Die Schulen öffnen wieder, die Hundeschulen. Wir üben bei Fuß. In Falten. Wir üben Abruf. Abruf bei Ablenkung. Abruf bei verstärkten Außenreizen. Abruf im Schlaf. Beim Fressen. Paarungsverhalten muss unterbunden werden. Wir üben Platz. Im Platz bleiben. BLEIB!
Bleib auf deinem Platz. Was hab ich gesagt? Nicht sprechen, führen. Jeder bleibt auf seinem Platz, sagt der Trainer. Keine Vermischungen! Es wird auch nicht angebandelt, sagt der Trainer. Kontakte sind zu unterbinden. Die Entscheidungen liegen bei euch. Überschreitungen werden geahndet. Diese Schule hält ein Leben lang. Wenn ihr durchhaltet, habt ihr einen braven Gefährten. Das will jeder, sagt der Trainer. Er sagt auch, die kurze Leine habe schon ihren Zweck. Doch, die hat ihren Zweck. Damit jeder weiß, wo er hingehört. Trennstriche. Oder habt ihr keine Augen im Kopf? Wir dachten, wir sollten nicht sprechen, sagen wir. Ihr sprecht ja auch nicht, sagt der Trainer. Es geht voran, nehmt die Hunde kurz. Zahlen bitte hinterher.
Fifth Avenue, die Fenster fast 7 Meter hoch. Louis XIV überall. Goldrahmen vor den Fenstern. Die Kristallvase mit den leicht angewelkten Rosen trägt eine persönliche Gravur. DIe verschiedenen Frauen auf den Fotos tragen weiße Kleider, einmal auch hellblau, immer lang und die Haare blond. Das Kind nackt auf der Chaiselongue. Kristallherzen auf dem Marmortisch. Das Kind sitzt auf einem großen Plüschhund, der alle Viere von sich streckt, als sei das Kind sehr schwer. Der Plüschhund, der auch auf einem der goldgerahmten Fotos zu sehen ist, liegt auf einem großen niedrigen Glastisch. Der Vater hält mit einer Hand die Schnauze des Plüschhunds fest. Der gleiche Plüschhund findet sich auch im Spielzimmer wieder, das zugleich als Fitness-Studio dient. Die Glasplatte ist schwer und hat eine goldene Einfassung. Sie ruht auf einem breit ausladenden schweren Sockel aus Gold, der einem korinthischen Säulenkapitel nachgebildet ist. Auf dem Tisch befindet sich noch ein Spielgerät mit bunten Ringen, die säuberlich aufeinander gestapelt sind, der Größe nach oben hin sich verjüngend. Neben dem Tisch liegen auf dem Fußboden verschiedene weitere weiche Spielfiguren, jeweils auf dem Rücken, die Köpfe zueinander. Außerdem ist ein großes Spielauto zu sehen, in dessen Windschutzscheibe die Gesichter zweier Figuren geklebt sind. Sonst stehen auf dem Glastisch eine bronzene Bogenschützin und eine Vase mit wiederum leicht angewelkten Rosen, zusätzlich mit etwas Efeu dekoriert. Der Raum hat zwei dieser Glastische, die sich gegenüberstehen. Auf dem zweiten Glastisch steht allerdings keine Bronzefigur. Die Tische stehen auf einem hellen Teppich, der sich auf dem roten Marmorboden ausbreitet. Der Teppich eine florale Bordüre und ist ansonsten mit einem diagonalen Rautenmuster versehen. In der Mitte des Teppichs, die sich exakt zwischen den beiden Glastischen und unter einem großen Glaslüster befindet, der die Form einer invertierten Kuppel hat, befindet sich ein weiteres florales Muster, angelegt als Rosette. Auf beiden Glastischen liegt jeweils ein Buch. Die Titel sind nicht zu erkennen, aber es dürfte sich um Bildbände handeln. Jeweils hinter den Glastischen stehen halbrunde, ausladende Sofas mit hellem Damastbezug, der ebenfalls florale Muster enthält. Ergänzt wird diese zu beiden Seiten offene runde durch jeweils zwei goldene Sessel mit gepolsterten Armlehnen und Sitz- und Lehnflächen im passenden Muster zum Bezug der Sofas. Zwischen den beiden Sesseln auf der rechten Seite befindet sich ein weiterer, kleinerer Glastisch mit einer als Kleeblatt geformten Platte, die von zwei goldenen Putti, die auf einem ebenfalls goldenen Säulenpodest stehen und mit ihren Köpfen die Glasplatte tragen. Auf diesem Seitentisch stehen ein blassgoldener Bilderrahmen mit dem Foto