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Illustration zu Marianengraben von Jasmin Schreiber by Freya Petersen
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Von Tim-Fischen und Gregor, dem gemütlichen Ganges-Hai

  • 2. Juli 2020
  • Casjen Griesel
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06.06.2020

Hallo Oma,

ich habe gestern mein aktuelles Buch beendet, „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber. Weil ich mir von dir abgeguckt habe, in Büchern meine Lieblingssätze zu markieren, möchte ich ganz kontextlos mit einem meiner Favoriten einsteigen:

„Da stand ein Mann in beigem Polohemd und grauer Stoffhose, der Rücken gekrümmt, die dünnen Haare flatternd im Wind, und versuchte, die Liebe seines Lebens in einen Bergsee zu streuen.“

Marianengraben von Jasmin Schreiber, erschienen 2020 im Eichborn Verlag

Es ist noch relativ neu, erst Ende Februar 2020 im Eichborn Verlag erschienen und deswegen weiß ich nicht, ob es dir gefallen würde – du mochtest ja eher ältere Bücher für kleine Kinder, „Nesthäkchen“ und sowas. Es ist das Debüt der Autorin, was für dich vielleicht ein Grund wäre, es doch zu mögen. Ich erinnere mich daran, dass du es schon immer toll gefunden hast, wenn Menschen ihre Träume verwirklichen.

Ich hatte zuerst große Bedenken, das Buch zu lesen. Wie du weißt, habe ich vor nichts mehr Angst als vor Wasser und allem, was darin lebt. Der Marianengraben ist für mich also quasi der gruseligste Ort der Welt. Ich musste sogar bei der „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ das Cover überkleben, damit ich das Buch überhaupt anfassen konnte. Aber „Marianengraben“ habe ich als E-Book gelesen, weswegen ich das Cover zum Glück nicht überkleben musste – eigentlich ist es nämlich ziemlich schön, man sieht ganz viele Tentakeln und sonst nur Dunkelheit.

Der Bruder der Protagonistin ist so ziemlich das genaue Gegenteil von mir. Er heißt Tim, liebt Fische und wünscht sich, dass seine große Schwester Paula, die gerade ihren Doktor in Biologie macht, irgendwann einen neuen Fisch oder eine neue Krabbe entdeckt und nach ihm benennt, also: Tim-Fisch oder Tim-Krabbe. Sowieso wird das Verhältnis von Paula und ihrem kleinen Bruder total plastisch und nah beschrieben. Du weißt ja, dass ich Einzelkind bin und keine Ahnung habe, wie sich diese Geschwisterliebe anfühlen muss, aber irgendwie wurde sie beim Lesen ziemlich greifbar für mich.

Okay, jetzt kommt der traurige Teil der Geschichte und ich weiß, dass du diese Teile bei Filmen und so eigentlich immer übersprungen hast, aber: Tim war zehn, als er vor zwei Jahren während des Familienurlaubs ertrunken ist. Paula war nicht dabei, weil sie auf ein Konzert gehen wollte und gibt sich deswegen selbst die Schuld an seinem Tod.

Illustration zu Marianengraben von Jasmin Schreiber by Freya Petersen
Illustration zu Marianengraben von Jasmin Schreiber by Freya Petersen

Ich habe im Internet gelesen, der Roman sei eine Geschichte über das Sterben und über das Weiterleben. Das habe ich zuerst nicht wirklich verstanden und dachte mir: „Oh man, noch so ein ultraphilosophisches Buch, das sich mit dem Tod und so weiter beschäftigt, wird bestimmt anstrengend und nicht wirklich unterhaltsam“. Ich habe mich geirrt und sogar ziemlich vielen Leuten das Buch schon empfohlen, während ich es noch gar nicht durchgelesen hatte, was ich sonst eigentlich nie mache.

Also versteh mich nicht falsch, klar verarbeitet das Buch den Tod und das auf eine ziemlich heftige, emotionale Weise. Aber gleichzeitig fallen dabei so sympathische, fast lockere Sätze, die zeigen, wie normal und menschlich es eigentlich ist, Probleme bei der Trauerbewältigung zu haben. Sowas wie

„Ich nickte und heulte weiter stumm in meine Suppe.“

Marianengraben von Jasmin Schreiber, erschienen 2020 im Eichborn Verlag

oder

„Ich würde nur gerne wieder leben, irgendwie. Und das auch genießen.“

Marianengraben von Jasmin Schreiber, erschienen 2020 im Eichborn Verlag

haben mir persönlich ganz viel gegeben, weil ich da gesehen habe, dass solche Gedanken und Handlungen in manchen Situationen normal und gut sein können.

