„Lasst uns weiter räubern! Der Beutesack ist noch lange nicht voll!“
Die drei RäuberInnen Kaspar, Bronski und Wanda leben zusammen im gefährlichen Wald. Dort wird es ihnen nie langweilig. Natürlich sind es RäuberInnen, schließlich ist Wanda mit dabei. Alles andere wäre ungerecht, denn RäuberInnen sind gleichberechtigt und stehen füreinander ein. Gemeinsam sind sie eine gerissene Bande und dass sie gefährlich und furchteinflößend sind, äußert sich nicht nur durch die bedrohlichen Namen. Nein, Kaspar trägt sieben Messer mit sich, wie RäuberInnen das eben so tun. Sie müssen wild und gefährlich sein und auch so aussehen. Also ist Haare kämmen verboten und dreckige Fingernägel sind ein Muss. Zusammen ergaunern die drei allerhand auf ihren Raubzügen und der Beutesack füllt sich im Laufe der Geschichte mit einer Schildkröte, einem Regenschirm, einem Pizzakarton, Chips, Weihnachtsservietten und noch vielem mehr. Obwohl Kaspar die Chips klammheimlich aufisst, ist das gar nicht schlimm, schließlich hat eine RäuberInnenbande besseres zu tun, als sich über so eine Lappalie zu streiten. Viel wichtiger ist es, den nächsten Raubzug zu planen!
Ständig sind Bronski, Wanda und Kaspar auf der Suche nach Dingen, die in der heimischen Räuberhöhle gut zu gebrauchen wären. Sie treffen auf verschiedenste Menschen, wie etwa den Jungen Oskar, der gerne und viel am Computer spielt. Er hat eine kleine Katze, die sich doch eigentlich ganz gut in der RäuberInnenhöhle machen würde…
Wenngleich die drei gemein und brandgefährlich sind, so haben sie doch ein Herz für andere und helfen (wenn auch nebenbei), wo sie nur können. Etwa der kranken Frau Wehinger, die von den RäuberInnen Weihnachtsservietten als Taschentuch-Ersatz bekommt. Und die Begegnung mit dem Eisbonbon-Augen Gespenst ist gar nicht mal so beängstigend wie anfangs gedacht. So verdanken die RäuberInnen dem Gespenst ihre schwarzlackierten Fingernägel – mit Totenkopfmotiv!
Was erleben die drei RäuberInnen wohl als nächstes und wer sind eigentlich die sieben unsichtbaren Neffen?
„Habt ihr schon von dem Wald gehört?“
Die Illustratorin Verena Hochleitner verfasst in diesem Buch zum ersten Mal selbst den Text zu ihren Illustrationen. Die Sätze sind kurz, doch manchmal nicht ganz simpel gehalten. Es ist nicht klar, ob jedes achtjährige Kind bereits Begriffe wie „argwöhnisch“ oder Redewendungen wie „um seine Moral zu stärken“ kennt. Da die Autorin aus Österreich stammt, sind in der Geschichte Dialektwörter, wie beispielsweise „Schwammerl“ oder „Küchenkredenz“ enthalten, die eventuell ebenfalls einer Erklärung durch eine*n Erwachsene*n bedürfen. So auch die „Pölster“, in die sich Maja, — oh Verzeihung, Wanda natürlich — am Anfang des Buches kuschelt. Diesen Plural von Polster gibt es in der deutschen Sprache nicht, im Österreichischen dagegen schon.
Ein weiterer Punkt, der in Kinderköpfen möglicherweise für Verwirrung sorgen kann, ist das Vorgreifen der Autorin auf verschiedene Inhalte der Geschichte. Sie setzt manchmal Sachverhalte voraus, die erst in den kommenden Sätzen und Seiten erklärt werden. Gerade in dem Einführungskapitel „Habt ihr schon von dem Wald gehört?“ springt die Autorin in ihrem Gedankenfluss so viel hin und her, dass es selbst für fortgeschrittene Leser*innen unübersichtlich werden kann.
Sie beginnt mit einer relativ ungenauen Ortsangabe des Waldes, der sich nämlich „um die Ecke“ befinde. Schlussendlich weiß aber doch niemand genau, wo dieser Wald eigentlich ist. Vielleicht ist das der Phantasie überlassen. Denn darum gehe es ja auch eigentlich gar nicht, schreibt sie weiter, sondern um die Bewohner*innen. Anfangs muss deshalb erstmal von der RäuberInnenbande erzählt werden, die im Wald ihr Unwesen treibt. Einerseits sind die Leser*innen dadurch sofort im Geschehen, auf der anderen Seite können die Geschichte und der Lesefluss durch diese Gedankensprünge als unnötig kompliziert wahrgenommen werden.