eines Mannes, der sich zu einer Frau in langem weißen Kleid beugt und sie fest umklammert. Ob sie im Begriff war zu fallen oder ihr gerade Gewalt angetan wird, ist nicht zu erkennen. Außerdem befinden sich eine Schatulle aus Kristall und ein nicht genau definierbares florales Gesteck auf dem Tisch. Auf einem Sessel stehen angelehnt an die Rückenlehne zwei kleine Teddybären. Einer ist mit seiner Bekleidung deutlich als männlich gekennzeichnet und trägt einen schwarzen Hut. Der andere trägt ein helles Kleid und keine Kopfbedeckung, dafür in einer Pfote etwas, das einen Blumenstrauß darstellen soll. Beide heben die Arme. Der Raum wird eingefasst von mehreren Säulenpaaren aus hellem Marmor mit goldenen Kapitellen. Die Wände sind überwiegend in rotem Marmor gehalten. Eine Wand hinter einem der Sofas wird von unten her indirekt beleuchtet. Vor der Wand steht eine sehr große weiße, reich verzierte Gartenvase mit Deckel aus Porzellan. Scheinbar aus der indirekten Beleuchtung der Wand heraus springen Wasserfontänen die Wand empor. Von oben wird die Szenerie durch weitere Kristalllüster beleuchtet. Die Decke des Raums ist in mehrere Kassettensegmente geglieder, die jeweils in Gold eingefasst sind. Eingelassen in die Decke und gerahmt von hellem und mit floralen Goldmustern versehenen Damast finden sich italienisierte Malereien mit diversen Putten und Wolken und blauem Himmel und Posaunen. Zwischen den Kassetten und teilweise auch in die Wände eingelassen gibt es zahlreiche Spiegelelemente, deren Wirkung von mehreren an den Spiegelwänden angebrachten Kristallleuchtern verstärkt wird. In den Raum hinab führt eine breite Treppe mit goldenem Geländer. In den Raum hinein gelangt man durch eine breite, schwere Tür aus massivem Gold. Aus den bodentiefen Fenstern geht der Blick über den Central Park.
Wer hat die Ringe aufgeräumt?
Was ist auf der Vase zu lesen?
Wer dreht die Spielfiguren auf den Bauch?
Oder ist es besser, auf dem Rücken zu liegen?
Wer erneuert das Wasser in den Vasen?
Weiß der Vater, dass der Schnauzengriff bei Hunden eine strenge Form der Züchtigung ist?
Wer baut Kleeblätter aus Glas?
Was ist in der Schatulle?
Was sehe ich nicht?
Wieviele Blumensträuße passen in eine Pfote?
Wieviel Glastische passen in einen Raum?
Wo sind wir? Wo waren wir? Wer ist gestorben? Ist jemand gestorben?
Was ist der Fall?
Die Verworrenheit ist die Mutter des Irrtums. Meine Antwort:
- Aber sie ist eine unerläßliche Voraussetzung für die die Entdeckung der Wahrheit, da die Natur keinen Sprung macht aus der Dunkelheit in die Klarheit des Denkens.
- Gerade deshalb muss man sich um die verworrene Erkenntnis bemühen, damit daraus keine Irrtümer entstehen, wie sie in großer Zahl und in weitem Umfang bei denen auftreten, die sich nicht darum bekümmern.
(Alexander Gottlieb Baumgarten, Aesthetica, 1750)
Was Kinder brauchen
Was Kinder brauchen, wird die Journalistin gefragt. Brauchen sie Einschränkungen oder Verschränkungen, Übersicht, Mitsicht oder Untersicht, Distanz oder Instanz. Brauchen sie Schatullen. Berührung, Spiel und Sport. Brauchen sie Zeit für sich, Zeit ohne sich, Zeit miteinander, untereinander, durcheinander, wann anders und wie lange. Brauchen sie Gold. Brauchen sie Diagramme, Diademe, Dialoge, Diener oder Dienstage, sehr dringend. Wir fragen Kinder, was Kinder brauchen, wir fragen Kinder nie, was Kinder brauchen, Kinder fragen nie, was wir brauchen, was ist hier eigentlich der Brauch. Kinder liegen auf dem Bauch, und jemand steigt vorsichtig über sie, mit gespreizten Beinen, um ihnen nicht auf die Rücken zu treten oder die Schulterblätter. Wer räumt auf, fragt, er, hat das schon mal jemand gefragt, wer hier eigentlich aufräumt. Wir räumen jetzt auf, und dann gehen wir schön nach Hause. Dann ist alles in Ordnung, in Ordnung?
