„Scarry [Name, der aber Programm zu sein scheint]1Anmerkung der Verfasserin. macht deutlich, daß ein Folterer eigentlich die Erniedrigung seines Opfers genießt, nicht die Tatsache, dass er es vor Schmerz schreien lassen kann. Der Schrei ist nur eine zusätzliche Erniedrigung.“2Rorty: 72.
Der Folterer berauscht sich also an seiner Macht – auch das, wie es scheint, eine notwendige Bedingung für Grausamkeit: Macht, „Überlegenheit“ durch Entmachtung des/der anderen, Machtrausch – er genießt, sich über den/die andere/n zu erheben, ihn/sie zum Objekt zu degradieren, das er zerstören kann. Dieses Ausspielen von Macht, der Rausch, auf den es abzielt, ist jedoch keineswegs eine rein affektive Angelegenheit, ist kein blinder, einer blinden Gesetzmäßigkeit nachkriechender Gehorsam, der wiewohl uns allen eingefleischt ist.
Es ist nicht nur ein (bewusstloser) impulsgetrieber Körper, der sich über einen anderen wehrlosen Körper erhebt, indem er ihn erniedrigt, sondern ein Bewusstsein, das mit dem Bewusstsein seiner Befriedigung spielt, sich Variationen des Weges zu seinem Ziel (der Befriedigung/Erniedrigung) vorstellt und in die Tat umsetzt, das neue Wege schafft und noch den verborgensten düstersten Winkel seiner Möglichkeiten auskostet, die seinen Einfallsreichtum beflügeln und zu immer neuen Auswüchsen – letztlich – kontingenter Verhaltensweisen führen.
Man* muss nur einen Blick in die historischen Folterkammern des europäischen Mittelalters werfen (Streckbank, Daumenschrauben, eiserne Jungfrau, Spreizbrine, etc.)3https://www.diboo.de/foltermethoden/; Stand: 26.06.2020. Mind the ga-hap! um zu verstehen, was Kreativität im Zusammenhang mit Grausamkeit meint, und dass die Zerstörung durch Grausamkeit, insbesondere in Bezug auf Folter, eine Zerstörung durch perverse Phantasie ist, welche sich dort entfaltet, wo ein Bewusstsein der eigenen (Entscheidungs-)Macht kollabiert. Oftmals tut es das, weil es den eigenen Freiraum für absolut, aber in seiner Absolutheit bedroht hält.
Es ist also gewissermaßen das (Sich-)Bewusst-Sein-aber-nicht-wahrhaben-Wollen der Kontingenz der eigenen „Freiheit“ (die auf der Unfreiheit anderer basiert), das sich die eigene Freiheit – man könnte es auch Macht nennen – darum bestätigen will, um sich dann, im gestärkten Bewusstsein jener Macht (durch den „Beweis“ der Ohnmacht des anderen) in „Sicherheit“ zu wiegen. Das ist der Zweck der Erniedrigung, das und nichts anderes.4Ebd.
Beispiele hierfür finden sich vielfach in der Geschichte der Menschheit und die brutalsten oft gerade in Form kollektiver Gräueltaten: Hexenverfolgung in Mittelalter und früher Neuzeit, Lynchjustiz, etwa in den USA, aber auch anderswo (bspw. hierzulande: Rostock-Lichtenhagen 1992, o.ä.), die Shoa, (oder sonstige) tyrannische Regime, wie die der Roten Khmer, usw., usw., usw. …
Daraus lässt sich die nächste mögliche, notwendige Bedingung von Grausamkeit ableiten: Grausamkeit sollte, rein theoretisch, zur Rechenschaft gezogen werden können, d.h. sie setzt eine gewisse Verantwortlichkeit („Zurechnungsfähigkeit“) für die Handlungen, sowohl eines einzelnen, sich irgendwie (grausam) verhaltenden Subjekts voraus, als auch des entsprechenden Kollektivs.
Diese Verantwortung resultiert wiederum nach der einen Seite hin – was auf den ersten Blick paradox erscheinen mag – aus der generellen Kontingenz menschlicher Handlungen (Handlungen, jenseits den für ein Überleben erforderlichen)5Ebd., weil Kontingenz bedeutet, dass ein Spielraum besteht, der Wahlmöglichkeiten offeriert, zwischen denen entschieden werden kann (aber nicht muss). Nach der anderen Seite entspringt sie der Fähigkeit, Kontingenz selbst bewusst (im Sinne eines, vielleicht nur ganz rudimentären Bewusstseins eventueller Motivationen eventueller Handlungen und ihrer Folgen) hervorzubringen qua Vorstellungskraft(/Verstand), bzw. der praktischen Umsetzung ihrer Eruptionen; demnach also gewissermaßen der Fähigkeit, mithilfe jener Vorstellungskraft, „kreativ“ werden zu können, Realität gestalten zu können und – als natürliche Folge einer solchen Fähigkeit – Letzteres schließlich zu tun. In anderen Worten: Es ist die Kreativität – in der, jedenfalls im Falle des Menschen, ein gestaltendes Bewusstsein implizit ist – die als Kontingenzenproduzentin schlechthin6Wenn ich Kreativität die „Kontingenzenproduzentin schlechthin“ nenne, dann liegt das einerseits daran, dass Kreativität selbst schon Produkt „purer“ Kontingenz ist. Sie entspringt einem Freiraum, der Gestaltung zulässt. Räumlich betrachtet: (z.B.) eine weiße Leinwand oder ein weißes Blatt Papier; sowie zeitlich: Muße, die wir benötigen, um kreativ werden zu können. Reglementierung, also in gewissem Sinne eine Determinierung ihrer Entstehungs- und Produktionsbedingungen, ist der Kreativität per se feindlich; denn sie (die Kreativität) strebt danach – und hier komme ich zum „Andererseits“ ihrer eigenen Erzeugnisse (Produkte) – den Inbegriff freier, unreglementierter Gestaltung eines solchen Freiraums zu vergegenständlichen. Vor allem wenn wir Kreativität mit Kunst in Verbindung bringen, bezeugt dies der Umstand, dass der Status der Kunst für uns gewöhnlich fraglich wird, sobald Letztere etwas „muss“. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sich bis heute viele Menschen (nicht nur Kunsthistoriker_innen) damit schwer tun, die Werke des sozialistischen Realismus, als Kunst-Werke anzuerkennen (eine durchaus streitbare, diskussionswürdige Haltung). Kunst und Kreativität werden also gerade mit ihrer Vielfalt an Möglichkeiten assoziiert und mit dem Umstand, dass diejenigen (Möglichkeiten), die schlussendlich ergriffen werden, häufig die vermeintlich abwegigsten und (dennoch) innovativsten sind. Wir Fragen uns, wie eine Künstlerin ausgerechnet auf diese Idee gekommen ist, da sie uns eben so beliebig, so kontingent erscheint, aber gleichsam so weit ab, von allem, was wir uns selbst hätten vorstellen können; und genau das macht ja den Reiz von Kunst und Kreation aus., das Werk – hier die Tat – unmittelbar mit der Urheber_in verbindet und ihn/sie für Existenz wie Konsequenzen desselben, wenigstens anteilig, verantwortlich macht.