2009. Drei junge Frau stoßen durch Zufall auf eine Geschichte, die sie begeistert, vor allem aber öffnet sie ihnen die Augen. Eine Geschichte, die Geschichte schrieb, dann jedoch in einem verstaubten Aktenschrank im Archiv des „Newsweek“ Magazin verschwand und vergessen wurde. Sarah Ball, Jesse Ellsion und Jessica Bennet, so heißen die Frauen, arbeiten als Journalistinnen bei eben dieser Zeitung, einem der ‘big three’ der meinungsbildenden Nachrichtenmagazinen in den Vereinigten Staaten, als sie über das EEOC-Verfahren, dem „Good Girls Revolt“ von 1970 erfahren. Damals klagte eine Gruppe von 46 weiblichen Angestellten gegen ihren Arbeitgeber „Newsweek“. Die Sammelklage richtete sich gegen die systematische Diskriminierung der als Rechercheurinnen arbeitenden Frauen. Während die Frauen recherchierten, blieb es ihnen verwehrt wie ihre männlichen Kollegen zu schreiben und veröffentlichen. Die eigentlichen Artikel wurden von den ausschließlich männlichen Journalisten und Redakteuren verfasst und erschienen später alleinig unter deren Namen. Auf der Suche nach mehr Informationen über die Klage lernen die drei Jounalistinnen die Autorin Lynn Povich kennen, die am „Good Girls Revolt“ von 1970 beteiligt war und anschließend die erste weibliche Redakteurin der „Newsweek“ wurde.
2012 erscheint dann Povichs Buch mit dem Titel „The Good Girls Revolt- How the Women of Newsweek Sued their Bosses and Changed the Workplace“ Es ist das erste Buch, dass die Ereignisse des Verfahrens detailliert erläutert und zusammenfasst. Doch das Wichtigste: Die Autorin beendet die Geschichte nicht mit der Veröffentlichung der Sammelklage gegen „Newsweek“ bei der Pressekonferenz von 1970 und deren positiven Auswirkungen, sondern führt die Lesenden weiter bis in das Jahr 2009 – und so schließt sich der Kreis. Die Geschichte über ihre Vorgängerinnen beim Magazin hat nämlich etwas mit den jungen Journalistinnen bei „Newsweek“ gemacht. Sie erkennen erschreckend viele Ähnlichkeiten und Parallelen zu ihren eigenen Erfahrungen bei „Newsweek“ und das 40 Jahre später. Sie erkennen, dass es nicht an fehlenden Fähigkeiten oder Kompetenzen liegt, dass sie nicht befördert werden und anderen, meist männlichen Kollegen, obwohl diese beispielsweise viel weniger Artikel veröffentlicht haben oder es ihnen an Arbeitserfahrung mangelt, höhere Gehälter oder Stellungen angeboten werden. Sie erkennen die unrechte und diskriminierende Behandlung und die Chancenungleichheit an ihrem Arbeitsplatz und sie erkennen, dass sie die Aktualität von Sexismus unterschätzt haben.
Jesse Ellison erzählt, wie viel Respekt sie vor dem Magazin hatte. Als sie dort begann zu arbeiten, fühlte sie sich wie in einer Welt voller echter Denker und Schreiber und hatte stark das Gefühl sich beweisen zu müssen. Dass sie keine richtigen Aufträge bekam, verstand sie als Zeichen dafür, dass man, trotz ihres glänzenden Abschlusses dachte, sie wäre eben noch nicht gut genug. Sie kam nicht darauf, dass es an etwas anderem liegen könnte. Sie fühlte sich unsicher und unglücklich. Doch der „Good Girls Revolt“ belehrt sie eines besseren; nämlich dass sie nur eine von vielen jungen Frauen ist, die entdecken, dass „Postfeminismus“ eben doch noch nicht „Post“ ist. Und genau das ist der Grund, weshalb die US-amerikanische Dramaserie „Good Girls Revolt“, produziert von Dana Calvo und 2015 erstmals ausgestrahlt, mit gleichnamigem Titel und basierend auf Lynn Povichs Erzählung, ein so großer Erfolg wurde.
Eine Gruppe junger Frauen im Kampf um die Gleichberechtigung an ihrem Arbeitsplatz, Emanzipationsprozesse und sexuelle Selbstfindung gewürzt mit einer Menge Zeitgeschehen, all das und mehr bietet uns die serielle Fiktionalisierung der Geschehnisse um 1970 beim „Newsweek“ Magazin. Die historische Kontextualisierung gegen Ende der 60er Jahre in den Vereinigten Staaten beleuchtet Ereignisse wie das Konzert in Almont, die Black-Panther-Bewegung, die aufstrebende Frauenbewegung und die hierarchischen Zustände innerhalb der Zeitungsredaktion, welche in der Serie übrigens in „News of the Week“ umbenannt wurde. Im Fokus der seriellen Erzählung stehen drei junge Rechercheurinnen und die Zusammenarbeit mit ihren männlichen, als Redakteure arbeitenden „Partnern“, für welche sie journalistische Vorarbeit leisten. Dabei werden die beruflichen wie auch die privaten Angelegenheiten der Protagonistinnen thematisiert. Zum einen ist da die konservativ und traditionell eingestellte Jane, die mit der Arbeit bei dem Magazin eigentlich nur die Zeit bis zur Heirat überbrücken möchte, allerdings durch ihren stechend scharfen Verstand und ihre perfektionistische Art auffallend gut in ihrem Job ist. Patti hingegen, eine passionierte Rechercheurin und „Hippiebraut“ die den Puls und Zeitgeist der Gegenkultur der 60er Jahre verkörpert und durch ihr gutes Gespür für Geschichten und Timing heraussticht, hat den großen Traum, selbst als Journalistin zu arbeiten und schreiben. Schließlich Cindy, die in ihrer Ehe vereinsamende, unglückliche und anfangs schüchterne, graue Maus, deren Charakter wohl die größten Entwicklungsschritte durchläuft, angefangen von sexueller Selbstentdeckung bis hin zu Emanzipation und Selbstbefreiung. Jede von ihnen hat mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, welche sie nach und nach auf den Weg der Selbstbestimmung leiten.
