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Über Wirkliches

  • 21. Juni 2021
  • Hannah Wendt
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Das Märchen sublimiert die Gestalten der Welt zu reinem Sinn — die Verworrenheiten des alltäglichen Daseins, das innere Hadern, das ausschweifende Beobachten, das sich im nächsten Moment selbst Einhalt gebietet und spurlos übergeht in wichtigere Tätigkeiten — all diese Intermezzi, die nicht wirklich in unsere Unternehmungen einzugreifen scheinen, bleiben im Märchen entweder einfach unerzählt (es gibt sie nicht), oder sie kristallisieren sich zu eindeutigen Handlungen, Geschehensantreibern.

Dass sich die gesamte Märchenwelt auf dieser einen Handlungsebene abspielt, sorgt für eine kaum zu übertreffende Klarheit.1 Diese aber bloß als eine Reduktion der uneindeutigen Welt auf ihre eindeutigen Züge, auf sinnhaltige Strukturen zu interpretieren, wäre langweilig und wohl überdies zu kurz gegriffen.

Das Übernatürliche wirkt wie selbstverständlich an Handlung und Sinnstiftung mit.

Die Plastizität der Figuren und ihres Zusammenwirkens in der Märchenhandlung verdankt sich vielfach einer immensen Abstraktion: Die Isolation der Stereotypen, Schachfiguren mit je eigenen unveränderlichen Handlungsoptionen, erlaubt eine unermessliche Vielzahl von Kombinations- und Interaktionsmöglichkeiten, gerade sie stellt ihre Universalität erst her.2

Inhaltlich gestaltet sich das Märchen ebenso paradox: Nicht nur wird das Übernatürliche für ganz normal genommen, sondern das Unwirkliche ist es oft gerade, das den entscheidenden Ausschlag zur Konfliktlösung gibt, es erscheint nicht selten als der sichere Hafen, der die Zuflucht gewährt.

Das Übernatürliche wirkt wie selbstverständlich an Handlung und Sinnstiftung mit. Mehr noch: Es verbirgt regelrecht den Sinn des Märchens. Mit welchem Nachdruck dies zu lesen ist, zeigt, dass das Märchen sogar immer unglaubwürdiger wird, je mehr es versucht, der Wirklichkeit die Treue zu halten: Wird das Wunder zugunsten einer Maschinerie aufgegeben oder wechselt die Erzählerperspektive zur Ich-Erzählung, so wird das Märchen schnell zum Schwank, markiert sich als Lügenerzählung oder betont die Unwirklichkeit des Gesagten.3

Dem Gestus des Märchens liegt also offenbar ein Weltverhältnis zugrunde, das von dem Üblichen vollkommen verschieden ist.

Für das Märchen setzt sich eine unabstreitbar sinnvolle Welt aus natürlichen und übernatürlichen, aus ebenso unwirklichen wie normalen Gegebenheiten zusammen, wobei beides nicht in Widerstreit steht. Es scheint von einer Einsicht getragen, die heute weitgehend verdrängt oder verloren ist: dass Sinnstrukturen sich in gewisser Weise abseits der beschreibbaren Abläufe, der akribisch zu kartografierenden Dinge und Handlungen etablieren, und ohnehin immer letzte Fragen offen lassen. Sinn kommt durch Abblendungen und Erweiterungen zustande, und es ist gewissermaßen unentscheidbar, wo das eine oder das andere einsetzt. Die Entfernung zu dem, was nicht ganz unproblematisch als ‚Realität‘ bezeichnet wird, ist dabei regelrecht unablässig.

Interessant ist, dass die Eindampfung des Geschehens auf solchen reinen Sinn nicht nur den Weg ebnet zu einer kristallklaren Eindeutigkeit, sondern diese Eindeutigkeit ihrerseits wieder einen immensen Raum von gestaffelten Vieldeutigkeiten öffnet. Der abstrakte Sinn der Märchenhandlung ist so zugänglich, weil er sich einerseits direkt erschließt, andererseits aber in gewissem Sinne offenlässt, was er erschließt. Die Märchenhandlung verhält sich wie der Poe’sche Brief: Sie ist versteckt, weil sie offen zutage liegt. Dies ist, so meine ich, das Geheimnis, durch das im Märchen eine Universalität zutage tritt, die dem üblichen Anspruch an die Beschreibung der ‚Realität‘ einiges voraushat.

1 Vgl. Max Lüthi, Märchen, 10., aktualisierte Auflage, Stuttgart / Weimar 2004, S. 29ff.

2 Vgl. Kathrin Pöge-Alder, Märchenforschung. Theorien, Methoden, Interpretationen, 3., überarbeitete u. erweiterte Auflage, Tübingen 2016, S. 227f.

3 Vgl. Lüthi, Märchen, S. 117f.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Milena Maren Röthig | Pfeil und Bogen
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