Rote Flora Hamburg

Es seien Stasi-Methoden – Ein Recherchegespräch

A: Ich war noch nie in Hamburg. Ich bin geografisch weit entfernt aufgewachsen. Das ist eigentlich nicht erwähnenswert. Vielleicht aber doch, wenn das ein Mitgrund ist, weswegen ich so wenig Ahnung von den politischen Geschehnisse hatte, die dort passierten und passieren und extrem relevant sind, obwohl ich versuche mich über Politisches zu informieren. Ich bin vor kurzem auf einen Artikel gestoßen, erschienen in der Süddeutschen Zeitung vom 13.06.2017, der „Liebst du mich?“ heißt und von drei Polizistinnen erzählt, die einige Jahre verdeckt im Hamburger Antifa-Milieu ermittelt hätten. Ich hatte noch nie von ihnen gehört, obwohl die erste Enttarnung erst 2014 geschah. Die Fälle sind hinsichtlich einiger Punkte teilweise bis heute nicht geklärt.

B: Wir haben uns dann gemeinsam mit den Fällen beschäftigt. Wir wollen versuchen zusammenzutragen, was wir in intensiver Recherche herausfinden konnten.

A: Aber alles ist sehr undurchsichtig.

B: Es geht um Intransparenz, Betrug, Unwahrheiten, Vertrauensbruch und Moralfragen. Das legt eine gewisse Undurchsichtigkeit natürlich schon an. Es geht um unseren Rechtsstaat, um Vertrauenswürdigkeit und Skepsis. Um Verlässlichkeit und Vorsicht.

A: Wir haben keine Geheimdokumente vorliegen, wir haben das einfach zugängliche Internet zur Verfügung. Was wir hier besprechen, ist nichts Neues. Eine Zusammenstellung. Dadurch vielleicht etwas Neues. Eine Auseinandersetzung. Ein Versuch.

B: Ich habe eine veröffentlichte Handynummer von einer der damaligen Ermittlerinnen gefunden und wollte sie nicht wählen. Auch wenn der Anschluss natürlich schon längst neu vergeben sein muss, hatte ich Angst, in irgendeinem Überwachungssystem gespeichert zu sein, sobald ich diese Nummer anwähle.

A: Als ich einen Artikel über den verdeckten Ermittler Simon B. an der Uni Heidelberg las, ging mir durch den Kopf, ob es hier wohl auch verdeckte Ermittler°innen gebe.

B: Norbert Schätzle, Polizeisprecher in Mannheim, sagt, verdeckte Ermittlungen seien Ausnahmefälle: „Studenten müssen keine Bedenken haben.“

A: Die linke Szene natürlich schon und ihr ist das klar.

B: Im Dezember 2009 griffen Linksextremist°innen die Polizeiwache 16 in Hamburg an, warfen Steine und zündeten Polizeifahrzeuge an. Es gab einen Bekennerbrief. Darin ist von einer „Revolte gegen Repressionsorgane“ die Rede, von Solidarisierungsvorhaben mit den Protesten gegen die Polizei in Athen, und im Fall einer Räumung der Roten Flora werde „ein munteres internationales Völkchen aus allen Ecken Europas für eine fulminante unvergessliche Erfahrung sorgen“.

Was davor geschah: 2000 wurde ein Bus der Lufthansa in Brand gesetzt, das Wohnhaus des Lufthansa-Chefs mit Farbbeuteln beworfen. Der Protest bezog sich auf die Abschiebungen von Geflüchteten. Die Polizei vermutete die Autonomen Linken hinter den Anschlägen, als deren Zentrum die Rote Flora galt. Das Informationsmagazin der Flora, die „Zeck“, dient als Plattform für teils militante Aktivist°innen, die dort über teils gewalttätige Aktionen berichten.

