Michael Eberts Roman Nicht von dieser Welt
Was passiert, wenn wir mit den Toten telefonieren können? In Nicht von dieser Welt, dem Debütroman des Chefredakteurs des Süddeutsche Zeitung Magazins, ist das Kommunizieren mit den Toten Teil des Alltags. Zumindest des 13-jährigen Mischa, aus dessen Perspektive der Roman geschrieben ist. Nach dem Tod seines Vaters zieht er aus finanziellen Gründen mit seiner Mutter in eine Sozialwohnung im Krankenhaus, auf dessen Intensivstation sie arbeitet. Kurz darauf erhält er einen Anruf von einer älteren Dame, die zuvor in diesem Krankenhaus verstorben ist. Sie bittet ihn um einen Gefallen und von da an wird er immer öfter Anrufe toter Menschen entgegennehmen und versuchen, ihre Wünsche zu erfüllen.
Im Verlauf der Geschichte trifft Mischa auf die 17-Jährige französische Austauschschülerin Sola. In ihr hat er nicht nur eine Person gefunden, mit der er über Leben und Tod philosophieren kann, sie haben auch viele Gemeinsamkeiten, beispielsweise hat auch sie Erfahrungen mit finanziellen Problemen machen müssen. So beschließen sie im Sommer ’91 einen Roadtrip zu dem Stollen zu unternehmen, in dem die Staatsbank der DDR mehrere Milliarden Ostmark versteckt, um sie zu stehlen.
Es scheint, als arbeite Ebert in seinem Roman seine eigene Jugend auf, denn es gibt einige Parallelen zu seinem Leben. Er hat ebenfalls einige Jahre mit seiner Familie in Armut in einer Personalwohnung eines Krankenhauses gewohnt, wie er Bremen 2 in einem Interview verriet, da seine Mutter ebenfalls Intensivkrankenschwester war. Der Schreibprozess kann als eine Art Trauerbewältigung gesehen werden, da ihn der Tod seines Vaters 2022 dazu veranlasst hat diese autofiktionale Geschichte zu schreiben, wie aus dem gleichen Interview hervorgeht.
Nicht verwunderlich, dass er diese besonderen Lebensumstände so authentisch beschreiben kann. Im sprachlichen Stil wird jedoch deutlich, dass seine Jugend schon einige Jahre zurückliegt. Beim Lesen von Stellen wie:
“Ich versprach es beim Leben meiner Mutter, bei der Seele meines Vaters, bei meinem Augenlicht, bei Luke Skywalker und bei Yoda, beim Heil aller kranken Kinder der Welt.”,
bekommt man nämlich nicht das Gefühl, die Gedanken eines Teenagers zu lesen, sondern vielmehr die eines erwachsenen Mannes, der auf seine Jugend zurückblickt. Welcher 13-jährige schwört ernsthaft in einem Atemzug auf das Heil aller kranken Kinder der Welt und Yoda?
Der Erzählstrang der Telefonzelle ins Jenseits ist packend und die Idee, letzte Wünsche von Toten auszuführen eine spannende Art, beim Lesen kurze Einblicke in die Leben verschiedenster Menschen zu erhalten, denn es regt beim Lesen dazu an, darüber nachzudenken, was uns nach dem Tod wohl nicht loslassen würde.
„Kommt drauf an wen du fragst mein kleiner Affe. Baudelaire sagt: C’est la mort qui console, hélas! et qui fait vivre; C’est le but de la vie, et c’est le seul espoir. “
Über die Figur Sola stolpert man beim Lesen, sie hat den gesamten Roman über einen französischen Akzent und spricht in großen Teilen des Romans in literarischen Zitaten, was sie kompetenter wirken lassen und ihr eine Mehrdimensionalität geben soll. Mehrdimensionalität hätte ihr gutgetan, funktioniert hier allerdings leider nicht. Die Figur wirkt konstruiert und wir erfahren kaum etwas über sie, außer, dass sie Alltagsrassismus und -sexismus erfährt. Was wir sonst über sie erfahren, ist, dass sie immer ein offenes Ohr für Mischa hat und eine enge Bezugsperson für ihn ist.
Letztendlich wurde mit diesem Buch etwas viel gewollt, es gibt zu viele Erzählstränge, welchen allein schon die Länge des Buches von 240 Seiten nicht gerecht werden kann. Einer von ihnen hätte für eine gute Coming-of-Age Geschichte gereicht, dafür hätten die Charaktere authentischer und komplexer geschrieben werden können. Ich konnte die durchweg guten Kritiken in den Medien deshalb leider nicht ganz nachvollziehen.
Penguin, 2023, 240 Seiten, Hardcover
Michael Ebert
Michael Ebert, 1974 in Freiburg geboren, ist Chefredakteur des Süddeutsche Zeitung Magazin und wurde für seine journalistische Arbeit bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In seinem Debütroman Nicht von dieser Welt führt er uns an den verwunschenen Ort, an dem er selbst aufgewachsen ist: ein Krankenhaus in einer süddeutschen Kleinstadt.