Nach ihrem Romandebüt Elly im Jahr 2017, für das sie mit dem Martha Saalfeld-Preis und Robert Gernhardt Preis ausgezeichnet wurde, legt Maike Wetzel mit ihrem Erzählband Entfernte Geliebte bei Schöffling und Co. nach. Dieser enthält neue Erzählungen der Autorin, sowie einige aus ihren alten Erzählbänden, welche vor mehr als zehn Jahren erschienen sind. Motive Maike Wetzels sind zwischenmenschliche Beziehungen in ihrer banalen Skurrilität. Wie schreiben über Ellipsen, über Abriss, über die Verweigerung des Abrundens, über glatte Kanten?
Wir sehen uns an.
Maike Wetzels Sätze wirken wie die notwendige Folge ihrer Selbst. Es drängt sich ein Wort an das Nächste, als müsste sich aus dem einen das andere ergeben, als gäbe es keine Alternative in der Beschreibung des Geschehens, keine Alternative zu dem Geschehen selbst. Alles unterzieht sich einer strengen Ordnung, die ich spüre, aber nicht nachvollziehen kann. Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen, wenn eine ihrer Erzählungen mich und meine Erwartungen errät. Wenn ich dann den Blick hebe, sehe ich am Text empor wie an einer Wand, nur ist sie gebaut wie ein Fluss, dessen natürlicher Lauf beim Wandern eine unerwartete Biegung nimmt. Maike Wetzels Erzählungen wirken wie ein Kopf, der mich liest, bevor er überhaupt an mich gedacht hat. Ich werde gespielt, während ich lese.
Die Katze
Wer bist du? Manchmal vergisst du deinen eigenen Namen. Deinen Körper pflegst du wie ein Gefährt, dass du brauchst, um durch die Wüste zu kommen. „Ins Ferienhaus ins Reisegebiet in Steine stolperst du, Worte in den Mund gelegt, die Erzählerin gibt dir, du bist passiv-aktiv, du lässt die Katze sterben, siehst den Zerfall. Deinen Zerfall. Ein Lauf in einem Dorf, ein Lauf in einem Kopf, in eine Gegenwart, die dir angedichtet wird, die mir angedichtet wird, die uns wie Artichocken Disteln Mais Tomaten Feigen an den Hirnen hängt. „Du darfst dich bedienen, die Ernte gehört dir.“ In Maike Wetzels Die Katze schieben Zeitebenen sich in einander. Durch den toten oder lebendigen Tierkörper wird die Zeit angesagt. Eine Erzählperspektive, die den implizierten Leser*innen vorgibt, was sie tun, sehen, riechen und schmecken. Eine Erzählstimme, die den Lesenden seiner Gegenwart belehrt, ein zugeschriebener stream of conciousness.
So fühle ich mich auch beim Lesen der Erzählung „Der König“, die mit den Annahmen der Protagonistin spielt – durch die Mitsicht werde ich von ihren Befürchtungen mitgezogen, gegenüber dem Nachbarn, der sie und ihre Schwester in den Keller führt und die Metalltür hinter ihnen schließt, von den Befürchtungen gegenüber der Schwester, die an Sommertagen hungrig den Pool des Nachbarn beobachtet. Alleine im Bett aufwachend am Morgen hören wir das Planschen, ich eile mit hinaus – um im Pool die Nutria untertauchen zu sehen, die sich einige Tage vorher im Haus des „Königs“ hinter der schweren Kellertür verbarg.
Lou
„Wir sind alle verliebt in sie. So wie sie dasitzt und nichts mit uns teilt.“ Wir. In einem Pflegeheim. in einem Zimmer, wo sich aneinanderdrängen die Betten. liegen mit dem Kopf zum Fenster. liegen mit dem Kopf zum Tanz. Lou tanzt. Davon erzählt der Ich-Erzähler in dieser Geschichte, der für den ganzen Raum spricht. Lou tanzt mit den Händen in den Schläppchen auf der Decke. Wir werden in diesen Tanz eingeführt, als würden wir ihn nicht sehen. Als würde der Ich-Erzähler einem Fremden erklären, was Leben ist, erzählt er von Beweglichkeit im Stillstand. Die Perspektive lädt ein, das Beobachten zu beobachten und spielt mit der Identifikation und Selbstzuschreibung von Gruppenzugehörigkeit.
