Privilegien. Sorry. Ähnlich wie Demokratie und Teilhabe einer dieser Begriffe, hinter denen ein großes und allgemein geklärtes Konzept steht, dessen Bedeutung man erst wirklich versteht, wenn es diese nicht gibt. In Anbetracht der derzeitigen Situation, all der Proteste auf der ganzen Welt, der Tode von George Floyd, Breonna Taylor und so vielen mehr, stellten sich einige Fragen. Welche Privilegien habe ich durch meine Hautfarbe, ohne dass es mir bewusst ist? Welche Fehler habe ich mir erlaubt, wo habe ich Rassismus übersehen oder einfach durchgehen lassen?
All die Fragen, die sich einer weißen Frau stellen, die niemals Opfer von Rassismus sein musste. Einen Zusammenhang zwischen Rassismus und weißen Privilegien gibt es nicht erst seit dem Imperialismus. Seitdem gibt es zwar unter den Kolonialmächte keine Aufteilung Afrikas in gleichgroße Teile mehr, aber die meisten (mentalen) linearen Striche bleiben.
Rassismus ist nicht nur das brennende Flüchtlingsheim, sondern die unterschwellige und unsichtbare Barriere der Gesellschaft, die nur für die sichtbar ist, die davor stehen. Bücher wie „White Fragility” von Robin DiAngelo, “So you wanna talk about race“ von Ijeoma Oluo und “How to be an Antiracist” von Ibram X. Kendi sind nicht nur zurzeit ganz oben auf den weltweiten Beststellerlisten, sondern Literatur, die den Finger genau in die Wunde legt: Alltagsrassismus, strukturelle Diskriminierung und weiße Privilegien.
Das System, in dem wir leben und von dem viele profitieren, ist in seinen Grundstrukturen rassistisch. Das macht uns zum Teil des Problems, denn wie Jane Eliott schon mit ihren „Blue Eyed/Brown Eyed“ Experimenten zeigte: Niemand möchte so behandelt werden wie eine schwarze Person in dieser Gesellschaft.
Ich möchte in diesem Artikel nicht von meiner schwarzen Freundin erzählen, der dies und jenes passiert ist. Anti-Rassistisches Verhalten ist kein Freundschaftsdienst, sondern eine menschliche Pflicht. Gerade durch viele Beiträge, Kommentare und Post bei Instagram, wurde noch deutlicher klar, dass viele weiße Personen „white privilege“ und „white fragility“ nicht als Problem sehen. So musste ich feststellen, dass einige meiner Bekannten es immer wieder geschafft haben, die Black Lives Matter Bewegung über sich selbst und ihre persönlichen Probleme zu machen. „Aber ICH bin doch keine Rassistin“, „Das ist gemein. Ich beschäftige mich mit meinen Privilegien!“, „Ich kann mich damit nicht noch länger beschäftigen, dass macht mich einfach zu traurig!“, „Ich bin für sowas viel zu verletzlich“.
Versteht mich nicht falsch: Natürlich sind es nicht alle Weißen, aber es geht doch nicht nur um Einzelpersonen. Ich bin auch der Meinung, dass persönliche und emotionale Grenzen geachtet und respektiert werden müssen, aber genau da entsteht bereits das erste Problem: Die emotionalen, politischen und individuellen Grenzen der Schwarzen Community wurden aufgrund ihrer Hautfarbe über Jahrhunderte missbraucht und missachtet. In so einer Situation das eigene „Leiden“ mit dem Thema Rassismus über das Leiden und den Schmerz der Opfer von strukturellen Rassismus zu stellen, halte ich nicht nur für dekonstruktiv und egoistisch, sondern für unangebracht. It’s not about you. Sorry.
Auch wenn das Wassermann-Zeitalter, Corona und Generation X-Z suggerieren, dass es so etwas wie eine zusammenhängende Gemeinschaft nicht mehr gibt und jede/r nur für sich kämpfen kann, leben wir alle immer noch in dieser einen Gesellschaft, die aufgrund von rassentheoretischen Konzepten, Status, Geschlechteridentifikation und finanziellen Mitteln selektiert. #survivalofthewhitest. Daran hat eine weiße Person, die als ein binäres Geschlecht identifiziert und ein solides und hohes Einkommen hat keine Schuld, aber als ein Teil, der vom System Bevorzugten trägt auch diese Person eine gewisse Verantwortung.
Verantwortung zu übernehmen bedeutet in diesem Kontext zu erkennen, dass jenes weiße Privileg Teil des Problems ist. Es bedeutet zu verstehen, dass die Black Lives Matter Bewegung nicht ausschließlich die Bewegung der Schwarzen Community ist, sondern von uns alles getragen werden muss.
