Gedanken zum Stichwort Psychische Erkrankungen, gesammelt und kommentiert von Hildesheimer Studenten zusammengetragen von Sancia Fischbein und Elisabeth Lehmann. Die Aussagen der Befragten sind wortgetreu veröffentlicht.
„Das Erste, woran ich denke, sind dann so Depressionen oder das jemand so ein psychopathischmäßig ist.“
„Ja, das ist, öh, das ist etwas, was jeden erwischen kann, denk ich mal. Und ein schweres Schicksal, wenn man das hat… oder auch in der Familie.“
“Also meine ersten Assoziationen sind eine gewisse Verdrossenheit über das Thema, weil ich mich so sehr genötigt sehe mich dauernd damit zu beschäftigen… was wahrscheinlich so ein Randgruppenphänomen ist. Wenn man zu etwas gehört, was eher wenig Leute betrifft, ist man immer automatisch in so einer Rolle des “Drüberredenmüssens” – und das nervt mich vor allem, weil ich glaube, dass es kein Randgruppending ist. Überhaupt nicht. Und dieser Unwille darüber zu reden, dass es einem unangenehm ist, obwohl man ja eigentlich als gebildeter Mensch weiß, dass das alles nicht schlimm ist und bla, dass das viel zu viele Leute haben, und so Zeugs… das fällt mir immer ein.”
„Zum Beispiel Depressionen oder … äh … Essstörungen“
„Jedes Mal wenn jemand so ein Stichwort fallen lässt oder so was sagt wie: ja, ich hatte ‘ne depressive Phase, ist da immer dieser kurze Moment der Aufmerksamkeit: Oh… führen wir jetzt so ein Gespräch? Oder ist das jetzt jemand mit dem das komisch ist darüber zu reden oder ist das okay mit dem darüber zu reden? Und wenn man dann ins Gespräch kommt und feststellt, es ist okay, das ist ein Mensch, der mit dem Thema vernünftig umgeht, ist alles gut. Und sonst hab ich häufig das Gefühl, dass man solche Gespräche führen muss, wozu ich mich nicht wirklich qualifiziert fühle, aber wenn man auf jemanden wartet, der dafür wirklich qualifiziert ist, dann kann man lange warten.“
Let’s talk about – psychische Krankheiten. Störungen. Macken. Wie man’s auch nennen will – das Thema ist es häufig und das muss es ja auch sein. Um einen angemessenen Umgang zu finden, um Berührungsängste zu verlieren, sogar Taff hat schon über psychisch gestörte Menschen berichtet, aufgemacht als Heldengeschichten. Da sind wir schon ganz weit. Wo ist denn da überhaupt heute noch ein Tabu?
„Ich denke, darüber wird geredet, das ist in der Gesellschaft und so. In den Medien ist das ja Thema, das ist ja nicht tabuisiert … nicht übermäßig.“
Letztens in der Uni – eine Kommilitonin googelt Hildesheimer Psychotherapeuten und schreibt sich Nummern raus, mitten im Seminar. War gerade nicht so spannend. Die Sitznachbarin beugt sich rüber und fragt neugierig: „Warum suchst du denn nach Therapeuten?“ Gute Frage. Prompte, freundliche Antwort: „Weil ich einen brauche.“ Später erzählt sie, das Gespräch hätte im Bus Fortsetzung gefunden. Die Sitznachbarin fragte nämlich erschrocken, ob sie das echt vorhabe. Auf das Bejahen dieser Frage folgte der mitfühlende Hinweis:
„Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst?“
„Das ist wirklich nett von dir, aber ich brauche einen Profi. Ich habe eine Angststörung, eventuell Depressionen -“ “Da kann man wieder rauskommen! Ich hab das auch geschafft!”
“Ich weiß, dass man da wieder rauskommen kann. Dazu braucht man eben Hilfe.”