Neben der Haupthandlung befasst sich das Buch thematisch mit Dingen, die Kinder beschäftigen. Etwa die Angst vor dem Fingernägel-Schneiden oder die Abneigung gegen das Baden. Hochleitner versucht bestmöglich, sich in die kleinen Seelen ihrer Protagonist*innen hineinzuversetzen und erzählt die Geschichte gespickt mit jeder Menge kindlicher Logik.
Unvorteilhaft könnte nur sein, dass in dem Buch die Markennamen wie „Pringles“ und „Playstation“ erwähnt werden, die mit Leichtigkeit durch „Pappröhre“ und „Spielkonsole“ ersetzt werden könnten. Damit hat sich die Autorin die Aufmerksamkeit der jungen Lesenden gesichert. Dennoch ist es eher ein billiges Mittel, das der ansonsten wirklich humoristische und kluge Text eigentlich gar nicht nötig hat.
Umso mehr besticht „Die drei Räuberinnen“ mit einer liebevollen Gestaltung. Verena Hochleitner verwendete in ihrer Illustrationstechnik Gouachefarben auf Folie, legte die einzelnen Illustrationen übereinander und fotografierte diese ab. Durch die speziellen Farben wirkt das Buch knallig und lebendig – passend zum aufregenden RäuberInnenleben. Durch die ungewöhnliche Gestaltung des Buches, die zeitweise an die Collagentechnik von „Die kleine Raupe Nimmersatt“ erinnert, ist der Autorin die Verschmelzung zwischen RäuberInnenwald und Mehrfamilienhaus gelungen. Oft ist der Text in die Illustrationen eingebunden, was auch beim Vorlesen ganzer Kapitel keine Langeweile bei den Zuhörer*innen aufkommen lassen wird. So bietet das Buch Leser*innen sowie Zuhörer*innen auf ihrer Reise durch den RäuberInnenwald viel Raum zum Entdecken kleiner Details.
„Sei frech, wild und wunderbar“
Diesen Rat für ein abenteuerliches und bloß niemals eintöniges Leben, hat uns schon Astrid Lindgren gegeben, die Schöpferin unserer Lieblings-Kindheits-Heldin. Und ein bisschen so wie Pippi Langstrumpfs Abenteuer sind auch Wandas, Bronskis und Kaspars Beutezüge.
Dabei ist es schön, dass auch die unerschrockensten und wildesten RäuberInnen -und wir mit ihnen- ganz schön viel lernen können: Zum Beispiel, dass Tränen und Angst schon in Ordnung sind, aber wir uns dann umeinander kümmern sollten. Dass alle Meinungen und Mitglieder einer Gemeinschaft zählen und berücksichtigt werden sollten. Dass Zusammenarbeiten, Helfen und Achtsamkeit meistens doch ein gutes Gefühl geben (und man dabei ja trotzdem ganz räuberisch lachen kann).
Und auch wenn die drei Hauptfiguren nicht unbedingt divers sind, so kann zumindest ein Nebencharakter im Buch als Person of Colour gelesen werden. Außerdem ist es erfrischend, dass die Figuren nicht irgendwelchen Geschlechter-Stereotypen entsprechen. Hier im Treppenhaus-Wald tragen alle schwarzen Nagellack, um gefährlicher auszusehen. Oder denken ans Spielen mit Puppen, falls das RäuberInnen-Leben kurz mal langweilig scheint. Oder brauchen eine Umarmung und Nähe, falls es doch gruselig wird.
Denn zuallererst sind sie RäuberInnen. Da tut und trägt man einfach, worauf man Lust hat und was gut tut. All diese Werte werden vermittelt, ohne, dass es groß thematisiert wird, sondern ganz selbstverständlich getan, erlebt wird. Und das in einer farbenfrohen, ein bisschen absurden Welt mit kleinen Wunderlichkeiten, über die man gemeinsam schmunzeln und staunen kann. Die schrägen Charaktere drumherum sind groß, klein, dünn, dick, alt, jung. Aber vor allem bunt und nie langweilig.
Verena Hochleitner erinnert mit dieser Geschichte Groß und Klein daran, dass wir mit ein bisschen viel Phantasie alles um uns herum in ein großes Abenteuer verwandeln können. Genau so wie Pippi oder eben unsere furchtlosen Held*innen. Sie schafft es mit diesem Buch ganz nebenbei etwas zu vermitteln: Dass wir uns selbst aussuchen, wer und wie wir sein wollen, aber dabei nie vergessen sollten, aufeinander zu achten, aufzupassen und zusammenzuhalten.
Und wenn wir uns das bei allen Abenteuern zu Herzen nehmen, dann stimmt es, was Wanda sagt: „So ein RäuberInnenleben ist einfach wunderbar.“
Die drei Räuberinnen – Verena Hochleitner, 136 Seiten, Tyrolia Verlag, ab 8 Jahre