Meine Apokalypsen. Warum wir hoffen dürfen heißt das neue Buch zum Klimawandel von Thomas Brussig – ein Debattenbuch. Moment mal, der Mann ist Roman-Autor. Braucht es in diesen Zeiten zum viel diskutierten Zeitungsthema Klimawandel wirklich einen Schriftsteller mit mäßiger Expertise, der etwas dazu schreibt? Ja, das braucht es und Brussig eröffnet mit seinem intelligenten und durchaus kontroversen Machwerk eine neue Perspektive auf ein altes Thema.
Thomas Brussig ist Schriftsteller und Drehbuchautor und wurde einer breiten Öffentlichkeit mit seinem gefeierten Wenderoman Helden wie wir bekannt. Nun nimmt er sich dem Klimawandel an, dem wie er sagt „erdrückensten Zukunftsthema“. Dieser wird medial oft als drohende Klimaapokalypse skizziert. Der Autor unternimmt den Versuch, das Thema in den Kontext früherer apokalyptischer Szenarien zu setzen und daraus Hoffnung zu schöpfen.
Hoffnung, dass die Menschheit das Vermeidbare schon so oft abgewendet hat und mit schlichter Betrachtung Zuversicht im Bezug zur Klimakrise gut und möglich ist. Brussig wurde 1964 in Ost-Berlin geboren und beschreibt persönlich, wertend, biografisch aber immer differenziert die Apokalypsen seiner Zeit, vom Atomaren Wettrüsten, über AIDS, Ozonloch und Finanzkrise bis hin zu Covid. Dabei schafft er es stets vergleichend aber nicht gleichsetzend zu wirken. Auf 181 unterhaltsamen Seiten wird daraus trotz harter Thematik eine leichte Lektüre mit sprachlichem Witz und Präzision.
Sie liest sich als Appell gegen Alarmismus, gegen Ideologie und pro Nüchternheit und sprachlicher Genauigkeit. Brussig stellt sich gegen das Aufstellen schlimmster Zukunftsszenarien sowie blinde Angst und Panik und kommt so zu einer vorsichtig optimistischen Haltung. „Meine Theorie ist, dass die heute Zwanzigjährigen einfach nur zu beneiden sind um das tolle Leben, das vor ihnen liegt“, schreibt der 59-Jährige. Dabei ist er sich seiner Position als Schriftsteller durchaus bewusst.
„Ernsthafte Wissenschaft ist von mir nicht zu erwarten. Wie auch, wenn ich kein Wissenschaftler bin?“
Wenn Brussig allerdings behauptet: „Mehr Wüste und weniger Artenvielfalt als Katar jetzt schon hat, hätte es auch bei […] vier Grad globaler Erwärmung nicht“ lässt er Wünsche nach Wissenschaftlichkeit und belegenden Quellen offen.
Trotzdem schafft es der Autor immer wieder seine historischen Patienten auf dem literarischen OP-Tisch zu sezieren und darauf zu untersuchen, was prophezeit wurde und was eintrat, was blieb und warum ein Teil der Angst unberechtigt war. Dabei bewahrt er sich eine unterhaltsame Verschmitztheit, wenn er die sowjetische Führung als „steinalte Mumien“ in „Geriatrien oder der Schlaganfall-Reha“ beschreibt, skurrile Ideen zu Hollywood-BSE-Filmen mit Harrison Ford entwickelt oder einen Pudding an die Wand nageln will. Die Gratwanderung von Nüchternheit ohne Verharmlosung gelingt allerdings nicht immer.
Einem sehr kontroversen Plädoyer für Atomkraft, dass erneuerbare Energie als Alternative zu Fossilen völlig außen vor lässt, folgen Sätze wie: „Afrika leidet an Armut, nicht an Klimafolgen“ oder „Ich frage mich, ob Greta Thunberg 2058 […] bekennen kann, dass sie sich ihr ganzes Leben lang umsonst Sorgen gemacht hat.“ Auch muss sich Brussig bewusst sein, dass er Argumente Konservativer und Klimaschutzskeptiker bedient, wenn er den Anteil Deutschlands an den Emissionen als verschwindend gering beschreibt und zu Wörtern wie „1,5-Grad-Fetischisierung“ oder „selfieknipsenden […] Mediendarlingen“ von Fridays for Future greift.
Hier lässt er immer wieder eine kämpferische Haltung für den Klimaschutz vermissen. Nach jedem vorsichtigen Aufruf zur Senkung von Emissionen folgt ein „Aber“. Auch macht er sich sicherlich nicht überall Freunde, wenn er rhetorisch gegen Grünen-Politikerinnen und Fridays for Future schießt.
Seine Utopie zum autonomen Fahren und dem Aufruf zu „Null Klimatote[n] statt Null Emissionen“, zu Notfallplänen und öffentlichen gekühlten Räumen für die kommenden Hitzesommer sind dagegen wieder sehr nachvollziehbar und geistreich. Trotzdem spielt er sich nicht zum Moral-Papst auf und berichtet von eigenen schmerzlichen Lernprozessen und Unwissenheit. Spielerisch und mit mobilen Gedankenkonstrukten zeichnet er das Bild einer Menschheit, die die Klimafolgen bewältigen wird.
Gespickt ist das Ganze immer wieder mit persönliche Referenzen. Beispielsweise, wenn er uns vom AIDS-Test nach seinem Seitensprung im Ausland erzählt. Brussigs Grundhaltung vom Glauben an einen guten Ausgang des Klimawandels aktiviert und macht sein Debattenbuch zu einer wundervollen literarischen Einladung zur kritischen Auseinandersetzung und Zuversicht.
Wallstein, 2023, 181 Seiten, Hardcover
Thomas Brussig
Thomas Brussig, 1964 in Berlin geboren, hatte 1995 seinen Durchbruch mit »Helden wie wir«. Es folgten u.a. »Am kürzeren Ende der Sonnenallee« (1999), »Wie es leuchtet« (2004) und »Das gibt’s in keinem Russenfilm« (2015). Seine Werke wurden in über 30 Sprachen übersetzt.
Thomas Brussig ist der einzige lebende deutsche Schriftsteller, der mit einem seiner literarischen Werke wie auch mit einem Kinofilm und einem Bühnenwerk ein Millionenpublikum erreichte.