Was wäre wenn
Was wäre wenn
Was wäre wenn wir heute nicht proben
Wenn wir in der zweiten Potenz schon die zehnte sehen
Wenn die Ameisen recht behielten
wenn das Zimmer aus Schnee taut
wenn in Nixland kein Platz mehr ist
Was wäre wenn wir uns ins Wort fallen
Wenn sich nichts mehr ähnlich sieht
Faustregeln und Winterschlaf
Es gebe eine Übergangsregelung, sagt G., die beantrage sie jetzt. Seit drei Tagen beantrage sie diese Übergangsregelung. So kompliziert sei das alles, dass sie eigentlich eine Schulung brauche, bloß um die Übergangsregelung erstmal zu verstehen. Sie wisse aber nicht, wohin der Übergang führe, also in was der Übergang übergehe, wenn ich verstünde, was sie meine, besser könne sie das nicht ausdrücken. Da sie vorher kaum Einkünfte gehabt habe und danach vermutlich auch keine, könne der Übergang ja eigentlich auch nichts anderes sein als verwaltetes Elend. Ja, sie wisse, dass anderswo auf der Welt das Elend größer sei. Sie wisse auch, dass Elend wohl nicht das richtige Wort sei. Immerhin verhungere ja niemand bei ihnen.
Und ich solle jetzt bitte nicht anfangen mit Moria, das sei ja eine Keule, damit könne man ihr jetzt nicht kommen, jeder habe eben sein eigenes Päckle zu tragen, und Moria, das sei schrecklich, aber man müsse sich auch abgrenzen können, wo doch die Bilder überall herumspukten, man könne doch nicht auf Dauer in einem Albtraum leben. Sie müsse jetzt zurück an den Schreibtisch und sich mit der Bürokratie herumschlagen, ich solle sie nicht so vorwurfsvoll anstarren, ich hätte eben solche Sorgen nicht, mit Übergängen und so weiter, sie wolle ja spenden für Moria, aber das könne sie erst, wenn die Übergangsregelung greife, denn wie es derzeit auf ihrem Konto aussehe, das wolle ich gar nicht wissen.
Das Desaster zu entziffern, führt in die Irre. Es markiert uns als die Irre. Der Bezug zum Desaster, zur Not und zur Notwendigkeit scheint aus unserer Höhe weggebrochen. Was uns das Äußerste ist, bleibt tatsächlich gering und hat doch zugleich kein Maß, in jedem Wortsinn. Wir sehen, wenn wir denn was sehen, was uns bestimmt ist, ohne davon betroffen zu sein.
So ist das Desaster ohne Belang. Mehr wollen wir nicht wissen. Moria, eine der Najaden, vor der sich laut Nonnos sogar Zeus fürchtete, belebt im Berliner Pergamon-Museum Tylos wieder, der von einer Schlange tödlich verwundet wurde, und fleht dafür einen Riesen um Hilfe an. Nichts genügt dieser Zerstörung von Moria, alles Abstandnehmen wird vereitelt und entlässt uns in die Passivität des Desasters.
Jetzt habe es ihr, sagt F., die Sprache verschlagen, es habe ja auch anderen die Sprache verschlagen, oder hätte ich irgendwo etwas gelesen zu Moria, das mehr sei als ‘das musste ja passieren’ oder ‘wir sollten uns schämen’, wobei das, sagt F., ja noch die angemessenste Formulierung sei, oder?
Ich könne ja auch mal was sagen, diese Passivität, die mache sie fertig, sonst sei ich ja auch nicht auf den Mund gefallen, oder habe mir die Scham die Sprache verschlagen, dann müssten wir ja alle verstummen, sagt F., aber das könne ja auch nicht die Lösung sein, vielleicht solle man hinfahren und nichts anderes mehr schreiben als Protokolle, ja schon gut, das sei jetzt nicht touristisch gemeint, oft genug hätten wir doch über eine Poetik der Solidarität diskutiert, und jetzt wolle sie mal sehen, was man damit anfangen könne, also sie könne damit nichts anfangen, und ich anscheinend auch nicht, und es gehe ja auch gar nicht um uns.
Slate Island 1
Störstufen in der oberfläche : halden, trümmerfelder, boden bedeckt mit schieferscherben : unter den schritten unablässiges klacken und knrischen, schlag-, schleif- und reibelaute, metallisch hell die splittersprachige frage nach der größeren versehrung : die splitter selbst oder der boden, den sie decken : jeder splitter ein neues fundstück : bläulich, bräunlich, rostgeädert, zeichentragend : eine verschlüsselte schrift, die sich einst um vergessene laute geschlossen haben mag.