Es bedeutet, dass sich BIPOC nicht das Recht erkämpfen müssen, wertvoll zu sein, sondern dass unser System und vor allem „wir Weißen“ daran arbeiten, es dementsprechend aufzubauen. Diversität und Chancengleichheit fordern strukturelles Umdenken, eine Art Transformation, deren erster Schritt sein muss, die Lebensrealität von anderen nicht mehr anzuzweifeln, nur weil „sowas im eigenen Kreis niemals passieren würde“. Zu diesem längst überfälligen Schritt gehört auch die eigenen Privilegien anzuerkennen sowie zu verstehen, dass in der Welt, in der wir leben, Diversität und Chancengleichheit auch ein Verlust bedeutet.
Ein Verlust der Märchenwelt, in der viele Menschen noch leben, in der a la „The American Dream“ alles möglich ist, wenn du nur hart genug arbeitest und auf Gott vertraust. Ein Verlust der weißen Privilegien und damit der fast kindlichen Vorstellung, dass „es die Anderen sind“. Es sind immer die anderen – und damit sind es wir alle.
Sorry: Verantwortung
Ich glaube, das Problem mit der Verantwortung entsteht oft aus zwei Gründen: Dem Abstreiten eines Problems/der Realität und der Gleichsetzung von Verantwortung mit Schuld. Der erste Abwehrmechanismus ist denke ich einigen bekannt: Viele Leute haben Angst vor der (bitteren) Realität und damit auch vor der Verantwortung, die sie mit ihrer unbeabsichtigten Ignoranz an der Lebenswirklichkeit von anderen tragen.
Sei es in der Familie, im engeren oder weiteren Freundeskreis, in der Politik oder der Gesellschaft: Die Frage nach der Schuld wird oft zuerst gestellt. Durch die Belastung einer anderen Person oder Gruppe (die da oben, mein blöder Partner, meine Eltern), soll scheinbar die eigene Last und Verantwortung verschwinden. Nach dem Motto: Die sind schuld, deswegen habe ich keine Verantwortung daran und muss nicht aktiv werden. Verantwortung bedeutet aktiv zu werden, aber es bedeutet nicht verurteilt zu werden.
Verantwortung zu übernehmen hat für mich persönlich auch viel damit zu tun, sich für etwas zu entschuldigen, dass man vielleicht nicht beabsichtig oder geplant hat, aber trotzdem durch die eigene Ignoranz oder einen ungewollten Fehler geschehen ist. Was die Verantwortung unserer Privilegiertheit betrifft, haben wir alle einen großen Toten-Toleranz-Winkel entwickelt, dem wir uns gesamtgesellschaftlich stellen müssen. Eine Entschuldigung kann nicht alles wieder gut machen – aber es wäre immerhin ein Anfang.
2 Kommentare
Toller Artikel!
hab nur eine kleine Anmerkung das Wort “Rasse” ist im deutschen definitiv problematisch und sollte nicht verwendet werden. Der Begriff ist nicht die einfache Übersetzung von dem englischen race sondern steht in rassistischem Kontext in der deutschen Sprache und geht auf die “Rassentheorie” zurück.
vgl: https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache
Der Begriff “Rasse” ist – insbesondere im deutschen Sprachgebrauch – problematisch, da er mit einem wissenschaftlich nicht haltbaren biologistischen Konzept verbunden und nicht als soziale Konstruktion verstanden wird. Biologisch unterschiedliche “Menschenrassen” aufgrund von äußeren Merkmalen herzuleiten entsagt jeglicher wissenschaftlichen Basis. Der Begriff steht für eine lange Geschichte rassistischer Vernichtung und Gewalt. Die UNESCO hat bereits 1950 festgestellt, dass er für ein gesellschaftliches Konstrukt steht, das unermessliches Leid verursacht hat.
Hallo Sophia, vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Ich bin froh, dass du mir persönlich schreibst und das anmerkst. Ich habe nun darüber nachgedacht und mich beraten sowie den Begriff geändert. Du hast absolut recht. Er ist kritisch zu bewerten und nicht mehr zu benutzen. Mein Versuch als Autorin war es durch diesen “radikalen” Begriff aufzuzeigen, dass es immer noch genau diese Gesellschaft gibt, die aufgrund von rassentheoretischen Konzeptionen selektiert. Falls ich dich durch diese Radikalität verletzt oder getriggert habe, tut es mir sehr leid.