manuskripte 225/2019
[ich lese, sondiere darin und finde heraus, was mich daran interessiert. es gibt auch perlen, wie das immer so ist mit literatur. herausgekommen ist eine höchst subjektive live-gedankensammlung beim lesen.]Ich betrachte die Rückseite der Literaturzeitschrift, dort werden zwei Bücher aus dem Literaturverlag Droschl beworben. Auf dem Cover befindet sich ein abstraktes Gemälde in blau, weiß und schwarz, in der Farbe des Namens der Literaturzeitschrift erkenne ich darin zwei sich anschauende Gesichter, im Dialog.
Sprich zu mir, manuskripte-Ausgabe 225/2019!
Ich wage mich weiter hinein, taste das Inhaltsverzeichnis ab: Texttitel und Namen, auch die der Herausgebenden Alfred Kolleritsch und Andreas Unterweger. Einige Texttitel klingen in mir, andere so gar nicht. Ich werde mich zunächst durch viel Prosa kämpfen müssen, bevor ich zur Lyrik komme, auf die ich mich mehr freue.
Anmerkung 1: Was mir gleich negativ auffällt ist die nervige kleine Schriftgröße. Zusätzlich sind die Seiten so groß, das ist dann ja viel zu lesen, da hab ich schon nicht so viel Motivation für.
Werde ich die mir bekannteren Namen des Heftes aufmerksamer lesen? Und hat die Zeitschrift eigentlich ein Thema oder hab ich das übersehen? (Spoiler: Ich kenne nur zwei Namen, Ulrike Draesner und Friederike Mayröcker, was tatsächlich ein Qualitätsmerkmal für mich ist, ich bekomme immer ganz ungute Gefühle, wenn ich wieder und wieder Namen in Literaturzeitschriften lese, die ich schon kenne. Und Spoiler Nummer 2: Nein, sie hat kein Thema.)
Das Magazin erscheint mir generell sehr aus der Zeit gefallen, dabei ist es ja aktuell – das ist auch nicht motivierend, dieses geradezu Altertümliche in der Aufmachung, wie die Texte da so reingepresst zu sein scheinen ins lieblose Einheitslayout, na ja. Aber don’t judge a book by its cover.
I.
Hubert Burda: In memoriam Peter Hamm
Im ersten Text schon etwas, das ich befürchtet hatte, das mir mit dieser Zeitschrift passieren könnte: Hubert Burdas In memoriam Peter Hamm haut mir gleich die males einer Literaturjury und ihre uninteressante Erzählung ihrer Jurysitzung(en) unter Rückbezügen auf irgendwelche Dudes, die ich nicht kenne und die auch nicht weiter erklärt werden, entgegen. Der Text scheint offenbar eher zu funktionieren, wenn du diese Leute kennst bzw. vorauszusetzen, dass du sie kennst.
II.
Josef Winkler: „Ah, diese viehische Kunst“
„Ah diese viehische Kunst“ von Josef Winkler macht nicht immer beim ersten Lesen zu verstehende Schachtelsätze auf und ist ebenso uninteressant, erzählt vom Maler Degas und seinem Model Pauline, die dabei in meiner Lesart ziemlich unterdimensional bleibt und ihre Haupteigenschaft scheint ihre immer wieder gedroppte Nacktheit zu sein.
Anmerkung 2: Wie kann ich eigentlich gut gebaute Texte belegt kritisieren? Das ist wohl meine Hauptfrage. Und ich fühle diese Texte einfach so gar nicht.
III.
Anna Baar: Abwesenheitsnotizen
Anna Baar und ihre Abwesenheitsnotizen wirken da schon ein bisschen überzeugender auf mich, noch weiß ich nicht warum. Sie referiert an mehreren Stellen auf den Filmemacher Abbas Kiarostami, den notiere ich mir schon mal und nehme das aus dem Text mit. Aber darüber hinaus gibt es einen mega starken Part, in dem sie die historische Schuld der Menschen aus ihrer Heimatstadt Klagenfurt im österreichischen Bundesland Kärnten beschreibt (S. 23): „Fort, Ungeziefer namens Mensch! Die Stadt kann nichts für ihre Lumpen, nichts für ihre verbrecherischen Politiker, nichts für die Lasst-die-Vergangenheit-ruhen-Sager, die ihr ewiges Gestern beschwören. […] Nichts für die vielen, vielen, denen damals im selben Krankenhaus vom Primarius Franz Palla durch Zwangssterilisation oder Zwangsabtreibung unermessliches Leid zugefügt wurde Nichts für die Angehörigen der slowenischen Volksgruppe, die […] terrorisiert und ihrer Sprache beraubt […] wurden. Nichts für die beim Tunnelbau am Loibl zu Tode Geprügelten und Abgeknallten oder vom Klagenfurter Lagerarzt und späteren Oberarzt am Landeskrankenhaus durch die Benzinspritze oder sonst wie ums Leben Gebrachten. Nichts für die Angehörigen der kleinen jüdischen Gemeinde, die damals fast völlig ausgelöscht wurde. Nichts für fast zwei Millionen Jüdinnen und Juden, für deren Tod in Konzentrationslagern in Ostpolen zwei Männer aus Klagenfurt verantwortlich waren. Nichts für eine Historikerin, der nicht ein einziger dieser Toten der Rede wert war in ihrer halbstündigen Festtagsrede zur 500jährigen Geschichte der Stadt […]“ Das ist die erste Stelle dieser Zeitschrift, die nachhaltig in mir klingt. Auch was sie auf Seite 24 über sogenannte „normale Menschen“ und ihr „normales“, heiles, frohes Leben schreibt, sticht heraus. Die Notizen und Träume dazwischen in diesem Text brechen das ganz gut auf. Mein Kopf sagt: Yay! – Der Rest des Textes gefällt mir ebenso deutlich besser als sein Anfang und die bisherigen Texte. Braucht diese Ausgabe der manuskripte nur etwas Zeit, um warm zu werden? Oder ich brauche Zeit, um damit warm zu werden.
Anmerkung 3: Google sagt mir, dass es eine der wichtigsten österreichischen Literaturzeitschriften ist.
IV.
Björn Treber: sucht venedig. gedüchte
(gedüchte – gedichte/gerüchte?) Hier sind viele schöne Sätze drin, bis mich etwas auf Seite 30 irritiert: „Ohne die liebe des mannes oder der frau“ – ein paar Alarmglocken, weil das eine sehr binäre Stelle ist. Etwas weiter darunter ist ein ganz nices Zitat:„Ich bin nicht fein. Die gläser zerbreche ich im trinken. Wahr daran ist die sehnsucht, mit der ich mir selbst ins fleisch schneide, aber sie verhallt im nichts. Ich habe zuweilen blei in den adern, fühle ein gewitter im gehirn.“ Ich mag auch Kleinschreibung, wenn auch es hier nicht ganz konsequent ist. Treber droppt auch immer wieder Autor*innen, aber es sind leider AutorEN. Es sind einige von denen, die als sogenannter Kanon gelten.