Wir machen Spurendichtung hier. Hinter der Maske, die den Atem schützt, das Atmen durch die Nase und den Mund, Wir sind mundfaul, faul und matt, den Bildern gegenüber, die uns wegpacken hier und was Herbes herspeicheln, einen schwarzen Nachtmus, den wir nicht mehr lesen können. Lauter Mischwörter, die das Auge nicht kennt, die sich auf der Zunge reiben und nicht zusammenfinden. Sie gehen durch den Mund hindurch, ohne Gesang, gemischt, also vielfarbig und warm, eher schlapp als aufrecht, wunschlos auch, ohne jeden Zierat, daneben. Sie machen uns Sprache, innen und außen klettet sie sich an, Knicklaute stopfen alles aus. Dann schwillt es, pelzig und rau.
Aber wie webt sich etwas in den Mundraum? Wie wächst die Stimme zu Stein und schmilzt dann beiseite gesprochen wieder dahin? Abgedunkelt von Zähnen, vorgehaltener Hand und gepressten Lippen. In dieser Höhle richten wir uns ein. Gerichtet auf die Fäule, die uns wärmt, glatt und feucht. Manchmal faucht es hinaus, die rasselnde Klage, der rotzige Seufzer, und es faucht hinein, die intubierte Kälte, ein Dampf. Dann mahlt sich was zusammen, schwärzt die Zunge, ruckt und keucht und leckt das rund und klein.
Was da im Mundraum zusammenkocht, löst alles Gewebe auf. Jetzt gibt es Mischungen, Amalgame. morschen Schmauch. So lange gerieben, bis sich Furchen durch das Fauchen ziehen. Geriffelte und genarbte Laute bleiben übrig. Ausgespuckt, platziert vielleicht auf diesem Papier, der dicken, schwarzen Suppe, die sich aus dem Mundraum flüchtet.
In Schweden wird seit den 90iger Jahren ein Phänomen beobachtet, für das sich der Begriff Resignation Syndrome etabliert hat. Es betrifft vor allem Kinder aus Flüchtlingsfamilien, über deren Asylantrag noch entschieden werden muss. Diese Kinder verstummen, ihre Bewegungen verlangsamen sich, sie verweigern das Essen. Sie sind nicht mehr ansprechbar, liegen reglos auf dem Rücken, die Augenlider flattern, der Puls wird flach. Man muss sie künstlich ernähren und regelmäßig ihre Gliedmaßen bewegen. Die Starre hält an, bis sich die Situation der Familie verändert. Wenn die Hoffnung zurückkehrt, gibt es nach einigen Wochen Anzeichen für ein Erwachen. Die Kinder regen sich, ihr Blick schärft sich, sie heben den Kopf. Irgendwann beginnen sie auch wieder zu sprechen.
Im Iran können tanzende Frauen verhaftet werden. Seit einigen Monaten tanzen Pflegerinnen, Krankenschwestern und Ärztinnen in den Quarantäne-Abteilungen iranischer Kliniken, dort, wo niemand sich mehr hintraut. Laute Musik schallt in den kurzen Pausen zwischen den Eingriffen und beim Schichtwechsel durch die Aufenthaltsräume und OP-Säle, wo Frauen in medizinischer Schutzkleidung und Atemschutzmasken mit ausgebreiteten Armen umeinander tanzen.
In Freiburg steht der Nachbar auf der Terrasse, die Hände um eine Teetasse gelegt, und schaut nachdenklich in die feuchten Büsche seines Reihenhausgartens, als blicke er in die Weite eines Parks.
Ich verschleuderte meine Zukunft in einem Moment; meinen Ruf, meinen Ruhm, alles warf ich hinab. Und mein Schiff, einem großen Tropfen vergleichbar, floß am Himmel herab, ohne hinunterzutropfen.
Ror Wolf
Tanztropfen, die Weite der Teetasse: das sind Ahnungsfransen. Die Kuppe, von der ich schaue, ragt bis zu meinem Stuhl. Trotzdem bin ich außer mir, reichlich und restlos, wo Schraffuren toben. Das dürre Gras, längs der Waden, entspricht nicht den Erinnerungen. Eines Tages werde ich mich so sehen, die Glieder, die Kerben und Faltungen, die zitternden, flachen Gruben. Während jeder Schritt auf eine Entscheidung wartet. Dann geht es weiter. Wir halten nicht inne. Nichts ist gespreizt oder gebogen. Gebeugt vielleicht, wegen der Steigung, und langsam.
Aber nicht zurück, dann eher seitlings und ich quetsche mich hindurch. Mit geschlossenen Augen. Ich stelle mir die Dunkelheit vor. Ihren Boden und die Wölbung, ihr glattes Gegenteil. Dafür wenig gerüstet, schwach eigentlich. Alles Übrige geht. Es wird reichen. Und die Schritte reiben sich am Weg, längs einer Achse, die jeden Moment bricht. Um nicht zu fallen, lasse ich mich zurückwerfen. Schließlich sind wir aufgebrochen. Ich lecke an den Steinen. Und lese laut. Und wehre mich.
Gegen das Symbol der Berührung auf der Haut, gegen das Haut-Ich, das sich wohl oder unwohl fühlt in sich, das etwas in der Haut hat, das sich verfällt, sich seiner selbst entledigt oder in sich hinein schlüpft, sich ein neues Haut-Ich zulegt, es drückt und kneift und tastet und dann horcht, was es zu sagen hat. Immer in der Sehnsucht nach einer gemeinsamen Haut, um die Grenzfläche der eigenen zu durchdringen, in jeder noch so flüchtigen Berührung. Eine Hülle der Erregung und des Leidens.
Ein Schimmern im Tau
rieselt ins Ohr
mit Knicklauten
Mischwörter machen uns Sprache
mit geschlossenen Augen
wenig gerüstet
ich lese laut
und wehre mich
Sich häuten will jeder. Nackt und frisch vier neue Schritte tun. Doch als ich es versuche und vorsichtig zupfe – dort wo Haut gesprungen ist, dort wo die Risse sind, wo ich schälen könnte – löst sich nichts. Die Nähte sind wohl zu fest verklebt.
Sich häuten will jeder. Nackt und frisch vier neue Schritte tun. Doch als ich es versuche und vorsichtig zupfe – dort wo Haut gesprungen ist, dort wo die Risse sind, wo ich schälen könnte – löst sich nichts. Die Nähte sind wohl zu fest verklebt.
Aber da ist nur das gleiche alte Leder, das ich schon so oft gewaschen habe.