Ich fühls nicht
Liv Strömquist: Ich fühls nicht
Diese Titelworte stammen nicht von der Schriftstellerin Hilda Doolittle, die eine Leidenschaft für die Liebe hatte, so groß, dass auf ihrem persönlichen Exlibris „loved of love H. D.“ stand. Sie ist eine der Protagonistinnen in Liv Strömquists neuer Graphic Novel, in der es um die Liebe in Zeiten des Spätkapitalismus geht.
„Ich fühls nicht“ geht den Fragen auf den Grund, weshalb wir in unserer konsumistischen Kultur oft so reserviert mit Gefühlen umgehen oder sie sogar unterbinden. Weshalb wir nach außen immer weniger zu verbergen haben, es mit der Ehrlichkeit aber nicht so genau nehmen. Und weshalb die Äußerung von Begehren heute weiblich konnotiert ist, war es zu Tolstois Zeiten noch ganz anders.
Liv Strömquist zeichnet mit viel Humor biographische Einblicke in das Liebesleben ihrer Protagonistinnen szenisch nach, die sie aus Popkultur und Literatur nimmt. Darunter neben Hilda Doolittle auch Jabba the Hutt oder Theseus und die verlassene Ariadne. Durchbrochen werden deren Szenen durch interviewanmutende Situationen, etwa mit der Soziologin Eva Illouz oder dem Philosophen Byung-Chul Han, mit denen Liv Strömquist auf zugängliche Weise Exkurse zu aktuellen philosophischen und soziologischen Theorien eröffnet.
Hier drei Einblicke in besagte Exkurse:
Es gibt eine Szene, in der sich Hilda Doolittle aus einer Intuition heraus in ihre Freundin Frances Gregg verliebt. Auslöser für diese unbeschreiblichen, starken Gefühle ist ein irrationaler Vorgang, für den es keine zufriedenstellende wissenschaftliche Erklärung gibt. Eva Illouz kommentiert wenige Seiten später, dass wir heute mit unserem Faible für die Wissenschaftlichkeit jedoch alles – auch in der Liebe – verbalisieren wollen. Dadurch laufen wir Gefahr, das „Erlebnis der Liebe auf eine physiologische Erfahrung ohne höhere Bedeutung“ zu reduzieren.
Außerdem geht es um den Fokus, den wir in unserer Gesellschaft zu stark auf unser Selbst richten, was dazu führt, dass wir Mitmenschen weniger als „atopos“ – also „anders“, unbeschreiblich, einzigartig – betrachten, sondern mehr als Spiegel unseres eigenen Verhaltens. Nicht nur Leonardo Di Caprios schnell wechselnde Liebschaften sind für dieses Phänomen ein strahlendes Beispiel! Der Philosoph Byung-Chul Han fachsimpelt mit gestikulierenden Händen: „Man kann den Anderen, dem die Andersheit genommen worden ist, nicht lieben, sondern nur konsumieren“, womit er den Bogen zum unser Leben bestimmenden Konsumismus schlägt.
Und es geht um ein Ungleichgewicht an Macht in bestimmten heterosexuellen Verhältnissen, die glauben machen, es gäbe keine Hierarchien, obwohl sich darin Macht heute nur anders äußert, zum Beispiel in dominierenden Vorstellungen des Mannes über die Art und Weise des Zusammenseins.
Die Dramaturgie der Blicke der Figuren macht Spaß und Liv Strömquist liefert Antworten zu Fragen, die man sich vielleicht nie gestellt hätte: Warum hat Miraculix eigentlich keine Zeit für die Liebe? Wie wird Sigmund Freud zu einem Freund?
Am Ende bleibt so etwas wie ein Fiebertraum. Man erinnert all die Protagonistinnen, mit denen man sich sonst vielleicht nie beschäftigt hätte. Man erinnert das Scheitern mancher in Liebesdingen, erinnert Expertinnen und die ernüchternde Essenz, die in vielen ihrer Sätze steckt und alles fühlt sich nach einer wirklich erkenntnisreichen und abenteuerlichen kleinen Reise an.