Kathrin Röggla wurde 1971 in Salzburg geboren und lebt heute in Berlin. Sie arbeitet als Prosa- und Theaterautorin und entwickelt Radiostücke. Ihre Texte stehen in Beziehung zu gesellschaftlicher und politischer Wirklichkeit und den Menschen darin und wenn man sie liest, entsteht ein Raum, in dem man sich mit den absurden und alltäglichen Zuständen unserer Welt und sich selbst darin konfrontiert sieht. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise. Kathrin Röggla ist seit 2012 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und seit Juni 2015 deren Vizepräsidentin.
Gibt es Begegnungen oder Situationen in z.B. Interviews, in denen Sie damit konfrontiert wurden, speziell eine weibliche Schriftstellerin zu sein?
In der Recherche ist es von Bedeutung, vor allem wenn man in die harten Themenfelder wie Ökonomie und Arbeit reingeht. Da werde ich als Frau anders behandelt als ein Mann. Obwohl es dort sicher einen Wandel gibt, habe ich auf jeden Fall eine ganz klare Situation – wie wird man als Gegenüber ernst genommen, was passiert, wenn man Entscheidungen trifft? Das habe ich jetzt in der Akademie der Künste. Wenn man als Frau ein Amt inne hat und unbequeme Entscheidungen trifft, wird man viel härter bestraft. Das ist unglaublich. Das ist das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, okay, wir sind wirklich noch im Mittelalter. Da fällt dann der Hammer.
Das ist das, was eine Frau niemals machen darf, Entscheidungen treffen. Als Interviewerin irgendwo sein, das geht schon eher. Konkret in meiner Arbeit als Schriftstellerin, in Interviewsituationen mit Unternehmensberatern, da hatte ich sicher einen Vorteil. Da man mich nicht so ernst genommen hat, bin ich sozusagen leichter in Bereiche gekommen, die vielleicht Männern eher verwehrt gewesen wären. Wenn ich selber interviewt werde, erlebe ich es als großen Unterschied. Frauen werden klassischerweise immer auf ihre Biografie festgelegt. Eine Frau kann sich quasi nicht von sich selbst abstrahieren. Bei meinen Themen ist das schwerer möglich, ich arbeite dokumentarisch. Aber es gibt immer wieder Situationen, in denen das bei mir versucht wird.
Ich glaube wir haben viel erreicht, dank Feminismus und dank vielen Kämpfen von älteren Frauen sind wir schon ganz woanders. Aber man muss da sehr viel Arbeit investieren – die auch Spaß machen kann! Es ist ja nicht so, dass es nur negativ besetzt wäre. Aber man muss sich diese Dinge bewusst machen.
“Eine Frau kann sich quasi nicht von sich selbst abstrahieren.”
Was halten Sie von der Praxis, in einem Interview bestimmte Frage explizit nicht zu stellen, um die schreibende Frau nicht als etwas Besonderes und ihre Position als eine speziell weibliche zu markieren?
Angenehm wenn man ’s mal nicht tut. Wenn man ’s nicht immer wieder highlightet…Man kann sagen, dass Sprache in erster Linie Wirklichkeit abbildet oder aber, dass Sprache Wirklichkeit konstituieren kann und die Kraft hat, Gesellschaft zu gestalten…Ich glaube nicht, dass Sprache die Wirklichkeit abbildet sondern sie kommuniziert. Es gibt ja nicht DIE Wirklichkeit, die irgendwo objektiv dasteht und die dann sozusagen fotokopiemäßig abzubilden wäre. Es ist immer ein Verhältnis in dem man sich dazu befindet und in diesem Verhältnis kreiert man natürlich. Im Sinne Judith Butlers, die ja die sprachliche Ebene diskutiert; bisher redet sie gar nicht über die Wirklichkeit, die in ihrem Sinne jenseits davon [der Bedeutung gebenden Sprache, Anm. N./S.] ist. In diesem Sprachsystem rekonstruiere ich immer wieder Dinge, reinszeniere immer wieder gewisse Muster – und wie kann ich jetzt versuchen, das zu verschieben, zu verändern, Einfluss zu nehmen?
In wie fern findet das in Ihrem Schreiben statt?
Es findet sehr stark statt – in Texten, in Essays… als ganz banales Beispiel: indem man immer dran denkt, die weibliche und nicht nur die männliche Form zu benutzen. Ich finde die Lösungen, die da bisher gefunden wurden, sprachlich nicht sehr schön, ein bisschen unelegant, da mache ich Kompromisse. Ich nehme nicht immer die weibliche Form dazu, sonst habe ich einen Textknäuel, aber wenn ich das ein paar Mal mache, dann ist klar, dass die Frauen auch immer mit einbezogen sind. Das ist nicht ganz die Lösung aber es ist besser als es nicht zu tun. Es findet auch statt in der Frage, wie ich Figuren für das Theater konstruiere.
Sie werden als eine der aktuellen feministischen Stimmen benannt, könnten Sie das näher definieren?
Im Grunde ist es eine ganz einfache Sache – dass man nicht nur in der frauenrechtlichen Praxis agiert, sondern auch versucht, darüber theoretisch nachzudenken und das Thema als ein wichtiges Moment in der Machtkonstellation unserer Gesellschaft ernst nimmt. Es ist ganz verrückt, dass das so eine sehr, sehr negative Konnotation hat. Es geht ja gar nicht um Viel; man nimmt es wahr, man denkt darüber nach, man informiert sich theoretisch darüber, und hat diese Position in sich – und natürlich hab ich das als Frau! Wie kann ich das denn anders haben? Frauen sind auf ganz vielen Ebenen benachteiligt. Ich erlebe das jetzt als Mutter nochmal anders.
