schlinge
© Annette Pehnt

Zur Schlinge, zum Hals

Glätte und Reibung 23

Zur Schlinge, zum Hals, wie ein Medium für den Kurzschluss, für die Spiele lasse ich es regnen, mache alle gesund, lasse sie tanzen, gebe ihnen keine Chance und die Schuld, weil sie frei sind und rennen. Ich sehe sie kommen. Gerissen und dunkler, doch nie gesehen, nie gesehen. Für die Blumen, für die Trauben und die Tauben, für die Schläge und für die Schlinge, für den Hals, für die Guten und für die Sauberen, für den Anlass, für die Lüge, für die hässliche Klage, für die sie alles verderben, bis sie nach Hause kommen, nie gesehen. Ich werde zu Zäunen und stolpere jetzt, tausche mich aus. Ich bin falsch und es wird besser.

Wohin gehe ich, raschelnd und schleppend? Worauf warte ich? Dass sich die unwahrscheinlichste und doch unendlich wirkliche Hoffnung einlöst? Wir warten und kommen zu spät. Für jeden Vorschein, jede Ankunft, jedes Ende des Wartens. Das Warten der Präsenz, die wir uns nicht zugestehen, weil sie die eigene Anwesenheit für den anderen nicht erlaubt. Ihre Möglichkeit wird als unmöglich aufgeschoben und abgeblendet. Ihr Licht ist ganz und gar aussichtslos. Sie läuft uns entgegen. Die Präsenz als Ausgang und Aufgabe, gegenüber dem, was verborgen ist und schief zueinander steht, voll Verspätung und Widerstand, nicht mehr da, jeden Abstand hinter sich gelassen, abgekehrt aneinander greifbar, Rücken an Rücken.

Seite an Seite stehen die Demonstranten in Belarus. In Portland. In Kenosha. in Hongkong. Warten in der Unmöglichkeit, Präsenz unter Lebensgefahr.

Traum II: Ich nähere mich dem gleichen Schuppen mitten im Feld. Die Tore stehen offen, Diesmal gehe ich hinein, ohne zu zögern. Mich erwartet eine Anwesenheit, die ich nicht begreife. Eine unerklärliche Präsenz. Ich halte Abstand, so wie ich es im letzten halben Jahr eingeübt habe. Andacht liegt mir fern. Mein Gegenüber füllt den Raum, ohne dass ich sagen könnte, mit wem ich es zu tun habe. Aber eines ist klar: Ich bin willkommen.

Das Gefühl des Willkommenseins umfängt mich so deutlich und überwältlgend wie eine Umarmung, die ich mir so lange gewünscht habe. Jemand hält mich, ohne mich zu berühren. Das Gehen und das Warten sind vergessen. Ich habe keinen Grund, jemals woanders zu sein als in dieser Willkommenheit. Zugleich weiß ich, dass ich träume. Ich drehe mich um, draußen glüht ein heißer Spätsommer, der Nachmittag nimmt seinen Lauf, und gleich werde ich erwachen.

Was öffnet sich da nicht, wenn ich erwache. Ich war abwesend. Ich öffnete die Tür. Ich stolpere über die Schwelle. Einen Fuß im Satz und dann zurück ins buchstabile Tasten, wo sich nichts zu einer stabilen Kulisse schließt, sondern lose durcheinander driftet und sich immer alles gleich zurücknimmt. Alles ist hier, ganz so als wäre nichts hier. Diese Wiederkehr setzt sich nach hinten fort. Wir kennen uns noch gar nicht. Außer in Schablonen, die ohne fassbaren Kern wie Wolkenbilder immerfort übereinander wegziehen.

In dem kühlen Land wo niemand fragt
da suche ich mein Bett aus Schnee
I cried to dream again.

Wir ebnen unser Unwirklichkeitsfeld ein bis an den Rand, weit entfernt von allen Pronomen, die Personen, Dingen und Wörter einander im Satz so nahe bringen, bis sie in ihrer Vieldeutigkeit deckungsgleich werden. Wie ein Bett aus Schnee, wie die Gestalt als Spur, die sich entzieht. Situationen und Bilder fügen sich in Situationen und Bilder. Die Sätze rieseln ins Bodenlose, dem Feuer zugewandt, ohne einzigen belebenden Punkt, der die Überlagerungen markiert, denn die Glut kommt von außen und befreit uns von der Erinnerung.

Also ziehe ich mich dahin zurück, wo ich größte Mühe haben, einfach nur da sein. Eine Null, im Nichtsein zu wählen als Scham, als Reserve des Wissens, zu dem gehört, was wir einander erzählen können, was uns selbst immer dunkel bleibt und uns nur nachträglich beschäftigt. Wir schließen ein Fenster und lösen damit Panik aus, weil wir den Vorgang zerlegen in seine Bestandteile, die in der Summe mehr ergeben als das, was wir vergessen haben.

Im Hohlraum bleiben und
Vorsichtshalber nichts kochen!
Unter der Bauchdecke
Abwarten.

Wir rücken ein in die Rede und ihre Gegenwart, schieben uns zwischen die Sätze, so dass es nur dieses Zwischen gibt, eine Getrenntheit, die etwas Gemeinsames ist, ein synkopisches Gegeneinander und eine übermäßige Resonanz, in der sich das Vergessene, das zu Erinnernde staut. Auf dem Grund solcher Chronik schiebt es, reißt es uns weg, in einen Brand, in die Anarchie einer Rekonstruktion, ein Erwachen, das wir nur erleben, weil es sich wiederholt.

Ein Spasmus, eine vorausgehende Konfusion, die uns bannt und das Gewesene bahnt. Fast röchelnd halten wir an dieser Flucht fest und haben kein Wort gehört, nichts, das nicht uneindeutig bleibt. Was da spricht, ist ein konvulsives Bündel von Gedanken und Gefühlen, die mit dem redenden Ich vorläufig, ein paar Schritte vorlaufend und uneinholbar wie etwas, das noch danach kommt, identisch werden.

Immer nach Ihnen.
Kleines Gefallen
unter der Schuhsohle.

Wir sprechen nicht über unser Entsetzen, Begehren, unseren Schmerz, sondern sind ganz Wut, ganz Angst, mithin etwas, das genau so groß ist wie jeder Abglanz, jede scheibenartige Stille, ein Draußen, das wir angezogen haben, uns anziehen. Wir wüssten gerne mehr von diesem seltsamen Uns, würden etwas anderes lesen und träumen und über Unsichtbares nicht hinaus kommen. Es gibt den Vorschub, aber alle Zuschreibungen verlieren ihren Wert, wie ein unerträglicher Ballast, der immer ja sagt, in strikter Zugriffslosigkeit nachsemantischer Sätze verknüpfbar, wo nichts raunt und tönt, nur unausdenklich ist, Referenzen schließt, die man liest, aber man findet sich trotzdem nicht wieder.

Das Draußen steht mir heute sehr,
es glänzt wie eingebaute Fische.
Unter der Kapuze frage ich
nach festeren Substanzen.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Annette Pehnt