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Mein Lächeln unter der Maske

Eine gute Freundin hat sich neulich selbst genähte Alltagsmasken aus dem Internet bestellt. Um die Wirtschaft und die kleinen Lädchen zu unterstützen, versteht sich. Zwei Tage später erhielt ich die ersten Selfies von einem stoffverzierten Gesicht; eine Galerie der Verhüllung, abgelichtet aus verschiedensten Posen. Wären mir die Bilder ohne Absender übermittelt wurden, hätte ich meine Freundin wohl kaum wiedererkannt. Die Hälfte ihres Gesichts wurde abwechselnd von bunten Farben und Mustern bedeckt, die eine kontroverse Fröhlichkeit der Maskierten suggerierten. Die Farben, Striche und Symbole saugten so sehr an meiner Aufmerksamkeit, dass am Ende nur noch wenig für die Frau unterm Stoff übrig blieb. Aber so sehr auch der Fokus auf dem Bunten lag, fragte ich mich, wie sich wohl die Person darunter fühlte.

Ich selbst besitze auch so eine Maske, allerdings nicht aus dem Onlineshop, sondern von meiner Stiefmutter aus Stoffresten genäht. Sie zeigt einen hellblauen Untergrund, auf dem sich knallrote Fliegenpilze und ein niedliches, kleines Mädchen versammeln. Ein Motiv, das mir sehr zusagt und eigentlich auch mein fröhliches Wesen wiederspiegelt. Trotzdem würde ich lügen, wenn ich behauptete, dass ich dieses Ding wirklich gerne trage. Denn darunter breitet sich schwüle Hitze erbarmungslos aus. Das dicke Gummiband drückt in die Haut hinter meinen Ohren und spreizt diese dabei so sehr, dass es aussieht , als könnte ich mit ihnen jeden Moment losfliegen. Das ist aber noch nicht alles: Sitzt die Maske ein wenig zu hoch, beschlägt meine Brille bis zur Blindheit, was ziemlich unpraktisch sein kann. Ich fühle mich damit irgendwie zusammengestaucht und unfrei. Das glückliche Mädchen beim Pilzesammeln beschreibt keineswegs meine Emotionen beim Tragen dieses Stoffrestes. Für mich ist und bleibt die Gebrauchsmaske einfach Mittel zum Zweck. Damit möchte ich aber keinesfalls diesen Maskentrend, der mit der Verordnung entstanden ist, verurteilen. Ganz im Gegenteil: Ich finde es toll, dass so viel Farbe und Vielfalt unter den grauen Coronaalltag gemischt wird. Nur würde ich einfach ein praktikableres Objekt bevorzugen. Denn unabhängig von Farbe und Motiv verlieren sich Gemüt und Ausdruck der Träger*innen sowieso unter diesem Stoffgewühl; ein verzweifelter Versuch das Beste aus dieser Situation herauszuholen.

Waren zuvor anonyme Begegnungen verziert mit verständnisvollem Lächeln oder einem ermunternden Zunicken, verliert sich dieser Zugang jetzt unter vermeidlich fröhlichen Mustern. Bunt macht glücklich, ohne Frage, trotzdem erlebe ich in meinem Alltag immer häufiger diese interpersonelle Distanzierung. Dieses nicht-Ablesen-können, welche Intention mein Gegenüber womöglich gerade hat, wodurch schlicht und ergreifend gar kein Kontakt mehr entsteht; aus Selbstschutz natürlich. Dabei sind Lächeln und Nicken nicht nur Ausdruck der Solidarität in solch schwierigen Zeiten. Sie repräsentieren auch gesellschaftlich etablierte Symbole des Respekts füreinander. Den Ich-nehme-Dich-wahr-Moment. Aber wieso Mühe daran verschwenden solche Gesten zu verteilen, wenn sie eh nicht mehr zu sehen sind?

Ich lächle immer noch meinen Mitmenschen zu, auch wenn dieser Akt der Zuneigung verhüllt bleibt und nur selten registriert oder erwidert wird. Ich fordere sie mit meinen Blicken auf, setze einfach auf das Leuchten meiner Augen und die Bewegung meiner Wangen, die den Stoff fast unmerklich heben . Natürlich ist es schwieriger ein Lächeln unter der Maske an Fremde zu verschenken, doch reicht für einen Glücksmoment manchmal nicht die reine Vorstellung der Erwiderung aus?


Bild mit freundlicher Genehmigung von Kristina Andabak | Pfeil und Bogen