Die „hart aber fair“-Redaktion sah das im Juni dieses Jahres ähnlich, ging gar einen Schritt weiter: „Wer die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert, kann kein Gast bei ,hart aber fair‘ sein. Daher werden wir Alexander Gauland in Zukunft nicht mehr einladen“. So einfach kann das sein, aber leider auch so symbolisch, wenn stattdessen Alice Weidel dort Platz nimmt. Und Gauland dafür in allen anderen Talkshows, in denen er umstandslos jede Diskussion an sich reißen und seine Agenda setzen kann: Migration. Genauso respektabel und gleichzeitig trügerisch ist es, wenn Kai Gniffke und Peter Frey, die Chefredakteure von ARD und ZDF sich in Dresden auf ein Podium setzen, das den Kampfbegriff „Lügenpresse“ zur freien, ergebnisoffenen, scheinbar rationalen Diskussion stellt. Ein großer Teil der rechtspopulistischen Erfolge der letzten Jahre basiert genau darauf: politische Kampfbegriffe durch ihre Wiederholung in den alltäglichen Sprachgebrauch einzuschleusen, bis sie irgendwann als vermeintlich harmlose Wortwahl in Debatten auftauchen und die hinter ihren Sprachbildern liegenden Vorannahmen und Implikationen mit transportieren, ohne dass diese ausformuliert werden müssten. Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Grenzöffnung“ sind keine neutralen Formulierungen, sondern beschwören verzerrte Wirklichkeiten herauf, aus denen sich für genau eine Seite politisches Kapital schlagen und für genau eine andere nur verlieren lässt. Viel mehr noch als die mittlerweile üblichen Fact-Checkings wäre daher ein obligatorisches Frame-Checking gefordert, wie es der Politikberater Johannes Hillje ins Spiel bringt.
„Mit Rechten reden“: Was als Strategie daherkommt, ist ein Jahr nach dem Bundestagseinzug der AfD noch viel zu häufig unbeholfene Absichtserklärung oder Stichelei nach innen, die sich leider selbst populistischer Konstruktionen bedient, ohne die Ideologie dahinter zu teilen. Die Unterscheidung zwischen „Rechten“ und „Nicht-Rechten“ ist heuristisch wertvoll, nur wird dabei eben viel zu oft der Fehler gemacht, beide Seiten als jeweils eine homogene zu zeichnen. So muss immer und immer wieder das vermeintlich Triviale benannt werden: Ob und wie mit Rechten geredet werden sollte, ist abhängig vom Kontext und den Beteiligten. Die, die es nicht wollen, haben alles Recht dazu: Nicht sie gefährden damit die Demokratie, sondern diejenigen, die sie angreifen. Für alle anderen, die reden wollen, gilt: Sensibilisiert euch für verschiedene Situationen! Gewinnt Verunsicherte zurück, indem ihr dem Menschen gegenüber respektvoll seid, nicht unbedingt gegenüber seinen Positionen. Lasst euch von Trollen nicht provozieren, sondern bewahrt Ruhe und lasst Luft aus ihrem Auftritt. Und diskutiert nicht mit Menschen, die geschlossene Weltbilder vor sich hertragen oder bei jeder Gelegenheit ausspucken: Solidarisiert euch mit Betroffenen, wo es gewünscht ist, es die Situation erfordert und ihr euch dazu in der Lage fühlt. Setzt Grenzen dort, wo sie bewusst und vorsätzlich überschritten werden sollen, um Maßstäbe dessen, was als normal und akzeptabel gilt, sukzessive zu verschieben. Formuliert eigene starke Positionen in wirkungsvollen Sprachbildern! Demokratie ist keine vollkommen ergebnisoffene Diskursspirale, sondern lebt auch von grundlegenden Absolutismen, sprachlichen Behauptungen, die immer wieder vertreten werden müssen, um ihre performative Kraft zu entfalten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wer diesen und andere Grundsütze zum einen Extrem einer Polarisierung von „Ressentiments vs. überschäumende Moral“ degradiert, wie der Dramaturg und #aufstehen-Intellektuelle Bernd Stegemann, leistet der Relativierung allen, worauf diese Gesellschaft gebaut ist Vorschub. Und kann sich gerne wieder hinsetzen.
Natürlich bedarf es mehr, um die mittlerweile langjährigen Rechtsverschiebungen in Deutschland und Europa aufzuhalten: Vor allem lebensnahe, sachorientierte und den Umwälzungen der Gegenwart wie den Szenarien der Zukunft angemessene Politik. Aber umgekehrt gilt auch: Der politische, Interessen ausgleichende Raum dafür muss sprachlich gewonnen werden, mit Wachsamkeit, Überzeugung und Solidarität, genau wie Transparenz, Offen- und Einfachheit, schließlich einer produktiven Ignoranz in den richtigen Momenten. Die AfD hat den seit Kriegsende in der deutschen Bevölkerung unverändert vorhandenen autoritären, nationalistischen und rassistischen Neigungen eine politische Heimat gegeben. Sie mag auf demokratischem Wege gewählt sein, aber demokratisch ist sie darum noch lange nicht.
Es ist mehr als vertretbar, diese Rechten, die die Offenheit unserer Gesellschaft missbrauchen um sie zu „spalten“ (Götz Kubitschek) und fundamental umzubauen, zugunsten der Freiheit aller Einzelnen wie der Zukunftsfähigkeit der demokratischen Mehrheit einzudämmen. Ganz verschwinden werden sie nie. Die „Rhetorik der Zärtlichkeit“ aber, die Max Czollek in seinem Essay „Desintegriert euch!“ gegenüber jenen beschreibt, die das Recht anderer angreifen, in diesem Land frei und gleichberechtigt zu leben, ist mehr als unangemessen: Sie ist verzerrend, destruktiv und auch noch blind dafür. Es ist auch ein Irrtum, aus Kontroversen wie in München oder Siegen darauf zu schließen, eine „linksliberale Diskursverweigerung“ oder Blockadehaltung führe zu ihrem Erfolg: Fehlende Solidarität unter Nicht-Rechten macht Rechte groß. Und die Skandalisierung jeder freien Entscheidung zum Nicht-Dialog, wo die Grundlagen verschoben sind. Lernen wir also zu differenzieren: Mit wem wir es wann und wo zu tun haben. Wer sich hinter diesem „Wir“ verbirgt, dass für Rechte nur eine zu bekämpfende, „mainstreamige“ Masse ist.
Reden wir häufiger darüber, was dieses „Wir“ ausmacht, wie es vom vereinnahmenden Sammelbegriff zum Pronomen der Vielfalt werden kann. In einer Sprache, die jeder und jedem, die dazugehören wollen, Recht und Möglichkeit gibt mitzusprechen. Und lassen wir uns stattdessen seltener in ein fatales Spiel von „die“ und „wir“ zwingen. Rauswerfen muss auch manchmal sein. Eine wichtige Erkenntnis liefern Leo/Steinbeis/Zorn nämlich doch: „Wir“ brauchen „die Rechten“ nicht. „Sie“ brauchen „uns“, um sich überhaupt erst als Gruppe konstituieren zu können. Ohne uns sind sie nicht viel.