Steve Jurvetson - [1], CC BY 2.0

Gescreenshotet

Entwürfe, Pläne, Einfälle. Für eine Literatur des Konzepts 2

Digitales Schreiben wird ausbuchstabiert, nach dem tatsächlichen Inhalt der Daten, den Algorithmen, die via Autor_in ins Spiel kommen, der Konversion dieser Daten, nach der zunächst etwas aussagelos klingenden „Interaktion mit dem Datenstrom“, der die künstlerische Arbeit verändert.

Es gibt Analogien zum Althergebrachten: Distant Reading bedeutet hier, wenn es eine Seite gibt, die sich beständig automatisch aktualisiert, und dann ist da eine illustrierte Weltkarte abgebildet, und immer wenn jemand #fifaworldcup14 twittert, erscheint ein visueller Impuls, meist als farblicher Kontrast, auf dieser Karte (z.B. in Form eines helleren Pixels als die umliegenden). Close Reading bedeutet hier „Google Poetry“, dargestellt als Screenshot von: Eingabe in Googles Suchkasten, „Ich denke“, und – in mehrfacher Ausführung unterhalb eingeblendet – mögliche Satzfortsetzungen.

Distant Reading wäre also: Aggregation und daraus resultierende Visualisierungstaktiken (deswegen mögen das auch JournalistInnen; es ist ihrer Vermittler-Tätigkeit analog, comp. The Bright Future of Datenjournalismus), Close Reading hingegen Arbeiten am einzelnen Wort oder Satz, das Textliche des Datenmaterials steht noch im Vordergrund, oft ausgedrückt durch eine Bild-Text-Schere, spielerischer (Handhabung hier eher von Satirikern und Künstlerinnen).

Wie aber generiert man etwas, das Google nicht erfassen, verwerten, rauben kann? (Vermutlich ist die Frage auch nicht genau genug gestellt, um etwas anderes als eine plumpe Forderung sein zu können.) Anders: Wieso kommt mir keine Lyrik unter, die sich explizit damit beschäftigt? Appendix: Zu einer solchen würde ich bislang einzig folgende Zaghaftigkeit beitragen wollen: „gescreenshottet“.

Wie aber generiert man etwas, das Google nicht erfassen, verwerten, rauben kann?

Kreuzen könnte man beispielsweise Vanessa Place prima mit Glenn Greenwalds Snowden-Buch, Sprachanalysen der dort abgebildeten PowerPoint-Folien des NSA-Fundus’ schienen offensichtlichst ergiebig, weswegen ich in dem Buch ausführlich rumgeschmiert habe bei diesen Folien; könnte man scannen (mir fällt gerade einfach nichts Besseres ein), ggf. nochmal annotieren, ggf. mit Versatzstücken dieser Exzerpte krönen, et voilà: „Rekonfigurative Lyrik“.

Oh ah, kurze Wut auf den Literaturbetrieb und die ihn Betreibenden und Befütternden: In Wardrip-Fruins Text war die Sprache von Bots, und irgendwelche Konzeptkünstler setzen die ein seit wohl irgendwie sehr wenigen Jahren, aber Bots gibt’s doch schon ewig, und wieso greifen die Künstlerischen dann a) erst jetzt darauf zu und könnte man nicht versuchen, den Kapitalismus einzuholen und b) versuchen, sich aktueller technischer Neuerungen zu bedienen – aber möglicherweise sind da nur die wenigsten interessiert dran und versiert darin. Und menschliche (Interessens-)Entwicklung und Geld und Habitusaufbau und alles dauert ja auch immer. Hm.

Jedenfalls: Keinen Bock auf Hamsterrad, daher scheiß auf die aktuellsten Entwicklungen, auf der anderen Seite kann man trotzdem mal versuchen, zu erforschen, was gerade so Phase ist in einer (Tech-)Welt, die ja nun primär nicht die eigene Blase ist. Könnte nicht uninteressant sein.

Weiter: Unterschieden werden zwei künstlerische Typen von mit Daten Arbeitenden:
A) Die Konzeptuellen/Konzeptkünstler: Die kuratieren Worte eher, „Art of Moving Information“ wird reklamiert, gearbeitet wird mit Appropriation, Transformierung, sehen den Autoren als Maschine und seine Kunst als Objekt (nicht notwendigerweise zu lesen/ lesbar). B) Datenorientiert Schreibende („data-driven writers“): Die sehen Daten eher als bewegliche Information, haben eine andere Ebenenverschiebung als die Konzeptuellen drin, nämlich „once the code is in place, the stream writes itself“. Scheinbar hegen die Konzeptionierer eher eine Art modernistischen Anspruch, etwas Neues erschaffen zu wollen, das zudem auch als Produkt konsumiert werden kann. Insgesamt bleibt jedoch selbstverständlich festzuhalten, dass diese beiden Typen mehr miteinander gemein haben als viele andere Leute, die auch noch schreiben auf der Welt.

(Wieso interessiert hier eigentlich kaum wen Beckett? Und wieso geht’s eigentlich immer nur um Lyrik? Und muss ich die Situationisten lesen? Ich hätte Lust auf ihre Techniken, nicht jedoch auf den pseudotheoretischen Kladderadatsch, der mindestens drei Viertel einer Seite einzunehmen scheint, sobald ich einen Text von ihnen aufschlage. Mutmaßlich liebe ich Guy Debord, aber Beatniks langweilen mich, weil darin Drogenerfahrungen zum künstlerischen Prozess gehören. (So, wie ein Schriftsteller seit vielen Jahrzehnten raucht und Rotwein trinkt. Schnarch.))

Nachtrag: !Mediengruppe Bitnik.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Steve Jurvetson - [1], CC BY 2.0