By Emilienot - Vanessa Place
By Emilienot - Vanessa Place, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8778536

Reproductive Realities

Entwürfe, Pläne, Einfälle. Für eine Literatur des Konzepts 1

Theoretische Basis ist Kenneth Goldsmiths Kapitel „Revenge of the Text“ aus Uncreative Writing. Managing Language in the Digital Age. Ausgehend von der darin beschriebenen ästhetischen Praxis einer Textmanipulation auf Programmiersprachen-Ebene (.jpg  .txt  manipulativer Eingriff  .txt(1)  .jpg(1)) – de facto macht er elaborierte Glitch art – sollen unterschiedliche Variationen eines Scans eines von mir annotierten Exemplars von Kurven, Karten, Stammbäume. Abstrakte Modelle für die Literaturgeschichte (Franco Moretti, 2009) angefertigt werden.

In einem weiteren Schritt wird erforscht, ob das modifizierte Material in einem binnenkosistenten Verhältnis zu sich selbst steht, ob also trotz verschiedenartiger Eingriffe eine Sinnhaftigkeit innerhalb des neu hergestellten Gesamtmaterials besteht, oder ob ich als Leserin einem veralteten Rezeptionskonzept aufsitze, das eigentlich von genau dieser Konzeptionierung aufgebrochen werden soll.

Außerdem sollen die einander als zugehörig vordefinierten Ebenen (.jpg + .jpg(1) und .txt + .txt(1)) miteinander verglichen werden, um genauer, anhand also dieser konkreten Parameter, die Sinnhaftigkeit bestätigen oder ablehnen zu können.

„Was ist Konzeptualismus“ (Vanessa Place), Lektüre „Tragodia I“, „Statement of Facts“ 1 und 2

Die Statements von Vanessa Place spiegeln ihre Arbeit als Strafverteidigerin scheinbar unverstellt, indem sie Berichte von weiblichen Gewaltopfern wiedergibt – allein bei der Kurz- Zusammenfassung des Inhalts lande ich unmittelbar in einem taz-Jargon, der die ganze Bräsigkeit des Diskurses darlegt und zeigt, wie im Mainstream durch lose Worte Traumata und Gewalt unzureichend gefasst werden.

Im journalistischen ad hoc kann „das Unaussprechliche“, als das strukturelle Gewalt häufig noch gefasst wird, gar nicht mit Worten gefasst, ihr begegnet und etwas entgegnet werden; ein systemischer (politisierter: systematischer) Ausschluss.

Anders: Ich laufe die Straße entlang und ein Freund läuft neben mir. Er kommentiert die Brüste einer vorbeilaufenden Frau, zu allem hin in deren Hörweite. Frage: Tun.

Weiter: Places Statements erinnern durch Thematik und repetitive Nüchternheit an einige hundert Seiten von Roberto Bolaños 2666. Die Statements werden jedoch, nach initialem Schock, recht uninteressant (Konzept und direkter Kommentar zu Konzept und Produkt sind interessanter als das Resultat selbst). Bolaño bringt den Inhalt (leicht variierende Beschreibungen über aufgefundene Frauenleichen in einer mexikanischen Grenzstadt innerhalb einer Zeitspanne von vielleicht einer Dekade; jede Variation beschreibt eine neue Leiche und lässt Erkenntnisse von Polizei-Protokollen mit einfließen: also wirklich gar nicht so unähnlich zu Places Material-Zugriff) deutlich besser über die Länge von mehreren hundert Seiten. Wie genau er das schafft, frage ich mich schon seit einigen Jahren. Kurz gesagt: Bolaños Resultat funktioniert, Places nicht.

Geht es um Effektivität? Und was war eigentlich die Frage? Anders: Vanessa Place ist clever. Daran erfreue ich mich. (Diese Dinge wollte ich eigentlich vermitteln.) Weiter: Place variiert grammatische Strukturen. Das Geschlecht des Subjekts in ihren Sätzen wird permanent verändert, sie setzt nicht automatisch die erwarteten Pronomen für das Geschlecht des bereits Verhandelten. Ihre poetische Schreibe ermöglicht das: „Jeder Text verdient noch ein Nächstes“; dadurch werden innerhalb der Sprache konkret veränderte Räumlichkeiten geschaffen, ohne dass dies offensiv oder konfrontativ geschieht.

„Es ist die Poesie der Leute, unsere Sprache für uns und von uns – dabei erfüllt es jedoch das poetische Mandat, Geschichte innerhalb der Kunst der Sprache zu bezeugen sowie das Diktat der Avantgarde, es solle keine Trennung von Leben und Kunst geben.“

Nicht so sehr anders: Konzeptuelles Schreiben ist Angewandte Soziologie in einer besten aller Welten, denn: „Konzeptuelles Schreiben fügt den fehlenden Schmerz hinzu.“

Bild mit freundlicher Genehmigung von Emilienot - Vanessa Place, CC BY-SA 3.0