Nicht wie ihr - Tonio Schachinger
Nicht wie ihr - Tonio Schachinger
Photo by Kremayr & Scheriau Verlag

Ich weiß, was Abseits ist, ich gehe bei der WM brav zum Public Viewing und schüttle enttäuscht den Kopf, wenn der HSV mal wieder richtig dumm verloren hat. Aber bin ich ein Fußballfan? Ich glaube nicht. Den Autor, Tonio Schachinger, kenne ich schon vom digitalen PROSANOVA 2020, er hat einen positiven Eindruck hinterlassen. Trotzdem stehe ich „Nicht wie ihr“ mit Skepsis gegenüber. Vielleicht deshalb, weil mich das blau-rosa-gegenderte Kinderbücherregal stets mit großem Erfolg von den Fußballbüchern weg und hin zu den Pferdebüchern gelotst hat. Die wilden Kerle habe ich jedenfalls nie gelesen.

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Als ich das Buch mit dem goldenen Fußball auf dem Cover zum ersten Mal in den Händen halte, denke ich noch: „Na, ob wir wohl Freundinnen werden?“. Ich schlage die ersten Seiten auf und falle in eine Welt, die ich allenfalls aus den Medien kenne, die mich allerdings nie so nah an sich herangelassen hat. Erwartet habe ich schillernde Bilder gebaut aus einfachen Worten, den perfekt ausgeleuchteten Rasen eines Stadions. Tatschlich führt „Nicht wie ihr“ mich hinter die Kulissen, durch die Katakomben und Umkleideräume bis in den hinterletzten Besenschrank der Fußballwelt.

Nicht wie ihr - Tonio Schachinger

Deine Träume sind jedem wurscht. Man sagt dir, du sollst darüber reden, aber die Zukunftsträume gehen nicht in Erfüllung, wen man sie ausspricht und die Träume in der Nacht sind nur Gefühle, die versuchen, einen auszutricksen, die nur wichtig werden, wenn man von ihnen erzählt.

Nicht wie ihr von Tonio Schachinger – erschienen 2020 im Kremayr & Scheriau Verlag

Ich begleite den alternden österreichischen Fußballstar Ivo nach London, Spanien, Wien, zu seiner Frau Jessy und zu Mirna, der alten Liebe aus Ivos Jugend, die beinahe überirdisch erscheint. Dabei geht es natürlich irgendwie auch um Fußball, vor allem aber um das, was sich neben dem Rasen abspielt. Wie paradox Länderspiele sind, wo der Sport doch ein internationales Business ist. Und natürlich der Druck, der von allen Seiten kommt, auch aus den eigenen Reihen.

Ein bisschen Name Dropping gibt es dann doch. Namen wie Müller oder Lewandowski kann ich schon zuordnen, aber mindestens die Hälfte sagt mir nichts, doch das ist auch nicht weiter dramatisch. Schließlich kann ein Buch auch lesenswert sein, ohne dass man jede Referenz versteht.

Allerdings tut sich an einer ganz anderen Stelle eine kulturelle Wissenslücke bei mir auf, denn wie der Autor selbst hat auch Ivo seinen Lebensmittelpunkt in Österreich und das hört man deutlich heraus. Was ein „Stoffsackerl“ ist, kann ich mir noch erschließen, aber ob ein „schiaches Lächeln“ gut oder schlecht ist, das musste ich nachschlagen.

Dieser Dialekt ist Teil dessen, was „Nicht wie ihr“ so nahbar macht: Der Ton. Er ist bodenständig und gleichzeitig doch literarisch wahnsinnig eindringlich. Es ist eine Gradwanderung, die Welt aus den Augen einer Person zu beschreiben, die mit Literatur und geschickter Sprache erst einmal nicht viel am Hut hat. Doch Schachinger trifft es ausgezeichnet.

Er öffnet seine Augen einen Spalt breit und schaut in die Gesichter der Spieler gegenüber. Schwer zu sagen. Ein paar schauen ja immer so aus, als würden in ihren Köpfen Heuballen durch eine Alpenprärie wehen.

Nicht wie ihr von Tonio Schachinger – erschienen 2020 im Kremayr & Scheriau Verlag

Zwischen Dialekt und Kraftausdrücken legt Schachinger Ivos Gefühle frei, sodass ich ganz nah bei ihm bin. Wenn Ivo die Melancholie ergreift, wenn er nichts mit Jessy fühlt und alles mit Mirna, dann braucht es nur wenige, präzise Worte und ich fühle mit.

Meine Skepsis gegenüber dem Milieu Fußball habe ich derweil völlig vergessen.

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Bild mit freundlicher Genehmigung von Kremayr & Scheriau Verlag