Und auf Erlösung von der Spannung dieser Erzählungen kann ich nicht hoffen, ich trage die Geliebten in mir in den Tag, in meinen Knochen wie ein Surren, eine Irritation. Sie einmal zu lesen reicht nicht, diese Geschichten und Personen sind Wanderwege, die man immer wieder betreten kann.
Aus Entfernte Geliebte bricht nichts. Keiner von Maike Wetzels Sätzen ist unsicher. Nichts schwankt, auch wenn die Personen schwanken und umkippen. Die Geschichten wirken wie mit einem Dartpfeil getroffene Augenblicke – sie fangen einfach an und hören einfach auf, ohne eindeutig zu werden. Glatt und rau bleiben sie zugleich, wie der pelzige Nachgeschmack von Ananas auf der Zunge, auf diese Art undurchschaubar und nicht ertastbar. Wie erzeugt die Autorin dieses Gefühl?
Maike Wenzel spielt mit Takt und Assoziation: “In einer der Stunden …”, leitet Erzählungen durch Träumen ähnelnde atmosphärische Passagen ein: “Zuletzt passierte etwas Komisches…”, spielt mit Perspektive: “Manchmal sprechen wir noch von ihr…”, und knapper Informationsvergabe: “Wenn der Abend …”
Die beoachteten und beobachtenden entfernten Geliebten gleichen sich nicht oberflächlich und nehmen doch ähnlich starke Positionen ein, sind in ihrem Handeln radikal oder radikal passiv. Sie schlürfen in den Erzählungen das Fett aus dem Brathähnchen (Gras und Rüben), nehmen illegale Substanzen ein (in der Zwischenzeit), machen sich rar (Fremde Fenster), werden versetzt und werden schwanger (Hochzeiten) , befriedigen sich an Stühlen (Die Insel), für sie stehen vorm Jugendgericht Mutter und Großmutter einander gegenüber (Schlaf), sie leben auf der Straße (Auf dem Eisernen Steg) oder in der Cloud (Doppelleben). Sie entfernen sich oder sind entfernt worden, sind Geliebte oder wurden geliebt.
Wer dieses Buch liest, wird ein Multipel an Stimmen in sich tragen, wird es weglegen müssen, nachdenken, festgehalten werden von der Stärke der Kurzform, die mal realistisch, mal absurd erzählt, wie das Leben sein kann und wie das Leben sein wird.
Die Insel
„Ich habe nie Wörter vergessen, nie Gerüche, aber Berührungen, die kannte ich nicht mehr.“ In den Rückspiegel schaut sie, um zu wissen, wie ein Gesicht aussieht. Reptilien beobachtet sie, wie sie sich durch den Schrott winden. Stillgelegte Autos adern warm in der Sonne, werden beweglich, sie sitzt und beobachtet, weit weg vom Drehstuhl, an dem man sich reiben kann. Die Leser*innen bekommen eine Anleitung zum Drehen: „Du stumpfst nicht ab, du spürst das Schwindelgefühl immer wieder.“ Wir hören den Monolog eines Tankwarts, doch als dieser Fragen stellt, springt die Ich-Erzählerin vorm Dialog weg. Die Erzählung leitet atmosphärisch ein und sucht ein Ende, das klingt, wie als hätte jemand am Ende eines Satzes nicht die Stimme gesenkt, sondern wäre oben geblieben – Was passiert, folgt keiner äußeren Logik, die Ereignisse und Reflexionen bleiben wie Fetzen aus einem Tag. Einfühlsam und ver-rückt schmiegt die Erzählung sich an die Figur, ohne Erklärungen zu geben.