A: Die Berliner Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid warnte nach dem Anschlag 2009 „vor einer Verharmlosung linksextremer Gewalt. Es sei problematisch, dass diese Aktionen häufig entschuldigt würden, weil sie angeblich „einer guten Sache dienen“.“

B: 2009 wurden noch keine der drei Ermittlerinnen in der Roten Flora enttarnt. Iris P. war zu der Zeit nicht mehr verdeckt ermittelnd. Astrid O. war aktiv und Maria B. begann in diesem Jahr ihre verdeckte Ermittlungsarbeit.

A: Iris P. ermittelte von 2001 bis 2006 verdeckt in der Roten Flora und in einem Radiosender, dem “Freien Sender Kombinat” (kurz FSK) mit queer-feministischen Inhalten. Sie war in dieser Zeit Beamtin für Lageaufklärung (BfL) des LKA Hamburg, zusätzlich Verdeckte Ermittlerin (VE) für den Generalbundesanwalt und später auch BfL für das LKA Schleswig-Holstein.

B: Zur Erklärung für das weitere Verständnis der Sachlage:

Verdeckte Ermittler_innen in konkreten Ermittlungsverfahren – mit oder ohne konkrete Zielperson –  werden durch ein Gericht zeitlich begrenzt eingesetzt. Sie dürfen/sollen personenbezogene Daten erheben, Wohnungen betreten und engere persönliche Beziehungen aufbauen. (STPO § 110) Allerdings haben sie einen konkreten Ermittlungsauftrag. Dieser kann nicht sein, grundsätzliche Informationen über Bewegung zu sammeln.

Präventivpolizeiliche verdeckte Ermittler_innen (VE) dürfen/sollen zur „Gefahrenabwehr“ die Szene insgesamt ausspähen. Sie werden auf Antrag der Polizei durch die Staatsanwaltschaft für jeweils ein Jahr eingesetzt. Dieser Zeitraum kann von der Staatsanwaltschaft mehrfach um ein Jahr verlängert werden. Sie dürfen personenbezogene Daten erheben und grundsätzlich keine Wohnungen betreten, außer im Einzelfall zur Verhinderung einer Enttarnung. (POL DVG § 12)

Bis vor kurzem gab es auch noch Beamte für Lageaufklärung (BfL). Ihre Aufgabe war es, allgemeine „Lageerkenntnisse“ zu sammeln z. B. über in der Szene geplante Großevents, Demos, Aktionen, etc. BfL dürfen keine personenbezogenen Daten erheben und grundsätzlich keine Wohnungen betreten, außer im Einzelfall zur Verhinderung einer Enttarnung.”

B: 2014 wurde Iris P. durch einen Zufall von Personen der Roten Flora enttarnt. Was genau ist danach passiert?

A: Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, denn das FSK sah eine klare Rechtswidrigkeit in Iris P.s polizeilichem Handeln. Sie führte intime Beziehungen mit anderen Personen aus dem queer-feministischen Umfeld, überschritt ihre Befugnisse als BfL, indem sie Privaträume betrat und personenbezogene Daten erhob. Durch ihre intensive Mitarbeit im FSK wurde die Rundfunk- und Pressefreiheit verletzt. Die linke Szene, Personen um die Rote Flora und das FSK veröffentlichten Artikel und Recherchen zu Iris P`s Arbeit und verlangten eine Aufklärung der undurchsichtigen Polizeiarbeit. Die Aufklärung verlief schleppend. Ständig stand Aussage gegen Aussage, die Polizei und der Senat revidierten ihre Aussagen, es wurden nach und nach neue Informationen gegeben und vieles zurückgehalten.

B: Zuerst wurde von Seiten der Innenbehörde behauptet: Iris P. habe lediglich zur Aufrechterhaltung ihrer Legende der Iris Schneider als BfL im FSK gearbeitet, zurückhaltend und nicht selbst gestaltend.