Paula, also die Protagonistin, hat mich ganz generell schon nach den ersten Seiten total fasziniert. Obwohl sie zu Beginn in einem totalen Loch steckt, quasi ganz tief unten in ihrer Trauer angekommen ist und den Grund des metaphorischen Marianengrabens erreicht hat, wo sie jetzt vor sich hinsiecht, ist sie keine langweilige, abgestumpfte Figur, sondern eine nachvollziehbare, menschliche. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Kapitelzählung: Das erste Kapitel heißt „11000“, das letzte „0“. Man begleitet sie also quasi auf dem Rückweg von ihrem Tauchgang nach ganz unten.

Ich will jetzt nicht zu viel verraten, weil ich mich noch ziemlich lebhaft daran erinnere, dass du mich oft dafür kritisiert hast, dass ich keine Geheimnisse für mich behalten kann – besonders, wenn es um die Handlung von Büchern, Filmen und Serien geht, die mich begeistern. Aber Paula lernt im Laufe des Romans durch einen ziemlich komischen nächtlichen Friedhofszufall den Rentner Helmut kennen, mit dem sie sich dann aus dem wohl seltsamsten Grund auf die wohl seltsamste Wohnmobilreise begibt, von der ich jemals gelesen habe. Helmut fand ich am Anfang ziemlich komisch, aber ich denke, dass das auch so sein soll. Mit der Zeit habe ich ihn ins Herz geschlossen und dachte irgendwann, dass er dir schon auch ähnlich ist. Aber das ist vielleicht auch nur die Brille, mit der junge Menschen Rentner*innen sehen. Mit dabei sind zudem stets die Schäferhündin Judy, das Huhn Lutz und außerdem so ein komisches Brummen im Wohnmobil, verborgen irgendwo hinter zweiunddreißig Kartons, deren Inhalt Paula nicht kennt. Klingt suspekt, oder? Findet sie auch. Helmut verteidigt seine beiden Geheimnisse allerdings ziemlich gewissenhaft vor ihren neugierigen Blicken.

Während der Reise hat das ungleiche Quartett außerdem ein paar seltsame Begegnungen. Besonders gefreut hätten dich wohl die FKK-Freunde Bad Wildungen, weil du es schon immer mochtest, wenn unsere Heimatregion in Büchern oder im Fernsehen vorkam. Auch wenn du diese FKK-Sache wahrscheinlich nicht so gemocht hättest.

Auch sonst spielt das Buch an ziemlich vielen Orten, die dir und mir sehr nah sind, zum Beispiel in der Nähe von Kassel, an der Lahn und in Frankfurt. Ich habe noch ziemlich genau im Ohr, wie du dich mal darüber beschwert hast, dass alle Geschichten in Deutschland immer nur irgendwo am Meer spielen oder in Großstädten oder auf dem Oktoberfest. Mit Paula wärst du da wahrscheinlich zufriedener gewesen. Endlich mal eine Protagonistin aus Nordhessen, nicht aus dem abgedrehten Berlin. Mich hat das auch ziemlich gefreut.

Ich glaube, Jasmin Schreiber hat da eine Geschichte erschaffen, die ziemlich vielen Leuten helfen kann, auch wenn sie gerade nicht mit dieser Art der Trauer konfrontiert sind. Besonders in einer Zeit, in der wir alle vielleicht nicht unbedingt am Grund des Marianengrabens sind, aber uns in unserem eigenen Aquarium isolieren müssen und nur durch die Bildschirm-Scheibe in die Welt da draußen blicken können. Ich glaube, du hättest es wahrscheinlich doch gemocht, weil es mich ein bisschen glücklicher gemacht hat.

Ich hab dich lieb,

Casjen

Bild mit freundlicher Genehmigung von Freya Petersen
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Casjen Griesel

(*1997) mag die großen Gefühle und schreibt deswegen Science Fiction und Horror, mag außerdem: Katzen, Dating Simulatoren, Wassermelonen, Doppelpunkte. Germanistik und Gender Studies (B.A.) in Marburg, Literarisches Schreiben und Lektorieren (M.A.) in Hildesheim.

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