„Hitler was good“, sagte Abduls Freund. Da er nicht sehr viel Englisch kann, sprach er weiter auf Arabisch und machte dazu Schieß-Gesten, als hätte er ein Maschinengewehr in der Hand. Ich meine, dass er auf die Vernichtung der Juden im zweiten Weltkrieg hinweisen wollte. Ich protestierte lautstark mit Abdul zusammen: „Hitler was a bad man!“. Abduls Bruder lachte. Ich bin mir nicht sicher, ob er verstand, um was es ging, er spricht kein Englisch. Im Hintergrund lief der Fernseher. Abduls Freund suchte mittlerweile nach einem bestimmten Sender, in dem ein deutsches Fußballspiel übertragen wurde. „Do you have a TV?“, fragte ich Abdul. „I had a good TV, LG. But they came and broke it“, antwortet er. „Who came?“ – „The Jewish came and broke my TV. I bought it for 1600 Shekel“. Er erzählte weiter, dass vor einiger Zeit öfters israelische Soldaten ins Camp gekommen seien und Wohnungen verwüstet oder Leute mitgenommen hatten. Nun würden die Soldaten nicht mehr so oft ins Camp kommen.
Ein wenig später verließen Abdul und ich die Wohnung und gingen zurück zu Abduls Haus, wo er uns sein Zimmer zeigen wollte. Wir durchquerten das Tor, das zum Haus führt, gingen aber nicht zur Eingangstür hinein, sondern liefen eine sehr schmale Gasse zwischen Abduls und dem benachbarten Haus hindurch, eine Treppe hinunter und durch eine niedrige Tür. Wir standen in einem etwa 15 Quadratmeter großen Kellerzimmer, die Decke so niedrig, dass Abdul nicht aufrecht stehen konnte. Es gab kein Fenster, nur eine Glühbirne in der Mitte des Raums spendete ein bisschen Licht. Ich blickte mich um. In Abduls Zimmer war nicht mehr als ein kleines Bett, ein runder Gartentisch, zwei Stühle und ein alter Röhrenfernseher, der auf dem Bett stand.
Alles war in einem schmutzigen Grau, gelblich eingefärbt durch das Licht der Glühbirne. Wenig später stand ich oben an der Treppe vor dem Fenster von Abduls Schwester, die uns drinnen einen Kaffee zubereitete. Abdul war noch einmal hinunter zu seinem Zimmer gegangen, um die Tür zu schließen. Als er wieder zu mir hoch kam, lächelte ich ihm zu. Er lächelte zurück, lachte fast, strahlend wie es seine Art ist und entblößte dabei die wenigen Zähne, die ihm noch geblieben waren.
Ich gehe die Hauptstraße der Altstadt Hebrons entlang. Bis auf zwei Soldaten bin ich die einzige Person in der Straße. Links und rechts säumen verrammelte, teils demolierte Türen von ehemaligen palästinensischen Geschäften unseren Weg. Ein paar Minuten zuvor habe ich mich von Ayman verabschiedet, er darf die Hauptstraße seiner Heimat nicht betreten. An die Türen der ehemaligen Geschäfte sind hebräische Schriftzüge gesprüht worden, teilweise schon wieder fast verblichen. Berichten und Erzählungen zufolge sind die meisten davon feindselige Botschaften an Palästinenser*innen.
Die Hauptstraße ist zu einer Geisterstadt geworden, die nur von den Soldaten an ihrem Anfang und Ende belebt wird. Hier wohnt niemand mehr, keiner darf hier mehr Gemüse, Obst oder Kleidung verkaufen. Die Menschen, die hier früher lebten, mussten aus ihren Häusern verschwinden, ihre Geschäfte und somit ihren Lebensunterhalt zurück lassen, um einer Pufferzone Platz zu machen. Ein Puffer zwischen Palästinenser*innen und israelischen Siedler*innen. Ich schreite den Rest der menschenleeren Straße entlang, passiere den Checkpoint am Ende der Geisterstadt und gelange zurück in den palästinensischen Teil Hebrons, wo das Leben tobt, Autos hupen, Menschen rufen, eine Gruppe Tourist*innen den Checkpoint fotografiert und plötzlich bemerke ich, wie ich langsam anfange, eine Vorstellung der Verhältnisse, die Palästina beherrschen, zu bekommen.
Ayman, I.D., Abdul und all die anderen unglaublich netten und freundlichen Menschen, die ich in Palästina kennen gelernt habe, werden ihren Alltag nach meiner Abreise hier weiter führen müssen. Sie werden stundenlang an Checkpoints festgehalten wenn sie zur Arbeit möchten, werden vom Wandern nur träumen können und davon, mich irgendwann auch einmal in Europa zu besuchen. Sie werden weiterhin Zeug*innen von Verhaftungen von Kindern und dem Tod von Menschen auf offener Straße werden. Sie werden vielleicht auch selbst verhaftet werden, weil sie für ihre eigene Freiheit kämpfen.
In den Städten des Westjordanlands findet man immer wieder große Skulpturen, die einen riesigen Schlüssel zeigen – ein Zeichen der Hoffnung, dafür stehend, irgendwann wieder in die Dörfer und Orte zurück kehren zu können, aus denen Palästinenser*innen 1948 vertrieben wurden. Die hier lebenden Menschen müssen vieles aushalten, worunter ich schon längst zusammen gebrochen wäre. „I don’t have anything to loose“, kommentierte Ayman seinen Aktivismus. An einer Wand in Nablus steht groß: „Resist to exist“.