Vorher war das in meinem beruflichen Leben als Schriftstellerin eher theoretisch, es sind ja keine harten Probleme, wenn jemand dauernd mit mir über meine Autobiografie sprechen will, im Vergleich zu denen einer Unternehmensberaterin; wenn ich keinen Job bekomme oder dauernd sexistisch angegriffen werde. Und wenn man dann Kinder hat, dann merkt man noch einmal, okay, jetzt wird ’s richtig hart. Jetzt kommen die ganzen klassischen Mutterbilder. Ich sehe das immer wieder bei Künstlerinnen, die Mütter werden und die mit Künstlern zusammen sind: wer macht in der Arbeit weiter, wer nicht… da wird es dann auf einmal ganz komisch konventionell. Man muss da echt ein Auge drauf haben.
“Bei der Symbolpolitik sind wir schon sehr weit. Aber wenn ’s um die hard facts geht, dann nicht.”
Sie sind Schriftstellerin und haben eine leitende Position an der Akademie der Künste. Wo gibt es für Sie mehr Spielraum bezüglich eines feministischen Wirkens? Ist eine Trennung dieser Wirkungsfelder überhaupt möglich?
Das ist ja schon interessant im Bezug auf die Frage nach der Gestaltungskraft von Sprache. Wenn ich ein Programm für eine Kunstsituation mit organisiere und drauf achte, dass auch Frauen beteiligt sind, dass feministische Kunst beteiligt ist, dass das überhaupt wahrgenommen wird…An der AdK bin ich natürlich mehr dran an den Diskursen, die aktuell laufen. Da hab ich aus diesem Grund einfach größeren Spielraum. Auf der anderen Seite ist da alles im Konsens beschlossen. Beim Schreiben entscheide ich alleine und kann natürlich in meinem Gestaltungsspielraum das machen, was ich möchte. Es ist komplementär. Es bedingt einander, es befruchtet sich gegenseitig. Das ist schön, deswegen mach ich ’s auch. Die Literatur ist eher eine konservative Sparte der Kunst, bildende Kunst oder Theater sind politischer, sind viel weiter in Diskussionen über z.B. Gender. Da hol ich mir was davon. Aber ich hab manchmal das Gefühl, der Diskurs findet in diesem Kunstbereich statt und bleibt Symbolpolitik, die wir ja auf der ganzen gesellschaftlichen Ebene erleben. Bei der Symbolpolitik sind wir schon sehr weit. Aber wenn ’s um die hard facts geht, dann nicht. Also ganz banal: Wer kriegt welche Jobs wie bezahlt, wer darf was entscheiden?
Im Literaturinstitut der Universität Hildesheim haben wir zwei Frauen und sechs Männer…
Ja und genau da wird’s schwierig. In Leipzig ist es noch krasser. Als ich da unterrichtet habe, war ich mit einer Lyrikerin zusammen. Wir waren die einzigen mit der kleinen Stelle, wir hatten 2 Stunden. Da saßen uns 8/9 Männer gegenüber, alle mit 4 Stunden. Ich hätte auch nicht mehr machen wollen, aber ich fand es schon merkwürdig, so als Aussage.
Woran arbeiten Sie gerade?
An einem Buch mit unheimlichen Geschichten. Es heißt Nachtsendungen und kommt im Herbst bei Fischer raus. Es ist eine Mischung aus Dystopie, Gegenwartsbeschreibung und unheimlichen Geschichten. Es sind Texte, die sich entlang der Theaterstücke entwickelt haben.
In Ihrem Schreiben findet der Konjunktiv oft besondere Beachtung.
Wenn ich den Konjunktiv verwende, dann gibt es ja die Tendenz, dass ich mich selbst ein Stück weit heraus nehme…Ja klar, man macht sich nicht so sichtbar. Aber der kann so viel, der Konjunktiv. Im Theater hat es mehr den Aspekt, dass im Grunde nicht klar ist, wer Akteur ist und wo das Hier und Jetzt ist. Das hat mich interessiert. Diese Indirektheit und die Aufsplitterung der Szene im Praktischen und dass nicht mehr klar ist, wer wo spricht. Das hat einfach auch den Hintergrund gehabt, dass ich mir denke, es ist gesellschaftlich schwierig das festzulegen.
Kommt es vor, dass Sie sich für eine Form entscheiden und darüber zum Inhalt gehen, oder ist immer zuerst der Inhalt da und dann machen Sie sich Gedanken zur Form?
Beim Konjunktiv ist es schon oft so gewesen, dass die Form zuerst da war und dann muss man zum Inhalt zurückfinden, teils ist auch der Inhalt da und dann findet man sozusagen wieder die Form. Es muss immer auch thematisch passen… Es ist vor allem eine komische Verschränkung. Beim Konjunktiv… Da ist der erste Wunsch im Schreiben, dass diese Form… wie massiv die eigentlich ist, was die eigentlich ausdrückt an gesellschaftlichen Verhältnissen; was da drin steckt in diesem Sprechen – das passt zu dieser Frage nach Schuld, wer ist verhandlungsfähiger, wer ist mächtig, wer entzieht sich der Sichtbarkeit? Das sind dann eben die Fragen.
Wir bedanken uns bei Kathrin Röggla für das Interview, das am 03.01.2016 geführt wurde.