Esther Kinsky
We were goin‘ nowhere. Just driving around.
You did all the talking and me I didn’t make a sound
If I open my mouth now I’ll fall to the ground
If I could open my mouth. There’s so much I would say.
Like I can never be honest. Like I’m in it for the thrill.
Like I never loved anyone. And I never will.
Eagle bites the weasel. Weasel bites back.
They fly up to nowhere. Weasel keeps hangin‘ on.
Together forever.
And me? I’m goin‘ in circles. I’m circling around.
And if I open my mouth now I’ll fall to the ground.
Laurie Anderson
“as sleigh bells sound seem in summer or bees at christmas show so fairy – so fictitious – the individuals do repeated from observation” (Emily Dickinson)
“Wie Schlittenglocken im Sommer klingen oder Bienen sich zu Weihnachten so feenhaft – so fiktiv – zeigen, wiederholen sich die Individuen in der Beobachtung”
Die Notwendigkeit und Unmöglichkeit des fremden Blicks in der Balance zu halten. Ich übersetze das teilweise, um es vorzulesen, um dann bei Unübersetztem und Unübersetzbarem einzuhaken, in Schleifen schlingernd. Die Drift der Wörter besitzt Schwerkraft, gewinnt Doppelsicht. Janus in Wut und Depression, aber milde und beiläufig. Dazu reflexhafte Grausamkeiten, entwaffnendes Mitgefühl, lebenslange Häutung. Also distanziere ich mich mit Fugenwörtern, möglichst wenig mit Metaphern, eher mit halb um Verrätselung bemühten Metonymien, in denen das große Ganze fraglos scheint und der Mantel, die Unterschrift, die Umschrift, all das, was dafür einstehen soll, ungläubig und schmerzlich bestaunt werden.
Der Text ist die Infusion („to stay anywhere on the earth’s surface is to bleed“, Michael Hofmann). Mir fehlt es nicht an Widersprüchen. Die Lektüre ist von Störgeräuschen durchsetzt. Ich streune durch die Zeilen und werde von etwas zusammengehalten, wie ein gebrochener Spiegel. Furchtsam und beruhigt werde ich endlich nur irgendwer, “dissatisfied and unproficient“.
No that is not it nothing that I have done nothing I have done is made up of nothing and the dipthong ae together with the first person singular indicative of the auxilliary verb to have everything I have done is the same if to do is capable of an infinity of combinations involving the moral physical and religious codes for every thing and nothing are synonymous when energy in vacuuo has the power of confusion which only to have done nothing can make perfect | Nein das ist es nicht nichts was ich getan habe nichts habe ich getan wird gemacht aus nichts und dem Diphthong ae zusammen mit der ersten Person Singular indikativ des Hilfs- verb haben alles was ich getan habe ist dasselbe wenn zu machen fähig sein heißt zu einer Unendlichkeit an Kombinationen einschließlich der moralischen physischen und religiösen Codes weil alles und nichts synonym sind solange Energie im Vakuum die Kraft zur Verwirrung hat was nur durch nichts getan zu haben vollkommen werden kann |
Spring and All, 1923
Das Chamäleon des Apfelbaums, dessen Ast den Boden berührt und den Weg der Kamille führt. Wie sieht das Wort aus. Der Baum, der Ast, der sich selbst los macht vom Rest, aus der Mitte heraus, und andere Früchte wirft als die von oben, die schon faulen, bevor sie den Boden erreichen. Wie Zahlen steigen sie aufrecht oder nach rechts lehnend ans Licht, nicht in Linien, sondern in Ballungen, gebrochene Schwärme. Darunter mageres Gras, viel Moos, Erdwespen. Sie machen ein Bild und die Welt, in der ich mich vergessen kann, einen Schrei ohne Schrei.
Da und nicht da zugleich, wir wir wir, unbeständig in den Farben, doch leise und anwesend, falsch also, also nah. Ich insistiere auf das Unleserliche, auf die Nasenfalz, auf schroffe Ränder, auf die Mischung der Schichten, auf die Verwaisten und die Schreibhand, auf die Bruchkanten, die ich weiterhin kopieren werde, und auf Zunder, auf so viel Aber, auf jeden dichten Zopf und jedes springende Loch, den glimmenden Zucker bevor ich verschwinde, auf die Belange jeder Silbenmilbe, das schwere Alphabet, ich streiche es aus und lasse den Mond angefacht im losen Flor, auf die grauen Löcher und Lücken und Lügen, auf den Sprung.