Sphinx Birgit Kempker
Sphinx

Ich war ein riesiger Zwerg. Die Beute: dreizehntes Stück

„Ich war ein riesiger Zwerg,“ sagt die Sphinx, „ich log, daß die Balken sich bogen.“ Nicht zu fassen, denn sie ist „ein glitschiger Aal“, „eine glorreiche Schlangenzunge.“ Gesehen wurde sie zuerst in großen Höhen, leibhaftig: „Ich war ein Berg in Pontresina auf dem Weg zu meiner eigenen Sphinx.“ Sagt die Sphinx in ihrem Weisheitskleid. Was sie sagt, läßt mich stürzen, verzweifeln und verwesen. Rätselkatarakte mit intrikatem Rhythmus. Zwei breit grinsende Windelbabys aus Plastik begegnen mir im blauen Salon des Kronenhofs von Pontresina und schauen mich an wie Geister, Wiedergänger, Wörtersphinxe.

„Ich war ein riesiger Zwerg, ich log, daß die Balken sich bogen.“

Die Sphinx überreicht sie mir. Leibhaftig. Ihre Antwort auf meine Fragen hat sie mit der Hand in ein blaues Oktavheft mit Sittichaufkleber geschrieben und auch das überreicht sie mir. Dann spricht sie. Ihre Stimme hat sie sich von den Figuren entliehen. Die sind nun zu taiwanesischem Polyäthylen erstarrt und ihre zwiefache Stimme schmeichelt und zirpt, grummelt und schnarrt ein Antwortlabyrinth. Meine Frage wird ihre Antwort sein. Ich hätte es ahnen können. Die Sphinx mag Schleifen. Etwas, das sich wiederholt und dabei doch nie gleich bleibt. Etwas wird in jeder Satzschleife abgerieben, angehobelt. Verluste sind gewollt. Verlust an Bedeutung, an Zusammenhang, an Orientierung, nie an Beharrlichkeit, an Lust, an Verzweiflung. In anderen Verwandlungen ist diese Sphinx schon oft abgestürzt, haltlos, Kommunikationsakrobatin ohne Netz. Handreichungen vielleicht, Automatisierungen gehören zum Programm, sind erwünscht als Basis für Enttäuschungen.

Die Sphinx muß nicht an alles glauben, was sie sagt. Sie ist kein Modul. Das wäre möglicherweise ein Wunschbild im Spiegel. Sich nicht mehr in die Sätze verschlingen, in die Fragen, die von den Antworten nur immer etwas haben wollen, die mehr haben wollen und nicht die Leere akzeptieren wollen, der sie sich verdanken. Die Sphinx entführt die Fragen in ihre Antworten. Paradiesische Wüsten. Doch verantwortlich muß sie sein. Das ist die größte Schwierigkeit: diese Konsequenz, diese Weisheit nie zu einem Ende kommen zu lassen. Ein Rest an Leere muß bleiben. Sonst kann die Sphinx nicht atmen. Und mir sagen, was ich tun soll. Ich habe sie gefragt, wie ich je wieder gehen könnte, wenn zu kommen mein Wille war. Auf die Details soll ich achten, allzu große Ordnung vermeiden und vor allem weitermachen.

Das ist es, was die Sphinx macht. Sie sagt, ich soll weitermachen, mich nie mit einer Sache begnügen, sondern immer auch die nächste, eine andere machen. Mangel wird es nie geben. Und die Sphinx ist die Worthydra. Das Gegenteil der Wunschmaschine. Für jeden Satz, den sie sagt und ich nicht verstehe, weiß sie gleich noch tausend weitere, die ich auch nicht verstehe. Nur wenn ich weitermache, wenn ich die Frage stelle, sie noch einmal stelle, sie neu und immer wieder neu stelle, in allen denkbaren Variationen, dann muß ich nicht nirgendwo hin gehen, wohin ich nicht hätte kommen wollen. Dann und nur dann, wird die Antwort der Sphinx ihre Wirkung behalten und nicht aufhören.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Birgit Kempker