“Ich hab das alleine geschafft. Ich bin da einfach so eine Persönlichkeit…”
“… Das hat wenig mit Persönlichkeit zu tun. Eine der stärksten Personen, die ich kenne, hat schwere Depressionen, da kommt man halt nicht mehr alleine raus.”
“Nein, das ist halt so … ich bin da auch so, ich mach so Sachen halt allein… “
Soviel zum Redebedarf.
Wir haben ein paar allgemeine Fragen einigen sicherlich nicht repräsentativen, aber völlig zufällig ausgewählten Menschen gestellt. Was ist das eigentlich, eine psychische Erkrankung, was schießt einem als erstes durch den Kopf, wie wird im Alltag darüber geredet, wie sollte darüber geredet werden?
„Also, ich persönlich [rede darüber] schon, weil es die Familie halt betrifft, und ich manchmal halt einfach ‘nen Rat von ‘ner Freundin brauche oder so was, weil ich’s teilweise schwierig finde, damit umzugehen, und wir hatten halt auch ‘nen Fall in der Familie, mein Cousin hatte sich vor anderthalb Jahren das Leben genommen, deshalb. Und äh, ja. Ich bin so’n Mensch, ich red da offen drüber, ich hab da kein Problem mit, weil ich finde, dass man schon im Alltag drüber reden sollte, und weil es nicht so fern ist, wie man manchmal denkt.“
„Ich würde mir wünschen, dass die Person, wenn sie das nicht möchten, nicht so stark über ihre psychischen Erkrankungen/Störungen definiert wird. Wenn man es so nennen möchte, wenn man es so definiert, wie es ja getan wird, und, ähm, dass sie sich darüber nicht so stark definieren möchten, ähm, also müssen, sondern dass sie als Mensch gesehen werden, mit unterschiedlichen Eigenschaften.“
„Hm .. eher … pff … das ist dann eher für‘s nähere Umfeld eigentlich … weiß ich nicht … das ist ja eher die Sache von der Person dann, ob sie darüber reden will oder nicht …“
Obwohl jeder offenbar Kontakt zu Menschen mit psychischen Problemen hat, wünschen sich alle eine andere, eine offenere Kommunikation. Eine offensivere, das vor allem. Warum? Was fehlt? Selbstverständlicher Umgang heißt schließlich nicht, dass man sich dauernd selbst inszenieren sollte. Und über seine Probleme definiert zu werden, ist auch nicht das, was Betroffene wollen.
„Ich find schon, dass das ein Thema sein sollte, über das halt jeder mehr wissen sollte, um nicht jeden gleich als irgendwie verrückt oder so was abzustempeln. Und jemanden gleich als irgendwas anderes zu beschuldigen, obwohl er einfach nur eine Krankheit hat oder so. Aber ich wüsste auch nicht, wo man das einführen sollte …“
„Meiner Meinung nach sollte das echt so behandelt werden wie … wie körperliche Krankheiten, wie zum Beispiel ein Beinbruch, wenn man sich ein Bein bricht geht man halt zum Arzt. Und so sollte man auch über Krankheiten reden, dass das halt, dass man halt auch erstens mal das Bewusstsein hat, dass es diese Dinge gibt und das sollte vielleicht auch in der Schule so, gerade im Bio-Unterricht vermittelt werden, dass man halt so … so Stunden über psychische Krankheiten gibt und dann halt auch, dass diese Offenheit da ist, dass man auch zu seinen Eltern gehen kann, so wie wenn man sagt „Oh, ich glaub’, ich hab’ mir das Bein gebrochen“ – blödes Beispiel – dass man halt auch herkommen kann „Mama, ich glaub’, ich hab’ Depressionen“ oder „Mama, ich glaub’, meine Ängste sind nicht mehr, wie andere Leute ihre Ängste haben und ich hab vielleicht ‘ne Angststörung“, dass so was passieren kann, ganz normal, ohne dass sich die Leute dafür schämen.“