Mini und Miki, die Protagonist*innen in Barbi Marković Kurzgeschichtenband Minihorror, sind ein ganz normales Paar. Er, ein Osttiroler, sie, geboren in Jugoslawien, die zusammen in Wien wohnen.
Sie fahren gemeinsam in den Urlaub, besuchen ihre Familien, fahren zu IKEA, streiten sich beim Putzen der Wohnung, müssen arbeiten oder gehen zum Hausarzt. Alltag halt. So weit, so gewöhnlich. Dass Barbi Marković Buch jedoch alles andere eine als eine schnöde Alltagserzählung ist, zeigt sich bereits in der ersten Kurzgeschichte mit dem Titel „Cousine Jennifer“.
Mini und Miki treffen beim Supermarkteinkauf auf Minis Cousine Jennifer. Miki will die etwas verloren aussehende Cousine ansprechen, aber Mini warnt ihn: „Sie ist leider ein fleischfressendes Monster. Aber das glauben die Leute erst, wenn es zu spät ist.“ Und in der Tat, als Miki sie auf der Arbeit wiedertrifft und sie ihm nach Hause folgt, entpuppt sich Jennifer als mit drei Zahnreihen ausgestattetes Monstrum, welches versucht die beiden zu verspeisen. Mit Mühe bugsieren sie sie aus der Wohnung hinaus, aber bei einem späteren Toilettengang wird Miki dennoch von ihr gebissen.
In Marković Geschichten ist der Horror nie weit weg, dabei arbeitet sie jedoch keineswegs nur mit phantastischen Elementen, sondern spielt munter mit verschiedensten Genrekonstellationen. So driftet auch der Kauf einer IKEA-Küchenplatte ins Surreale ab, jedoch ganz ohne fleischfressende Cousinen oder Gewürzen, die aus Menschen gewonnen werden. Die Küchenplatte geht in den Untiefen des IKEA-Konzerns verloren, aber die Monteure kommen trotzdem und setzen sich mit Gewalt gegen Mini und Miki durch, Küchenplatte hin oder her, Hauptsache es wird etwas montiert.
Der Stein des Anstoßes ist dabei jedoch nicht immer so ulkig, wie eine schwedische Küchenplatte. So ist vor allem Mini immer wieder auch dem alltäglichen Rassismus der österreichischen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt und auf einer Party stellt sie klar: „Dem nächsten der sie fragt, woher sie kommt, haut sie eine rein.“
Der kleine Horror für zwischendurch
Beim Lesen von Minihorror wird schnell klar: Mini und Miki sind viel am Leiden. Sie leiden jedoch auf eine reflektierte, ja beinah achtsame Art und Weise. Marković Geschichten handeln nicht einfach von der Unerträglichkeit des Alltags, sie handeln von der Unerträglichkeit des Alltags in einer schlechten Welt, in der das Erkennen äußerer Umstände einen nur noch mehr wahlweise in den Wahnsinn oder die totale Verunsicherung treibt, wenn man dennoch zu den Guten gehören möchte. So heißt es etwa:
„Ihm ist klar, dass die eigene Tagesverfassung eine wichtige Rolle spielt und es schlecht und sogar gefährlich ist, die Empfindung, dass die ganze Welt sich gegen einen verschworen hat, zu pflegen, da man angeblich auf diese Art und Weise früher stirbt. Trotzdem wird Miki heute das Gefühl nicht los, dass seine Umgebung es auf ihn abgesehen hat.“. und wiederum Mini „denkt über alle Tiere nach, die ihre Freunde waren und die sie unabsichtlich getötet oder in Gefahr gebracht hat. Die Bilanz ist schlimmer als sie vermutet hat.“
Die Ernsthaftigkeit und Reflexionsbereitschaft die beide Protagonist*innen regelmäßig an den Tag legen, sorgt dafür, dass Marković es immer wieder schafft mögliche Erwartungen zu unterlaufen. Die Figuren sind nicht einfach nur Witzfiguren, sie können selbst, zumindest manchmal, das Ironische oder Lächerliche ihres Leidens erkennen und dennoch an anderer Stelle eine furchtbare Weinerlichkeit verkörpern. Dies trifft vor allem auf Miki zu, der labiler als Mini wirkt und in einer der Geschichten auf Grund seiner wachsenden Angst vor dem Tod, beginnt sich nur noch von Obst zu ernähren.
Marković ist hart und ironisch, aber dennoch nie herablassend gegenüber ihren Figuren, was hilft sich in ihnen wiederzufinden, auch wenn man es nicht möchte.
Fünf Minuten später…
Ebenso unterhaltsam, wie die immer neuen Einfälle mit denen Marković Mini und Miki das Leben erschwert, ist ihre Sprache. Genauso wie die Namen der Protagonist*innen, erinnert der Beginn von Absätzen mit Formulierungen wie „Und so…“ oder „Fünf Minuten später…“ an die Lustigen Taschenbuch Comics. Hinzu kommt Markovićs unfassbare Lässigkeit, mit der sie es schafft, den kleinsten Beobachtungen durch ihre direkte und teilweise wunderbar einfache (und in diesem Sinne auch comichafte) Sprache eine besondere Komik zu verleihen. #
Auf fast jeder Seite lassen sich solch großartige Satzpassagen finden wie: „Was die Natur betrifft, hat Mini ein paar Vorlieben, ihrer Meinung nach ist Wiese besser als Wald und hellgrün schöner als dunkelgrün. „Lieber Eidechse als Frosch.“, sagt sie immer.“ oder „Der Winter kommt, und die Seelen erkälten sich. Mini hat in der Zwischenzeit vier Bücher gelesen, einmal die Frisur geändert und eine Kung-Fu Prüfung bestanden. Leider laufen ihr Pass und ihre Aufenthaltserlaubnis ab, und eines Tages werden auch ihre Organe versagen.“ Markovics Sätze kippen vom trockenen Humor ins Lapidare, ins Surreale, ins Tragische und wieder zurück.
Dass dieses Buch trotz allem Spaß macht, ist der Autorin natürlich trotzdem bewusst und so bietet sie uns am Ende 105 Vorschläge für weitere Horrorszenarien an, an denen wir nun selbst weitertüfteln dürfen, darunter Highlights wie: Nr. 51: „Miki macht einen Fehler im Körpermanagement und zerstört sich“; oder Nr. 62: „Mini verabsäumt, einer Person Kleingeld zu geben, und wird entsprechend mit einem Fluch belegt. Sie kann auf keiner Sitzgelegenheit mehr eine bequeme Position finden.“
Minihorror sorgt für Lacher und Lacher, die einem im Halse stecken bleiben, weil man doch kurz die Absurditäten des eigenen Alltags und das Ausmaß der schlechten Welt realisiert – und macht all dies mit einer selten zu lesenden Coolness.
Residenz, 2023, 192 Seiten, Hardcover
Barbi Marković
geboren 1980 in Belgrad, studierte Germanistik, lebt seit 2006 in Wien. 2009 machte Marković mit dem Thomas-Bernhard-Remix-Roman „Ausgehen“ Furore. 2016 erschien der Roman „Superheldinnen“, für den sie den Literaturpreis Alpha, den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises sowie 2019 den Priessnitz-Preis erhielt. 2017 las Barbi Marković beim Bachmann-Preis. Zahlreiche Kurzgeschichten, Theaterstücke und Hörspiele. 2023 erhielt Barbi Marković den Kunstpreis Berlin für Literatur. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: „Die verschissene Zeit“ (2021) und „Minihorror” (2023).