Knapp einen Monat vor tatsächlichem Messestart drehten zahlreiche angehende Besucher durch. In Supermärkten wurde sich um den letzten Proviant geprügelt, Autoritätspersonen brachen weinend zusammen, Kinder wurden stehen und liegen gelassen. Alles nur, weil das Buchmessenprogramm erschienen ist. Lesungen voller Emotionen, hitzige Diskussionsrunden und weiterbildende Vorträge: ein Wochenende endloser Möglichkeiten. Bloß, wer will schon sehen, was alle sehen? Wo würde man das literarische Äquivalent zum Beruhigungsmittel Xanax finden? Auf der langweiligsten Veranstaltung der Buchmesse. Diese allerdings zu finden, war ein weiter Weg. Ein 111.300 Quadratmeter weiter Weg.

Als Messefrischling mit einer Presseakkreditierung voller unsichtbarer Privilegien ging ich davon aus, bei jeglichen Sachbuch-Events auf meiner Mission fündig zu werden. Schließlich waren es Veranstaltungen von alten Menschen für ältere Menschen (und andere Zielgruppen, die einfach nur sitzen wollten). Hinfort mit Erinnerungen à la den ersten Interaktionen mit Seifenblasen und Deckenburgen, der ersten Liebe und den letzten Worten von Oma. Jetzt wird über die Mechanismen der Gesundheitspolitik mit dem Schwerpunkt Senioren nachgedacht, jetzt wird über SEO-Optimierung und das Konzept eines Teilhaberstaates geredet. Niemand hätte ja ahnen können, dass farblose Darbietungen derartig spannungsarm sein könnten.

Die aufgegriffene Devise „Ein Körper muss bewegt werden, bevor er beendet wird“ musste mich einfach durch diesen Auftrag boxen. Ich kämpfte mich zunehmend hasserfüllter von Metadaten zum Kapitalwertsteuersatz, von Regionalchroniken zu Kochbüchern, auf der ständigen Suche nach etwas, das passieren würde, allerdings war mein Verstand lauter als die Inhalte. Nichts prägte sich ein. Ich sah mich langsam geschlagen. Alles war gleichermaßen eintönig. Nicht mal unterhaltsam eintönig, sodass man darüber lästern könnte, sondern einfach nur fade.

Grau. Grau, wie die Fotos des Jubiläumbildbands zum Sachsenring, an dem 90 Jahre lang nichtssagende Dinge geschehen sind. Grau, wie alte Semmelknödel, die man übrigens beim Kochen niemals unbeäugt lassen sollte, um das Maximum aus „Ostdeutschen Gerichten…mit Geschichten“ herauszuholen. Es gibt also keinen Gewinner, nur einen Verlierer. Mich. Alles war auf eigene Art langweilig, doch nur zusammen konnten sie mich komplett zerstören. Mit 70 sei das Leben bei diesem Gesundheitssystem vorbei, aber meines fand im Laufe dieser Suche bereits ein Ende.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Marvin Dreiwes | Pfeil und Bogen