Neben Sexismus werden auch Themen wie Partner und Freunde in Vietnam, patriarchische Ehemänner und unglückliche Ehen, Gewalt, Rassismus, Alkoholismus, unterdrückte Sexualität, Freiheitsdrang, der Wunsch nach Selbstverwirklichung etc. thematisiert, wodurch eine spannende Balance zwischen Zeitgeist und Zeitgeschehen entsteht. Die Serie zeigt nicht eine von Anfang an rebellisch und revolutionäre Frauengruppe – ganz im Gegenteil. Über zehn Folgen der ersten und bisher einzigen Staffel zieht sich der Entwicklungsprozess des Anklageverfahrens bis hin zu einer finalen Pressekonferenz, bei der die Sammelklage veröffentlicht wird. Doch genau das macht die Serie so sehenswert und authentisch: Reflektiert wird die Idee behandelt, dass Veränderungen nicht immer schnell und einfach ablaufen, sondern oftmals viel Zeit und Geduld in Anspruch nehmen und vor allem Mut. Alle drei Frauen stoßen immer wieder an persönliche oder gesellschaftliche Grenzen, haben mit verinnerlichten Konventionen und Selbstbewusstwerdung zu kämpfen. Im Laufe der Geschichte entsteht ein immer stärkeres Netz des Vertrauens und der Solidarität innerhalb der stetig wachsenden Widerstandsgruppe. Den RezipientInnen der Serie wird ein Gefühl der Teilhabe an der gemeinsamen Verschwörung vermittelt, die jegliche männliche Charaktere innerhalb der „News of the Week“-Redaktion, die nichts von der Bewegung ahnen, ausschließt. Die Zuschauer werden also zu Mitwissern, so dass man der näher rückenden Pressekonferenz entgegengefiebert. Eine weitere Schlüsselrolle: Die bei der „American Civil Liberties Union“ tätige Anwältin Eleanor Holmes Norton, die der geheimen Aktivistinnengruppe auf der gesetzlichen Grundlage des Civil Rights Act von 1964 hilft, die Klage gegen „Newsweek“ in die Wege zu leiten und den „Good Girls“ die Rolle einer selbstreflektierten und emanzipierten Frau vorlebt.
Eleanor Holmes Norton war auch in der nicht-fiktionalen Geschichte die Anwältin der Frauengruppe und wurde 1977 die Vorsitzende der “Equal Employment Opportunity Commission“. Die Serie „Good Girls Revolt“ stieß insbesondere bei einem weiblichem Publikum auf Begeisterung und erhielt generell überwiegend positive Rezensionen. Daher sorgte es für viel Aufregung und Enttäuschung als die beliebte feministische, von Dana Calvo produzierte Serie aus undurchsichtigen Gründen von Roy Price, dem ehemaligen Chef der Amazon-Studios, der im Herbst 2017 wegen sexuellen Belästigungsvorwürfen gehen musste, abgesetzt wurde. Die entscheidende Frage ist jedoch: was ist es, das die ZuschauerInnen so fasziniert hat? Was hat diese Frauengruppe an sich, das wir ihnen so gerne beim Widerstand zuschauen? Erkennen wir etwas von uns selbst oder aus unserem Leben, unserem Alltag wieder? Schauen wir die Serie so gerne aus den gleichen Gründen, weshalb Sarah, Jesse und Jessica sich so intensiv mit dem „Good Girls Revolt“ an ihrem Arbeitsplatz in den 70ern beschäftigten? Entdecken wir Ähnlichkeiten, Entwicklungen oder Emanzipationsprozesse, den jede Frau selbst aus dem Jahr 2018 noch kennt?
Dinge die sich wiederholen, die uns noch immer beschäftigen, genau wie sie unsere Mütter beschäftigt haben, vielleicht die Erkenntnis, dass 48 Jahre nicht reichen, um jeglichen Sexismus, Diskriminierung und Unterdrückung aufzuheben, die Erkenntnis, dass der Weg noch lange nicht endet, dass wir noch mitten drin sind und dass uns im Alltag wie in der breiten Öffentlichkeit und den Medien noch oft Menschen wie Harvey Weinstein, Roger Ailes, Donald Trump und tausende andere begegnen werden.