A: Was das Radio sagt:

“Iris hat die Sendungsthemen mitbestimmt und sich an der Diskussion und Vorbereitung von Interviews und Beiträgen beteiligt. Sie war dabei, als wir mit GedenkstättenleiterInnen, StadtentwicklerInnen, AktivistInnen, HistorikerInnen, AnwältInnen, ÄrztInnen und vielen anderen im durch die Pressefreiheit geschützten, vertraulichen Rahmen sprachen.”

B: Diese ersten Aussagen wurden bei Innenausschusssitzungen getroffen. Der Senat wollte nichts von den Aktivitäten gewusst haben.

A: Bei einer weiteren Innenausschusssitzung im Juni 2015 wurde dann von Senat und Polizei ausgesagt, dass die Tätigkeiten doch deutlich tiefgehender waren als einmal behauptet. Iris P.s neue Aussagen schlossen das rechtswidrige Betreten von Privatwohnungen ein und die Produktion von Radiosendungen, womit die Anklage von Seiten des Senders wegen Verletzung von Rundfunk- und Pressefreiheit bestätigt sein sollte. Iris P. sagte außerdem aus, dass alle Tätigkeiten unter ständiger Rücksprache mit den Vorgesetzten passiert wären. Das bedeutete, dass die zuständigen Polizeidienststellen von den Rechtswidrigkeiten in Kenntnis gesetzt waren. Verwaltungsermittlungen durch den Innensenator wurden angeordnet.

B: Ende März 2016 dann stufte die Hamburger Polizei gegenüber dem Verwaltungsgericht Hamburg den Einsatz als rechtmäßig ein und sah keine Verletzung der Pressefreiheit.

Im Juli 2016 erklärte sie dann:

„Nach nochmaliger Überprüfung und Bewertung der Rechtslage ist einzuräumen, dass die verdeckte Mitarbeit der Beamtin unter der Legende ‘Iris Schneider’ in den Jahren 2003 bis 2006 und das in diesem Zusammenhang erfolgte Betreten von Räumlichkeiten im Schulterblatt 23c, 20357 Hamburg [damalige Adresse des FSK], rechtswidrig waren.“

A: Musste es für die Ermittlungen beim FSK keinen konkreten Grund geben?

B: Das war so nicht unbedingt klar, weil Iris P. in verschiedenen Positionen gleichzeitig ermittelte. Allerdings war sie für das LKA nur BfL und verstieß deswegen gegen Vorgaben. Sie fertigte Berichte in ihrer Funktion als BfL für das LKA an, nach rechtlichen Grundlagen hätten diese Berichte keine personenbezogenen Daten enthalten dürfen. Die Dokumente enthielten allerdings Klarnamen und konkrete Berichte, die eindeutig Personen zugeordnet werden konnten. Und gegen die Presse- und Rundfunkfreiheit verstieß sie durch ihre aktive Arbeit sowieso.

A: Was wollte Iris dort? Welche Informationen wollte sie bekommen? Wieso war die queer-feministische Szene so interessant für die Polizei?

B: Die behauptete ja zuerst, Iris wäre dort nur zur Aufrechterhaltung ihrer Legende tätig gewesen. Die Menschen vom FSK waren natürlich auch verwundert. Auf re[h]v[v]o[l]lte, einer Redaktion des FSK, für die Iris P. gearbeitet hat, schreiben die Redakteurinnen:

“Heute kommt natürlich die Frage auf, was die Polizistin in all den queer-feministischen Zusammenhängen zu suchen hatte, in denen ihre Legende sich aufhielt. Ihre Eingebundenheit in die lesbisch-queere Szene während dieser Jahre kann nicht losgelöst von ihrem Auftrag betrachtet werden – und ebenso wenig als Freizeitausgleich für ihre Ermittlerinnentätigkeit. Warum wurde in den Jahren 2001 und 2006 eine homosexuell lebende Beamtin eingesetzt? War es schlicht Zufall oder spielte ihre sexuelle Identität eine Rolle für ihren Ermittlungsauftrag? