(Auszug)

Ich ließ den Rucksack fallen und schmiss mich auf mein kleines blaues Samtsofa. Es stand in der Ecke hinter der Zimmertür, so dass man mich nicht sah, wenn man reinkam.

„Maria?“ Mama klopfte.

Ich nahm die Hände von den Augen. „Was?“

„Hilfst du uns beim Essenkochen?“

„Euch?“ Ich stöhnte. Sie war wahrscheinlich schon wieder in die Küche gegangen. Ich wusste auch so, wen sie mit wir meinte. Wenn sie Anne gemeint hätte, hätte sie gesagt: „Hilfst du mir und deiner Schwester …“. Sie hatte aber „uns“ gesagt, und dieses „uns“ war seit fast einem Monat Mama plus Jenny.

Hinter meinen Augen und in meinen Wangenknochen tat es weh. Dass ich jetzt andauernd diese Kopfschmerzen hatte, hatte bestimmt auch mit Jenny zu tun, damit, dass sie hier dauernd rumhing. Und das, obwohl ihre Wohnung nur ein paar Straßen entfernt war.

Das hatte ich am letzten Wochenende mit eigenen Augen gesehen, als Mama mich und Anne zum Mittagessen dorthin geschleppt hatte. Ich hatte mir die Paella reingezwungen, obwohl ich eigentlich weder Fisch noch Fleisch aß, und Mama hatte sich nicht mal dafür bedankt. Sie hatte wahrscheinlich nicht mal mitbekommen, wie ich mich quälte. Seit Jenny da war, bekam Mama sowieso kaum noch etwas mit.

Ich hievte mich vom Sofa hoch und streckte mich nach der Tablettenpackung auf dem Schreibtisch. Stöhnend drückte ich mir eine Kopfschmerztablette in die Hand. Dann schleppte ich mich in die Küche.

Mama stand mit dem Rücken zu mir am Herd und rührte im Reis, der gerade aufkochte. Ich ging zum Wasserhahn und ließ mein Lieblingsglas, das blaue mit dem Sprung, vollaufen.

„Haalloo.“ Jenny sprang von ihrem Platz am Küchentisch auf und ein paar Zucchinischeiben kullerten vom Brett über den Tisch.

Wir folgten ihnen mit den Augen, wie sie von ihr zu mir rollten. In ihrem Gesicht zuckte es leicht, während eine grüne Scheibe nach der anderen über die Tischkante hüpfte.

„Hi“, sagte ich. Dann warf ich die Tablette in meinen Mund und kippte Wasser nach.

Jenny kam um den Tisch herum und bückte sich nach den Zucchinischeiben.

„Maria“, sagte Mama. Ihr Gesicht glühte vom Wasserdampf.

„Was soll ich machen?“, fragte ich.

„Frag Jenny.“

Ich sah zur Seite. Mein Blick fiel auf einen der fünf Blumensträuße im Zimmer. Rosen und Sonnenblumen. Ich starrte ihn böse an. Abgeschnittene Blumen waren nichts als Leichen. Oft balsamierten sie die sogar ein, mit ekligen Chemikalien, damit sie schön frisch aussahen. Und empfahlen einem, dass man Pulver ins Wasser streuen sollte, damit sie länger hielten. Widerlich.

„Ist nämlich ihr Rezept.“

Na toll. Dann wurde es sicher wieder etwas mit viel …

„Ich hab‘ extra neues Currygewürz gekauft“, meldete sich Jenny, die mit roten Wangen wieder unter dem Tisch hervor gekrochen war. „Du kannst den Ingwer schneiden“, fügte sie hinzu. Dann machte sie dieses komische Schnappgeräusch, es klang, als atmete sie ein, um etwas zu sagen und sagte es dann doch nicht.

Ich nahm Brett und Ingwer von Mama entgegen, die beides schon bereitgehalten hatte, weil sie genau wusste, was kam. Trotzdem wollte sie anscheinend unbedingt, dass Jenny mir die Anweisung gab.

Ich sah mich nach einem Messer um, Jenny legte mir ihrs hin.

„Besten Dank“, murmelte ich und mied ihre aufdringlichen curryfarbenen Augen.

Okay, curryfarben war übertrieben, sie waren braun, aber ein unheimliches, gelbstichiges Braun. Ich hatte schon öfter überlegt, ob sie vielleicht farbige Kontaktlinsen trug. Doch in keinem Licht war es mir bisher gelungen, einen Rand um ihre Iris zu erkennen. Die Gelegenheit hatte ich dazu oft gehabt, denn Jenny war einer dieser Menschen, die ununterbrochen starrten, wenn sie mit einem redeten.

Die Tür fiel ins Schloss. Alle hielten inne.

„Anne?“, rief Mama.

Die zweite Tür knarrte und schnappte mit einem Klappern zu. Das war Annes Zimmertür und das, was klapperte, war Annes „No-muggles-allowed“-Schild an der Türklinke.

Mama seufzte und ging ein paar Schritte in Richtung Küchentür, dann wieder ein paar zurück und einen vor.

„Neue Schritte aus eurem Swingerkurs?“, fragte ich.

In Jennys Gesicht zuckte es wieder.

„Swing, Maria“, sagte Mama. „Swingtanz.“

„Ach so, stimmt“, sagte ich und ließ Jenny nicht aus den Augen. Sie schob den erdfarbenen Klumpen auf ihrem Kopf hin und her. Das sollte ein Dutt sein, doch für mich sah er immer aus wie eine dreckige Blumenzwiebel.

„Deckst du mal den Tisch, Maria?“, fragte Mama.

Ich ging zum Schrank und hob die ersten vier Teller ab. Ich wartete, bis Jenny zu mir sah, dann stellte ich sie auf den Tellerstapel daneben und nahm vier neue. Drei rote und einen blauen.

„Maria, kannst du bitte die neuen nehmen?“, fragte Mama. „Bei den anderen haben wir keine vier, die zusammenpassen.“

Ich soll doch den Tisch decken“, sagte ich.

Bild mit freundlicher Genehmigung von © Jelena Kern