Zuerst ist da so ein Gefühl. Vielleicht von Freiheit, von Entspannen, von Loslassen-können. In Engelhartskirchen, in das Anna Maria nach einem One-Night-Stand von Hannes mitgenommen wird, tun Frauen, was sie wollen: laut feiern, im Dunkeln heimlaufen, gemeinsam Kinder großziehen, solidarisch zusammenhalten. Und ja, da sind auch Männer, aber sehr wenige und kaum sichtbar. Richtig zu Wort kommen sie nicht, und manche scheinen einfach verschwunden… In „Männer töten“ eröffnet Eva Reisinger das Gedankenexperiment einer matriarchalen Welt.
„Wir alle stellen es uns manchmal vor. Wir stellen uns Fragen. Fragen wie: Was wäre, wenn? Wie du es tun würdest / Wie es sich anfühlen würde / Was er schreien würde / Ob er betteln würde (…) Am Ende würdest du dich nicht fragen, ob Rache glücklich macht. Du kennst die Antwort.“
„Triggerwarnung: In diesem Buch sterben Männer.“ So wird Eva Reisingers Romandebüt satirisch eröffnet, das letztes Jahr bei leykam erschien und auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis stand. Es handelt von Anna Maria, die sich nach einer langen Nacht ohne ihren hippen Großstadt-Agentur-Job in der oberösterreichischen Dorfidylle wiederfindet und überrascht feststellt, dass es in Engelhartskirchen von Grund auf anders zugeht.
Es gibt viele glückliche Witwen, eine weibliche Pfarrerin und eine Menge ungewöhnliche Todesfälle unter der männlichen Bevölkerung. Männer töten verhandelt dichotomielastig große Themen, Freundinnenschaft und Solidarität etwa, oder Macht und Rache, und fragt: Wie verändern sich Gefühle und Verständnisse von Körperlichkeit, wenn das Patriarchat als Taktgeber wegfällt?
Was manche für zu überzeichnet halten mögen, ist doch erschreckend nah am Puls der Zeit. Denn: Dauernd sterben Mädchen und Frauen in Büchern – und in der Realität. Österreich machte im Jahr 2017 mit den meisten Femiziden in ganz Europa Schlagzeilen, Sexismus und patriarchale Gewalt stehen auf der Tagesordnung. Damit beschäftigte sich Reisinger auch während ihrer jahrelangen Tätigkeit als Journalistin bei der ze.tt und dem NEON-Magazin und in ihrem ersten Buch Was geht, Österreich? Eine Landjugend mit Wodkabull und dem Herrgott, das 2021 bei Kiepenheuer & Witsch erschien. Nun legt sie mit „Männer töten“ einen überraschenden, aber durch die gesellschaftliche Allgegenwärtigkeit der Thematik leider wenig schockierenden Roman nach.
Dabei bewegt sich der Schreibstil von Eva Reisinger mal zwischen unbeschwert und heiter, mal zwischen ernst und nüchtern. Das Leben in Engelhartskirchen plätschert so dahin, eine scheinbare Idylle – und trotzdem schwingt da immer dieses Unbehagen in der Leichtigkeit mit. Zum Beispiel dann, als die neugewonnene Freundin und Nachbarin Sabine Anna Maria erzählt, wie sie ihren Mann umgebracht hat. Klischeebehaftete Saufgelage wechseln sich ab mit detailgetreuen Erzählungen von Gewalt.
Plötzlich sind da die Fragen: Ist Mord als Gegenwehr okay? Was rechtfertigt Brutalität? Und: Muss Schwere immer schwer zu lesen sein? Antworten liefert Reisinger nicht, dafür aber ein paar Stunden des Sicher-Fühlens in einer Art Paralleluniversum, das als Spiegel zur realen Welt etabliert wird. Und diese Stunden überzeugen.
Die Radikalität und Absurdität der ganzen Geschichte ist so traurig, dass sie schon wieder lustig ist. Makaber, aber unterhaltsam. Bitterböser Galgenhumor. An der Oberfläche mag das zu plakativ erscheinen, zum Beispiel an der Stelle, an der Sabine erklärt: „Er rechnete nicht mit Rache. Nicht einmal mit Widerstand. Warum sollte er? Das gesamte System war auf seiner Seite. Er musste sich keine Sorgen machen. Am Ende gewann immer er“.
Bei genauerem Hinsehen ist es jedoch genau diese Plakativität, die den Roman so radikal und die Darstellung des Gedankenexperiments einer matriarchalen Welt so verheißungsvoll macht. Schade ist, dass viele Handlungsstränge nur angerissen werden und das Ende es nach einer etwas langatmigen Mitte sehr eilig zu haben scheint. Das tut der Erzählung der Charaktere, die sich aus der Angst hinaus selbst ermächtigen, allerdings nur wenig Abbruch.
Fest steht: Der Titel dieses Genreblends aus Popliteratur, Krimi und Heimatroman bietet nicht ohne Grund zwei Lesarten an. Der Roman fungiert als gelungenes Mahnmal, das viel Stoff zum Nachdenken, aber auch zum Lachen anbietet.
Leykam Buchverlag, 2023, 288 Seiten, Hardcover
Eva Reisinger
Eva Reisinger, geb. 1992, wuchs in der oberösterreichischen Provinz zwischen Zeltfest und Wodkabull auf. Sie studierte in Wien Journalismus, arbeitete in Medienhäusern in Hamburg, Berlin und Istanbul. Ab 2017 baute sie einen Österreich-Schwerpunkt für das junge Medium der ZEIT auf und berichtete als Korrespondentin aus dem Nachbarland. Ihr erstes Buch „Was geht, Österreich?” erschien 2021 bei Kiepenheuer & Witsch. Für ihren Debütroman “Männer töten” erhielt sie das Start-Literaturstipendium der Stadt Wien und wurde für den österreichischen Debütpreis nominiert. “Männer töten” wurde von FM4 zum Buch des Jahres gekürt. Sie lebt als freie Autorin in Wien.