Stand: Jetzt bin ich beschäftigt
Ich gehe also hinaus, ich gehe also raus, genau, ich gehe raus, weil wir hier im fünften Stockwerk und ohne Balkon wohnen und wenn die Sonne scheint, dann sind wir hier im Schatten. Der Park ist mein Garten. So, ich bin hier also in meinem offiziell deklarierten eigenen Garten angekommen, der allerdings noch offizieller allen anderen gehört. Es ist also nicht wirklich mein Garten.
Es gibt den größeren Teil der Wiese, auf dem einige Fußball spielen. Es gibt den hinteren Teil des Parks nahe des Spielplatzes, in dem junge Frauen lesen oder liegen. Zumindest am Nachmittag teilt es sich so auf. Morgens kann ich meist sitzen, wo ich will, ohne dass ein oder zwei Männer sich in draw-me-like-a-french-girl Manier aufstützen und mich aggressiv anstieren, bis sie den Mut aufbringen, rüberzukommen, weil sie „mit mir reden wollen“. Ich will nur mit dir reden, kann ich? Solche Gespräche sind meist leicht vermeidbar, man muss nur jeden Kontaktversuch, von „Hey“, bis zu „Mädchen, komm her“ ignorieren, keine Miene verziehen, so tun, als ob sie nicht da wären und als ob man sie nicht hören könnte, denn selbst nach einem kurzen Kopfzucken nach oben sitzen sie schon nicht-coronaregelnkonform nah an einem dran, um einen nach der Uhrzeit zu fragen, nach einem Feuerzeug, was man gerade so macht, und ob sie einem dabei helfen können. Ich lese gerade über die patriarchalen Strukturen im Film. Dass ich als weiblich gelesene Person von einer Person, die ich als männlich lese, gefragt werde, ob man mir beim Lesen helfen kann, lässt zwar einen Vergleich der sozialen Hierarchien im Marienfriedhof zu den Erzählstrukturen des Hollywoodfilms der 50er bis 70er Jahre in meinem Kopf zu, aber es ist definitiv nicht hilfreich.
Was ist aber hilfreich? Das frage ich mich. Hilft es mir, in den hinteren Teil des Parks zu gehen, den Blick nie zu heben, nie zurückzusehen? Meinen Blick zu unterdrücken, um nicht angesprochen zu werden? Ich will auch einen Platz in der Sonne, am besten mitten im Park. Ich will mich nicht davon abhalten lassen, dort zu sitzen, nur weil ein paar Menschen meinen, dass sie mich kommentieren und begehren können, dass sie auf mich projizieren können, was sie wollen. Ich will mich umschauen, ich will schauen können, ich will meinen Blick heben. Und mein Blick ist keine Einladung, zu mir rüber zu kommen. Wenn Andere etwas anderes gelernt haben, will ich das durchbrechen. Dagegen ansprechen. Das ist und wird anstrengend sein. Aber was soll sich sonst ändern?
Es ist nicht meine Aufgabe, andere zu erziehen. Es ist nicht meine Aufgabe zu sagen, dass ich nicht für andere da bin. Es ist auch nicht meine Aufgabe, mich immer wieder unangenehmen Situationen auszusetzen, doch wenn ich mir den Raum nehme, den ich als selbstverständlich für mich sehe und den mir andere nicht zusprechen, wird es immer wieder dazu kommen. Ich werde immer wieder das Gleiche wiederholen müssen. Vielleicht schreibe ich mir irgendwann ein kleines tragbares Schild, dass ich hochheben kann. Auf dem steht dann vielleicht: Gerade beschäftigt, oder: Nicht ansprechbar, oder: Ich bin nicht da, oder: Ich bin da, aber für mich, und nicht für dich. Ich gebe meinen Platz nicht auf. Ich wiederhole mich. Es ist redundant. Für die Fragenden ist es das auch. Irgendwann muss das doch zur Einsicht führen, dass so nichts erreicht werden kann: Dass niemand sich von diesen Versuchen angesprochen fühlt. Dass sich niemand mit einem noch mal treffen will. Dass man als Fragender etwas ändern muss, vielleicht auch damit anfangen kann, aufzuhören, zu fragen.
Solange ich im Park bleibe und diesen Raum für mich beanspruche, zeige ich, dass dieser Raum da ist, dass er besetzt und umgedeutet werden kann.