„this world that we imagine in this room might be used to gain access to other rooms, to other worlds previously unimaginable“
(Lana Wachowski)
Die Erwartung ganz rein, mein Kind, wie losgelöst von der Welt, vom Selbst und zugleich im vollständigen Besitz dieses Selbst, an der Schwelle, in dem Moment, in einem noch zögerlichen Vorschlag für eine Ordnung, eine Ordnung des Schweigens, zurückgezogen von Namen und Formen, unbeschränkt von jeglicher Figuration, in einer Ruhe, die nichts ist als Möglichkeit, Vorstellung, Aufschub, frei von elenden Sorgen, etwas bis dahin Verborgenes atmend, etwas, das bevorsteht, was folgen soll, was passiert, was nur als möglich existiert, das Gesehene auf das rein Sichtbare zu reduzieren – das ist meine Arbeit.
„den reptilismus der musen
(Friederike Mayröcker)
anzweifeln
archaisch verschleudern / tanzschritte
im »metropol«
petro-chemie mit purpurrotem kamm
rothaarig
braunrückig
purpurwangig
purpurfüszig
von rosen rot
abtasten / aufheben / straucheln
– zu sterben –
tod durch musen”
Auf Stacheldraht balancieren mit einer Kobra um den Hals, einmal herum um das neue Haus aus Schlangenhaut und mit dem Knochenschornstein und der Waage aus Eis. Du hättest hören sollen, was ich gesehen habe.
Die Ruhe der Möglichkeiten hören.
Vom Hörensagen an der Schwelle.
An der Schwelle wie festgenagelt
Wenn mir der Atem ausgeht.
Verworrene Erkenntnis.
Und meine Kobra, die liegt verdammt gut auf der Haut.
Warum sollte ich nicht alles begreifen können? Was sind das für Grenzen? Die Frenzen der Weißen, der Männer, der Besitzenden, der Unkündbaren, die niemanden diskriminieren, keine Kinder missbrauchen und keine Steuern hinterziehen. Was sie sich gestatten, heißt Freiheit. Die Freiheit, sich gegenüber Gleichen und Besseren nicht zurücknehmen zu müssen, erst recht nicht gegenüber dem anderen Geschlecht. Die als Schwäche oder gar als Diskriminierung auslegen, was sie nicht verstehen und dann nicht zulassen wollen. Wann war das, als mir meine Mutter einimpfte, dass für mich keine Beschränkungen gelten? Hat sie das überhaupt? Ist die diesbezügliche Amnesie väterlich induziert oder ist sie Teil der üblichen Allmachtsphantasie? Und wann habe ich angefangen, mich für den Zweifel zu interessieren? Was war alles nötig, um dieses Ich endlich klein zu schreiben und es aus seinem Zentrum wenigstens etwas hinauszuschieben? Vermessen wäre die Vorstellung, das würde gelingen, das würde jemals aufhören.
Das klein geschriebene ich ist nicht das Ende, das Wir nicht der Anfang. Immer ist es nur ein Anfang, einer von vielen. Entscheidend ist immer, dass es ein Anfangen ist und kein Können, kein Wissen. Dieses Anfangen ist ein Prozess, eine Praxis, die von ihrer Vorläufigkeit lebt, ihrer Instabilität. Es ist unzuverlässig, aufschiebend, ohnmächtig. Wir verlassen uns auf das Unzuverlässige, das Improvisierte und Gebastelte, das dünne Eis, auf dem wir allein verloren sind. Wir sind uns sicher, dass wir fragen müssen, was wer sagt und wer was sagt. Denn das sind wir, die da reden und nicht-reden, die sich aus- und raushalten und das Glück ihres Kleinseins hören, nicht sagen. Wir begreifen nichts, weil wir einander verstehen. Einander: das sind nicht alle und jede, sondern immer weniger als das. Weniger ist das, worum es geht, nicht mehr. Wenn wir einander verstehen, wenn wir etwas miteinander versuchen und anfangen, wenn die Summe mehr ist als ihre einzelnen Teile, können wir weniger sein, weniger werden.
