Dinge, die das deutsche Feuilleton gerade liebt: junge Autoren, die endlich wieder politisch schreiben. Junge Autoren, die über den Tellerrand ihrer social bubble hinausblicken und deren Horizont jetzt weiter als von Kreuzkölln bis zu irgendeinem ostdeutschen Provinznest reicht. Die ihre eigenen Erfahrungen verarbeiten, im besten Fall noch dazu solche, die über die existenziellen Krisen des Arztsöhnchens hinausgehen. Die ihr Schreiben vielleicht sogar aus biografischen Ereignissen speisen, die ihnen einen persönlichen Zugang zu Themen wie Flucht und Vertreibung ermöglichen.
Vorhang auf für Olga Grjasnowa, die in ihrem dritten Roman Gott ist nicht schüchtern die syrische Flüchtlingskrise aufgreift. Doch so lobenswert ihr Ansatz auch ist – im Versuch, die deutschen Grenzen hinter sich zu lassen und das politisch Bedrängende unserer Epoche literarisch darzustellen, verheddert sie sich trotz bester Voraussetzungen gewaltig. Ihr Buch illustriert in der Konsequenz, dass gewissenhafte Recherche und gute Absichten allein nicht ausreichen, um die komplexen Auswirkungen eines globalen Konflikts ausreichend darzulegen sowie gleichzeitig einen Roman zu schreiben, der auch als literarisches Werk bestehen kann.
Im Fokus der Erzählung stehen die zwei Protagonisten Amal und Hammoudi. Beides junge, schöne, aufgeklärte Syrer, die im Laufe der Handlung politisch aktiv werden müssen, sich gegen Assads Schergen stellen, schließlich fliehen und nebenbei auch noch in familiären, amourösen und beruflichen Zwickmühlen stecken. Auf 311 groß bedruckten Seiten versucht sie außerdem, eine umfassende Analyse des Gesamtkonflikts vorzunehmen. Doch gerade wenn sich der Roman darum bemüht, Diktatur, Krieg, Flucht und Entwurzelung mit allen dazugehörigen politischen und gesellschaftlichen Implikationen aufzufächern, scheitert er am Versuch, diese Themenvielfalt im Schnelldurchlauf abzuhandeln.
So viel sich Gott ist nicht schüchtern auch vorgenommen hat, so sehr verliert sich die auktoriale Erzählstimme zudem immer wieder in detaillierten Nichtigkeiten. Ob ein unbedeutende Kellner nun eine breite Nase hat, wie viele Warzen die nächste Nebenfigur bevölkern oder ob die Bettdecke hellgelb ist, verkommt angesichts des großen Erzählvorhabens zu einem befremdlichen Fokus. Mit der Entscheidung für einen allwissenden Erzähler hätte Grjasnowa versuchen können, der Komplexität des Geschehens auch inhaltlich gerecht zu werden. Stattdessen bleibt alles, wie es zu erwarten war. Assads Schergen, Grenzsoldaten und Schleuser sind allesamt böse Männer mit noch böseren Absichten, während die Helden der Erzählung angesichts des erlebten Grauens in bester Hollywood-Manier zu selbstlosen Humanisten werden.
So entsteht der Eindruck, dass hier engagiert zusammengetragene Informationen zum Syrienkonflikt mit halbgarer Prosa garniert wurden, um möglichst zeitnah den Hunger eines aufgeklärten Buchmarktes stillen zu können. Der Leser muss sich dann mit einem Buch begnügen, das sich eher wie die Skizze zu einem noch nicht abgeschlossenen Roman liest. Das Feuilleton wird diesen Roman aller Voraussicht nach trotzdem lieben.
Während man Gott ist nicht schüchtern aber zugutehalten muss, die inhaltliche Auseinandersetzung mit einer dringlichen Situation zu suchen, unternimmt er keinesfalls den Versuch, dem Diskurs neue Betrachtungsweisen hinzuzufügen oder bestehende Standpunkte der Debatte herauszufordern. Stattdessen belässt er es dabei, den aktuellen Diskurs in seinen Positionen und Betrachtungsweisen zu reproduzieren und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, Affektkunst zu bleiben.
Olga Grjasnowa: Gott ist nicht schüchtern, Aufbau Verlag, 309 Seiten.