Wie Hund und Katze

Kapitel 1: Das Haus

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© Sebastian Heinicke [kolorange_was_here]

Ich bin allein. Es ist sehr eng in dieser dunklen Box. Ich wundere mich, wohin der Zweibeiner mich bringt. Ich hoffe dort finde ich viele neue Freunde. Draußen bewegt sich alles zu schnell, ich kann nichts erkennen. Ich habe Angst.

Ich höre eine Stimme: „Wir sind da, Jiji. Willkommen zuhause!“. Meine Box dreht sich um. Plötzlich sehe ich durch das Gitter ein riesiges weißes Haus. So ein großes Haus habe ich noch nie in meinem Leben gesehen! Vor dem Haus gibt es einen riesigen Garten voller Bäume, und sogar einen Teich! Ich kann kaum glauben, dass ich jetzt hier wohne!

Der Zweibeiner lässt mich aus meiner Kiste raus. Aus Freude hüpfe ich in seine Arme. Er gibt mir ein Paar Leckerlis, knuddelt mich und setzt mich auf dem Boden.

„Na komm jetzt, ich zeige dir dein neues Zuhause und stelle dir die anderen vor“ sagt er lächelnd.

Ich hole schnell noch meinen Lieblingsball aus der Box und folge ihm zügig mit wedelndem Schwanz ins Haus.

Im Haus ist es noch schöner als draußen. Ich kann es kaum glauben! Überall gibt es kuschelige Ecken, die bestimmt sehr gemütlich für ein spontanes Nickerchen sind. Ich sehe auch ganz viele Rampen und Tunnel. Dieses Haus ist ein echtes Labyrinth! Es wird so viel Spaß machen, es zu erkunden!

Ich sehe erwartungsvoll den Zweibeiner an. Darf ich mich umsehen? Oder soll ich an seiner Seite bleiben?

Plötzlich landet sanft ein Paar Metern vor mir eine flauschige Katze und kommt mir langsam entgegen.

Ich wohne hier also nicht allein mit dem Zweibeiner? Es freut mich umso mehr, eine Mitbewohnerin zu haben! Auf einmal setzt sie sich hin und fängt an sich sauber zu machen.

Vielleicht können wir uns beim Spielen kennenlernen! Ich bringe meinen Ball zu der Katze. Sie schiebt ihn mit einer schnellen Bewegung ihres buschigen Schwanzes weg. Ich laufe sofort hinterher und bringe ihr meinen Ball zurück. Die Katze starrt mich kurz an und leckt sich weiter.

„Ihr zwei seid ja niedlich.“, sagt der Zweibeiner. „Das hier ist Jiji, das neue Mitglied unserer Familie. Und wo sind die Anderen?“

Die Katze ignoriert ihn und leckt sich weiter. Ich schaue mich um. Der Zweibeiner hat von Anderen gesprochen… Gibt es mehr Tiere in diesem Haus?

Aus jedem Winkel sehe ich unversehens spitze Ohren und glühende Augen. Ist dieses Haus voller Katzen? So viele neue Freunde!

 

Kapitel 2: Soll das eine Katze sein?

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© Sebastian Heinicke [kolorange_was_here]

Das neue Tier ist komisch. Es sieht aus wie eine von uns, wie eine echte Katze. Aber sein Benehmen ist inakzeptabel! Eine echte Katze würde nie so freundlich zu einem Zweibeiner sein! Noch schlimmer, diese „Jiji“ spielt auch mit ihm und führt Tricks für Leckerlis vor! Was für eine Schande! Wenn das eine Katze sein soll, muss dieses Tier lernen, wie sich eine Katze benimmt! Wir apportieren keine Bälle! Wir wedeln nicht mit dem Schwanz! Sowas machen nur Hunde!

Wenn Jiji uns wenigstens in Ruhe lässt, wäre das eventuell tragbar, aber es will unbedingt mit uns rumhängen und spielen. Wir haben Wichtigeres zu tun! Wir Katzen spielen nicht, wir jagen. Der Zweibeiner ist kein Freund, er ist nur da um uns zu dienen. Er sollte froh sein, dass er im selben Haus wie wir wohnen darf.

Dieses neue Tier wird dem Zweibeiner bestimmt Ideen geben. Bald wird er auch an uns Erwartungen haben.

Wir müssen diese Situation sofort klären. Sonst sind wir alle verloren!

 

Kapitel 3: Das Urteil

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© Sebastian Heinicke [kolorange_was_here]

Die anderen Katzen scheinen etwas gegen mich zu haben. Ich verstehe nicht, warum. Ich bin zu allen freundlich. Ich bin gerade erst angekommen und habe mich noch nicht einmal allen vorgestellt.

Sie flüstern zueinander, dass ich mich komisch benehme und dass ich keine echte Katze wäre. Das ist nicht wahr! Ich verstehe nicht was ich falsch gemacht habe. Meine Eltern haben mich immer gesagt, ich solle ich selbst sein. Ich solle machen was mich glücklich macht. Und jetzt sagen die Katzen ich muss mich anders verhalten, um andere glücklich zu machen? Das ergibt keinen Sinn!

Eine sehr alte Katze tritt ernst ein. Sie setzt sich auf einen Tisch und miaut: „Die Katzengemeinde behauptet, dass die neue Katze, Jiji, durch ihr Benehmen das Gemeinwohl stört. Vielleicht sollen wir sie rauswerfen. Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Jiji?“

Ich fühle mich wie vor einem Gericht. Alle Katzen starren mich an. Ich möchte nicht aus diesem schönen Haus wegziehen. Ich mag es hier trotz allem und der Zweibeiner ist sehr lieb zu mir.

Bevor ich Zeit habe, meine Mund zu öffnen um der sehr alten Katze eine Antwort zu geben, fängt eine haarlose Katze an, zu sprechen.

„Der kleine Jiji ist nicht schuldig“ sagt die haarlose Katze. „Es gibt nicht nur ein einziges Katzenbenehmen. Manche von uns sind sehr aktiv und andere schlafen lieber die ganze Zeit. Jijis Benehmen ist vielleicht ein bisschen ungewöhnlich für uns alle, aber es bringt auch viele Vorteile für unsere Gemeinde.

Da Jiji gern mit dem Zweibeiner spielt, ist dieser zu beschäftigt um irgendetwas von uns zu erwarten. Wir haben mehr Zeit für das, was wir für wesentlich halten. Der Zweibeiner ist folglich auch glücklicher und gibt uns bessere Leckerlis und Futter.

Jetzt haben wir eine Katze, die auf den Zweibeiner aufpasst. So eine Katze zu finden ist selten, wir sollten uns glücklich schätzen.“

Ein zustimmendes Schnurren geht durch die Öffentlichkeit. Aus dieser Perspektive hatte scheinbar niemand die Situation gesehen.

„Es wäre meine Ehre, den Zweibeiner zu beschäftigen! Das mache ich so gern und er liebt es, mit mir zu spielen! Heißt das, ich darf bleiben?“ sagte ich glücklich.

„In diesem Fall heißen wir dich herzlich willkommen in unserem Katzenhaus.“ sagt die sehr alte Katze.

Die haarlose Katze schmeichelt mich. „Siehst du Jiji,“ sagt sie, „es ist normal, anders zu sein. Die meisten sehen das leider nicht auf dem ersten Blick, aber mit ein bisschen Verständnis und Offenheit findet jeder einen Platz.“

 

Bilder mit freundlicher Genehmigung von © Jelena Kern und © Sebastian Heinicke