreien hören
nein lieber nach draußen

ich habe lieder in mir
aber keine lust zu singen
nicht für euch

was im halse stecken bleibt
auf halber strecke
eure witze ohne pointe

aber nicht mehr meine wut

schwinge die sense über meinem kopf im kreis
nur so zum spaß

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Daniela Waßmer

So zürnen Götter.
Trunken von Feuer.
Kannst sie nicht hören,
nicht sehen.
Die toten Götter der Krähen,
die die Toten bestatten
und der Seuche entgehen.
Kann sie nicht spüren,
selbst ihn nicht greifen.
Den Funken der Götter.
Elysium, Totenreich.
Ich trage meine Schuld
als Schnabelmaske,
heile Pest, Epidemien,
krank an Männerstolz.

So zürnen Götter ihren Brüdern,
keine Bettler mehr,
Fürstenkinder nun.
Im Schatten verbrauchter
Gottheiten frei atmen,
gestrichen die Tyrannenketten,
aus Infamie zu verlorener Ehre.
Du schmeckst ihn nicht
den Wein des Cherub,
des abrahamitischen Dieners.
Er sagt »du stirbst,
wenn deine Götter sterben«,
ein kleiner Prinz,
die Götter der Krähen.

So zürnen Götter
ihren Schwestern
und zwingen sie,
das Schuldbuch zu vernichten,
den Todfeinden zu verzeihen.
Den Großen Alten,
die doch schlafen,
in Wasser und in Eis.
[…]

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Victoria Bergemann
Sebastian und Petra

Ganz oft, jedenfalls nicht selten, aber dann ziemlich plötzlich, bin ich kaminanzünderwütend auf all die, die durch Zufall um mich herum sind.

Sebastian und Petra zum Beispiel finde ich ganz schlimm. Ich habe Sebastian gesehen und er trug Ralph Lauren-Espadrilles. Wohl sehr feine Füße, der Herr. Petra trägt luftige Blusen mit floralen Drucken aus der ›Boutique Yvonne‹. Jede dieser Blusen kostet 130 €, denn sie wurden von ganz besonders begabten taiwanesischen Kindern gefertigt. Was weiß ich, ob er Sebastian heißt. In Kombi mit Petra jedenfalls ist er so ein richtiger Sebastian. Was weiß ich, ob sie Petra heißt, aber neben Sebastian bleibt ihr nur, eine Petra zu sein. Und wie sie da standen in der Schlange vorm Buffet, aber nicht um sich die geilen Garnelen reinzuzwitschern, denn Sebastian und Petra haben keinen Geschmack. Sebastian und Petra essen lauwarme Würstchen und kredenzen sich dazu einen Rioja hinter die Rüstung. Sebastian und Petra sind Menschen, die das Panorama betrachten, einen kanarischen Sonnenuntergang über dem Atlantik vielleicht, woraufhin einer von ihnen sagt: »Ja, wirklich schön, schön, aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?« Und selbstverständlich sind Sebastian und Petra überhaupt nur deshalb hier, weil Petras verstorbener Mann die Commerzbank-Filiale ihrer herzallerliebsten schwäbischen Kleinstadt geleitet hat. Er leitet sie nicht mehr, er hat gelitten. Er tat es mit Passion, dann nippelte er ab. Sebastian und Petra legen sich gern in einen 5-Sterne-Wellnessbereich mit einem schönen Gurkentee und sagen: »Fast so schön wie bei der Commerzbank«, und dann nicken sie sich bestätigend zu. Sie wären längst Werbegesichter dieses zauberhaften, ja ich sage zau-ber-haften Finanzinstituts, wenn sie nur nicht so hässlich wären. Sebastian ist Petras Sohn, sie essen jeden Abend gemeinsam. Sie loben dann das Essen und nicken sich zu, dabei schmeckt es in Wahrheit gar nicht, denn Sebastian und Petra haben keinen Geschmack. Sie sitzen dann am ausklappbaren Esstisch ihrer schönen Einbauküche des Einfamilienhauses in Überlingen oder Pfullendorf oder Tuttlingen. Dort, wo der Börsenmakler dem Wirtschaftsgrünen in einem herrlichen Steingarten im Herzen eines Neubaugebiets einen feuchten Gute-Nacht-Kuss gibt. Den ausklappbaren Tisch haben sie von einer Auktion, der gehörte mal dem Friseur von Boris Palmer. Toll! Sebastian ist immer nur zwei Monate mit seinen Lebensabschnittsgefährten zusammen, denn Petra mag es nicht, wenn ihr Sohn jemand anderem als ihr selbst Aufmerksamkeit schenkt. Sie kommt zu jedem Date mit. Einmal haben sie zu dritt das Gebäude der Commerzbank in Konstanz besucht. Ein wundervoller Tag im Mai war das. Sebastian hat oben eine ganze Etage für sich, deswegen ist es fast so, als würde er gar nicht mehr bei seiner Mutter wohnen. Und das so jung! Sicherlich wird Sebastian erst in zwei Monaten 39. Sebastian arbeitet von zu Hause aus, damit er keinen anderen Menschen als Petra begegnet, denn Petra mag das nicht. Einmal ist Petra zur Fleischerei gefahren und bemerkte erst beim Aussteigen, dass sich Sebastian in ihrem Rockzipfel verfangen hatte. Eines Tages wird man ihn erdrosselt, von ebenjenem Rockzipfel, in einem Straßengraben an der B 30 finden. Zwei Meter neben ihm ein Ralph Lauren-Espadrille. Der Pathologe ist Petras Geliebter und wenn er ihn vor sich auf dem Tisch liegen sieht, wird er sagen: »Ach nein, der Sebastian! In Baden-Württemberg haben wir wirklich die schönsten Leichen.« Petra wird bitterlich weinen und danach mehrfach im Jahr vom Geld ihres verstorbenen Ehemannes Sextourismus in ein beliebiges Land mit vielen armen Menschen machen. Vielleicht ja Mecklenburg-Vorpommern. Wer weiß, was die Zukunft noch so bringt?

Ganz oft, jedenfalls nicht selten, aber dann ziemlich plötzlich, bin ich kaminanzünderwütend auf all die, die durch Zufall um mich herum sind. Mit etwas Glück werden all diese irgendwann erdrosselt an der B 30 gefunden. Wer weiß, was die Zukunft noch so bringt?

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Bild mit freundlicher Genehmigung von Tanja Finke | Pfeil und Bogen