To-do-Liste (Falten)
Über Übergänge nachdenken
Über Einladungen nachdenken
Über Verweigerung als Form nachdenken
Darüber nachdenken, was man sich einbildet, wenn man sich einbildet, sich zu verweigern.
Darüber nachdenken, was man sich einbildet, wenn man sich einbildet, sein Ding zu machen.
Über Texte als Dinge nachdenken.
Darüber nachdenken, mit wem ich spreche, wenn ich allein schreibe. Und wie sich das ändert, wenn wir schreiben.
Über Reduktion nachdenken. Und das Ende der Zuversicht.
In guter Gesellschaft sein. Was heißt das?
Über Falten, Schluchten, Ränder nachdenken. Und über Gold.
Nach dem Nachdenken mal etwas anderes tun.
In Gesellschaft eines Tieres sein.
Sich über die Ordnung der Erzählungen wundern.
Sich über sich selbst und das eigensinnige Beharren auf unverkäuflichen Praktiken wundern. Leben kann man ja davon nicht.
Über die Intimität von Bücherregalen nachdenken.
Sich vor ein digitales Kaminfeuer setzen und sich nicht die Hände wärmen.
Das vielleicht weniger vermissen als erwartet.
Ein Denken, ein Akt, der sich dauerhaft zurückgehalten fühlt. Jede Nachricht wird von der nächsten außer Kraft gesetzt. Es gibt keine Möglichkeit, kohärente Phasen der Emotion zu durchlaufen, geschweige denn über Antworten oder Alternativen nachzudenken. Ein Paranoia-Zyklus. Einen anderen Zeitrahmen will ich, in dem es möglich sein könnte, sowohl zu fühlen als auch zu denken, die intensiven emotionalen Auswirkungen der Nachrichten zu verarbeiten und zu überlegen, wie ich überhaupt reagieren soll. Auf das, was ich vermisse. Was ich nicht als Intimität anerkenne. Was mich wundern lässt. Die Zeit eines Gemäldes oder eines Romans, in der Muster und Konsequenzen erkennbar sind, die sonst unsichtbar sind. Die Literatur, mit der und durch die hindurch ich die Situation zu verstehen versuche.
Nichts hier in diesem Regal hat die Funktion, mich zu humanisieren. Nichts davon verspricht, unsere kritischen und moralischen Fähigkeiten neu zu organisieren, ohne dass es irgendeine Anstrengung kosten würde und gleichzeitig etwas wie den freien Willen auslöschen sollte. Empathie geschieht uns nicht einfach, weil wir einen literarischen oder philosophischen Text lesen. Empathie ist Arbeit. Literatur liefert neues Material, um neue Register, neue Räume zu entwerfen. Für alles weitere sind wir selbst zuständig. Nichts muss schön oder erhebend sein, und vieles, was ich besonders anziehend finde, lehnt es geradezu ab, schön oder erhebend zu sein. Interessanter sind Widerstände und die Reparatur dessen, was mir stetig an Aufmerksamkeit verloren geht. Wie könnte jetzt die Lektüre nicht paranoid werden.
Die Suche nach der anhaltenden Gewissheit, dass der nächste Klick Klarheit bringen würde. Verstehen als Belohnung, Bedeutung als Konsequenz, ein Treibhaus aus Tautologie und Rekursion, das taube Beweise liefern wird für das, was wir bereits befürchtet hatten zu wissen. Die Reparatur sucht aber eher nach dem, was hilft, und sei es nur vorübergehend, als nach Gift. Was nicht zwangsläufig Naivität bedeutet, sich der Krise nicht bewusst zu sein, sondern in nur relativ feindlicher Umgebung, etwas Neues und Erhaltendes zu finden oder zu erfinden, Großzügigkeit, Vergnügen, Innovation und kreative Wut. Kritik als Reparatur hat Hoffnung zum Ziel. Oft bedeutet sie einen Bruch, sogar eine traumatische Erfahrung, gehört zu den Energien, mit denen wir, die wir uns reparativ positionieren, versuchen, die Fragmente und Teilobjekte zu organisieren, denen wir begegnen oder die wir erst erschaffen.