Die Augen einer Frau, Dunkelheit, wir hören Stampfen, Hämmern und Rauschen, Industrielärm, dann eine Horde Elefanten. Darüber wird wieder das Bild der Mutter. Mit einem Mal wenden sich die Elefanten gegen den Betrachter und die Mutter. Sie kommen näher, füllen brüllend das Bild aus, bis es fast dunkel wird, während die Mutter zu Boden stürzt. Ein Elefant hebt seinen Rüssel, das Gesicht der Mutter ist von Angst und Schmerz verzerrt. Eine Vergewaltigungsszene. In der nächsten Szene schreit ein Baby, der Elefantenmensch ist geboren, mitten hinein in die Hölle, zu der ihm die Welt wird. „Ich habe Angst gehabt, zu sprechen,“ sagt John Merrick, der Elefantenmensch.
Im Vogelpark werden jeden Morgen die Wege geharkt. Die Beete sind mit schwarzglänzenden Kieselsteinen eingefasst. Der Besitzer schenkt den Kindern Jahreskarten, kleine rotlackierte Pappkarten mit einem eingeprägten Goldfasan. Dafür müssen sie einmal die Woche die Sittich-Volièren ausfegen, Säcke mit Vogelsand stapeln und die Wasseranlage bei den Beos überprüfen. Auch muss das Moos von den Felsen am künstlichen Wasserfall entfernt werden. Die Pfauen ruhen unter den gestutzten Fliederbüschen.
Hinten im Park ist der Besitzer zu jeder Stunde bei der Modelleisenbahn anzutreffen. Während die Kinder mit ihren Eltern an den Käfigen stehen und dem unruhigen Flirren durch das Gitter zuschauen, verlötet der Besitzer hinten in der Hütte die Elektrik. Die Hütte ist niemals geöffnet, die Kinder erzählen sich von der Modelleisenbahn, haben sie aber noch nie gesehen. Sie streiten sich, was besser sei, die Bahn oder die Vögel. Als der Park eines Tages geschlossen bleibt, warten die Kinder mit ihren Jahreskarten am Eingang.
Sie hören die Schreie der Pfauen, aber niemand öffnet das Tor. Über den Tod des Besitzers gibt es keine Berichte, niemals wird ein Schild am Tor befestigt, keiner weiß, was aus den Vögeln geworden ist. Von der Modelleisenbahn ist keine Rede mehr. Hinter dem Zaun wachsen die Bäume in den Himmel, die Kinder können durch die Lorbeerhecken nicht erkennen, ob die Vögeln noch in den Volièren hocken, die Eltern suchen sich neue Ziele.
Aus der desolaten Lage abzuleiten, wie man sich verhalten darf, ist falsch. Schluck ein bisschen Idiotin; schon, wenn du fragst, bist du zu spät. Was bricht? Was verfällt? Was bleibt? Und: was wird da beschworen? Soviel Unglück, das man nicht vergessen kann. Niemand träumt. Es geht darum, jünger zu werden. Die Autonomie fürs Falschmachen. Stupid and contagious. “Anhalten. Sich umdrehen. Und sich fragen: gut, wenn es so ist, wie es ist, warum verstehe ich es nicht?” (Rainald Goetz)
Die Vertikale von Innen und Außen ist dahin. Drinnen ist es anstrengend und idiotisch, draußen herrscht gemeinsames Flüstern. Immer muss jemand ins Schwarze werfen und immer treffen, etwas erforschen und probieren und ertasten, etwas montieren und aufgeben und durchhalten, muss lügen, einen Plan erfüllen, einen Scherz machen, alles durchblicken und scheitern. Relevant ist das, was wir uns teilen. Was mir widerfährt, ist produktiv. Da hebe ich feine Modulationen unter. In diesen Strukturen bin ich zuhause und allein. Gerade noch alles leer und dann auf einmal mitten in der Sprache, Kontexte trainieren und vermehren, nicht mehr alles sein, nicht länger Ichbesetzung.
Das Große Gemurmel
Bevor ich lesen konnte, habe ich zugehört. Hineingeschmiegt in das Große Gemurmel, das Flüstern der Sprache, die anfangs nur wenige Stimmen hatte. Wenn ich Fragen hatte, wurde mir geantwortet. Stimmen füllten jeden Raum, in den ich trat. Alles ängstigte mich, die Kühle der Wand, das Ticken der Heizung, der Mann ohne Bein vor dem Einkaufszentrum, das Gesicht der Freundin, wenn sie vergaß, wo sie war, die langen Käsefäden in der Soße, die in meiner Kehle verklebten und mir die Luft nahmen, die Gesichter der RAF-Terroristen auf den Fahndungsplakaten, die Fliege, die in der Lampe verkochte, der verwundete Blick der Mutter, die giftige Suppe, die meine Freunde nachmittags anrührten und mich zwangen, sie zu kosten.
Aber solange sie dabei mit mir sprachen, konnte ich durch den Tag kommen. Die Nächte waren schwerer, weil hinter den heruntergelassenen Jalousien die Stille stand wie Beton, von dem ich träumte, bis ich schrie. Du hast nichts erlebt, wovor du dich fürchten musst, sagte man mir, aber das stimmte nicht, obwohl die gemurmelten Worte mir den Trost versprachen, den ich gewohnt war. Da wurde ich misstrauisch.
Abschweifungen von Abschweifungen von Abschweifungen. Jede Geschichte erzählt immer noch von einer anderen, einer weiteren Geschichte. Was alles passiert oder passieren könnte, wenn eine versucht eine Geschichte zu schreiben über jemanden, der eine Geschichte über die Schwierigkeiten schreibt, Geschichten wie diese zu erzählen. Zwiebelhäuten. Für diverse Wirklichkeiten eine Konstruktion zu finden, die keine falsche Endgültigkeit verspricht, sondern mit absichtsvoller Absichtslosigkeit das Vorläufige jeder Erfahrung darstellt. Nicht Nachahmung, sondern Aufführung. Jedes Spiel wieder wegwerfen und wiederholen. Die Emphase des Zufälligen ist unausweichlich.
„Ich werde dies heute beenden, zur Hölle damit. Ich hab genug davon. Ich spiele sowieso nur mit Worten, was dachten Sie, was ich tue? Einfach mit Worten spielen, ga-ga-ga-ga-ga-ga-goo-goo-gig-geg-gug-gack. Ich bin dreiunddreißig, ich hab noch mehr wichtige Sachen, auf die ich achten muß, Geld, Karriere, Frauen, Hobbys, Urlaub, so viele Dinge, wirklich gute Sachen, irgendwo hab ich ene Liste. Nel mezzo del cammin di nostra vita – mi frega mente. Ich schließ es jetzt einfach ab, wie’s gerade kommt, zur Hölle damit, heute hör ich auf. Und so ist alles wahr, was ich geschrieben habe, jedes Wort, darauf bestehe ich.“
(Ronald Sukenick)