Das Geld spricht - Ernst-Wilhelm Händler
Das Geld spricht - Ernst-Wilhelm Händler

Das Geld spricht

Geld ist omnipräsent. In Ernst-Wilhelm Händlers Roman Das Geld spricht macht sich das Zahlungsmittel genau diese Eigenschaft zu Nutze. Es schlüpft in die Rolle des auktorialen Erzählers und schildert die Geschichte rund um eine halbe Milliarde, die ein Tech-Gründer aus den USA einem Frankfurter Banker anvertrauen will. Der Banker wiederum hat die Entscheidung zu treffen, welcher Person er das Geld zur Anlage übergibt. Zur Auswahl stehen drei Hedgefonds-Manager, deren Persönlichkeiten mindestens so eigenwillig wie ihre jeweiligen Anlagestrategien sind.

Händlers Studie des Finanzsektors zeigt, wie sich Menschen vom Einfluss des Geldes korrumpieren lassen. Für die Welt des Bankers gilt: „Wenn Gehalt und Bonus zunehmen, wachsen die Ansprüche an den Lifestyle mit Lichtgeschwindigkeit. Aber sie sind irreversibel. Wenn Gehalt und Bonus kleiner werden […] bedeuten die Einschränkungen ein großes Unglück.“ Soweit ist das aber nichts Neues. Die Darstellung von kaputten Bankern hat Tradition. Doch während Oliver Stones Wallstreet oder Bret Easton Ellis American Psycho vor allem den Typus Banker als moralisch fragwürdigen, respektive schlichtweg bösen Charakter anlegen, liegt Händlers Fokus vielmehr auf den Strukturen, die gewisse Verhaltensmuster in den Menschen reproduzieren. Er verzichtet darauf, diese als gierige Individuen dazustellen, aber genau in dieser Abwesenheit von Klischees liegt eine Stärke des Buches.

Die Figuren und die sozialen Gefüge sind stark stilisiert. Die männlichen Protagonisten bekommen keine Namen, sondern werden lediglich durch ihre Funktion benannt (der Banker, der Nano-Mann). Die wenigen auftretenden Frauen haben zwar Namen, aber nahezu alle wirken wie starre Wachsabbilder von wirklichen Menschen. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass sie, außer der einzigen weiblichen Hauptfigur Banana Clip, nicht im Finanzwesen tätig, ergo für das Geld uninteressant sind. Aber so vereinfacht die Figuren scheinen mögen, so komplex ist das System, in dem sie sich bewegen. Das Geld stellt den Zusammenhang zwischen den Protagonisten her und benutzt dabei Vokabeln wie Diskontierungsfaktor, Fischer-Effekt oder Contrarian-Metastrategie mit großer Selbstverständlichkeit.  

Ohne ein Grundverständnis wirtschaftswissenschaftlicher Theorie tut man sich deshalb an einigen Stellen schwer, den Ausführungen zu folgen. Das Geld fachsimpelt über die internationalen Verstrickungen des Kapitals und über die willkürlichen Muster, denen diese folgen. Am Ende steht die Behauptung, dass sich die Finanzströme durch ökonomische Modelle weder erklären noch voraussagen lassen. Vielmehr ist das Geld ein Indikator für das Vertrauen und den Glauben der Menschen in die verschiedensten Institutionen und Entwicklungen.

Die Handlung wird regelmäßig unterbrochen von selbstreflexiven Monologen des Geldes. Der Tonfall dieser Tiraden ist mal zornig, mal entrüstet. So offenbaren sich nach und nach vielschichtige Charaktereigenschaften des Geldes. Sie reichen von übersteigertem Selbstbewusstsein („HABE ICH ETWAS MIT ZUFRIEDENHEIT UND UNZUFRIEDENHEIT, MIT GLÜCK UND UNGLÜCK ZU TUN? NATÜRLICH“) über Größenwahn („Ich habe keine Grenzen, ich kenne keine Grenzen!“), bis hin zu paranoiden Anwandlungen („DER NEGATIVZINS IST EIN FRONTALANGRIFF AUF MICH.“) 

Vor allem ist das Geld aber zynisch, denn es weiß sehr genau: „Die Finanzinstrumente haben nur einen Zweck: die Bereicherung derjenigen, die sich mit den Instrumenten auskennen.“ Sich seiner mächtigen Position bewusst, stellt das Geld selbstgerecht fest: „Ich bin die erfolgreichste Sprache, die es gibt.“ Der Charakter des Geldes ist nicht weniger ausgearbeitet als jene handelnden Protagonisten, deren Geschichte es erzählt. Das ist das wahre Kunststück dieses Romans, eine Personifizierung des Geldes, die — trotz ihrer Überzeichnung — an vielen Stellen schmerzhaft real erscheint.

Obwohl es viel um gewichtige, individuelle (Anlage-)Entscheidungen geht, beschreibt Händler letztlich systemische Abhängigkeiten seiner Figuren und deren Metiers. Der Roman wirft die wichtige Frage auf, ob auch jene Akteure, die an der Spitze der kapitalistischen Ausbeutungspyramide stehen, nur Opfer eines halsbrecherischen Systems sind, welches auf dem vielleicht wirkmächtigsten Konstrukt in der Geschichte der Menschheit —  dem Geld — basiert.

Eine Investition in das Buch wird nachdrücklich empfohlen, auch wenn die Anlage unter Umständen für Fans des konventionellen Erzählens ein gewisses Risiko birgt.

Das Geld spricht (2019, S. Fischer), Hardcover, 22 €, 400 Seiten

Bild mit freundlicher Genehmigung von Fischerverlag