„Das flüssige Land“ ist der Debütroman der österreichischen Autorin Raphaela Edelbauer, der im August 2019 bei Klett-Cotta erschienen ist.
Der Roman folgt der jungen Wiener Physikerin Ruth Schwarz, die sich nach dem Unfalltod ihrer Eltern auf die Suche nach Groß-Einland macht, dem Heimatort der Familie. Doch bereits der Weg dorthin gestaltet sich schwieriger als erwartet. Als Ruth nach einem Road-Trip durch das tiefste Österreich endlich in Groß-Einland ankommt, wird schnell klar, dass nicht nur die Vergangenheit von Ruths Eltern äußerst undurchsichtig ist, sondern auch die der idyllischen Kleinstadt. Denn verborgen wird vieles, da gibt es das Schicksal der Bewohner*innen während der NS-Zeit, den Tod von Ruths Eltern oder sogar die Rückkehr der Monarchie in die Stadt.
Für Edelbauers „Das flüssige Land“ musste ich mir Zeit nehmen, denn es ist kein Roman, der leicht verständlich oder zugänglich ist, was besonders an Edelbauers Schreibstil und der Vielzahl an Erzähl- und Informationssträngen festzumachen ist. Während der ersten Kapitel wirkt Ruths Geschichte noch so, als würde sie auf einem realistischen Gerüst aufbauen, doch gegen diese Erwartung stellen sich nach und nach immer mehr Störmomente. Allen voran die physikalischen Unmöglichkeiten, die das „im Grunde unbeherrschbar[e]“ Loch darstellt, auf dem die Kleinstadt erbaut wurde. Folglich boten mir meine realistischen Erwartungen an die Erzählung nicht den richtigen Zugang, denn um ihr gerecht zu werden, konnte ich sie nicht nur oberflächlich betrachten, sondern war darauf angewiesen, sie auf ihre Mehrdeutigkeit abzutasten und die Figuren und ihre Geschichten häufig als Metaphern oder Symbole zu verstehen. „Das flüssige Land“ folgt einer ganz eigenen Logik, auf die man sich als Leser*in erstmal einlassen muss.
Ruth Schwarz und die mondäne Sprache
Die Ich-Erzählerin Ruth möchte die ihr unbekannte Geschichte ihrer Eltern verstehen, aus ihr ein „homogene[s] Narrativ“ bilden. Alleine die Bezeichnung „homogenes Narrativ“ erzählt viel über die Sprache des Romans, in dem ein zutiefst rationaler Sprachgebrauch vorherrscht, der beinahe komisch-grotesk alles präzisiert und Begriffe wie somnambul oder enerviert ganz selbstverständlich verwendet. Mit langen Hypotaxen und einer großen Bildlichkeit lässt die Autorin eine Parallelwelt entstehen, in die ich ihrer Ich-Erzählerin mit großer Neugierde gefolgt bin.
Dennoch hat das Bedürfnis der Ich-Erzählerin nach einem „homogenem Narrativ“ nicht nur eine Aussagekraft über die Sprache, sondern es setzt auch eine Leseerwartung. Ruths Verlangen nach Homogenität und Aufklärung wurde während des Lesens damit auch zu meinem Anliegen. Einem Anliegen, das darauf baut, dass es logische Erklärungen der Geschehnisse gegeben wird. Diesen Anspruch bricht der Roman allerdings auch nicht, er lässt ihn vielmehr verschwimmen und vergisst ihn, wodurch sich die Leseerwartung mit ändern muss. Mögliche Leseerwartungen werden nicht gebrochen, sondern schlichtweg ignoriert. Es ist wunderbar eine so originell-abgedrehte Geschichte zu haben, aber die realistisch gedachten ersten Kapitel mit der weiteren Handlung zu vereinen, bleibt sehr schwierig.
Die Intention
In einem Interview für den Deutschen Buchpreis 2019 erklärte Edelbauer, dass „Das flüssige Land“ als „Metapher für eine Auslassung in der Geschichte“ stehen solle. Eine Auslassung, die sich auf die mangelnde Beschäftigung der Österreicher*innen mit den Verbrechen der NS-Zeit bezieht, die der Roman anfänglich sehr subtil aufgreift. Denn zu der Aufarbeitung der 1930er und frühen 40er Jahre kommt der Roman erst nach gut 130 Seiten. Stellvertretend für die Verbrechen dieser Zeit soll der Massenmord an Hunderten Zwangsarbeitern kurz vor der Kapitulation 1945 stehen, mit dem Ruth sich immer obsessiver beschäftigt. Doch hier setzt auch mein Hauptproblem mit „Das flüssige Land“ ein, denn Edelbauer tut sich schwer damit, einen passenden Ton für den Umgang mit diesen Morden anzuschlagen, zumal die Geschichte dieser KZ-Insassen durch eine labile, unzuverlässige Erzählerin geschildert wird. Eine Erzählerin, die sich über Jahre hinweg mit den Schicksalen der Ermordeten beschäftigt, um dann schlussendlich zu der Feststellung zu kommen, dass die „Erkenntnisse, die [sie] unbedingt gewinnen wollte, [diese] […] gleichsam wertlos [machten]“. Auch wenn es ein wichtiger Impuls ist, der hier vermittelt werden möchte, gegen die Verdrängung einer nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs, fühlt sich die konkrete Thematisierung dieser Morde teils mehr wie ein plot device an, dem es an historischer Recherche mangelt.
Abschließend möchte ich dennoch festhalten, wie fasziniert ich von der Gewissenhaftigkeit war, mit der sich „Das flüssige Land“ seiner Mehrdeutigkeit verschrieben hat. Eine Parabel, die so durchdacht, modern und surreal ist, verdient Respekt und Auseinandersetzung mit ihr, denn „Das flüssige Land“ gewinnt immens in der Diskussion um seine Mehrdeutigkeit.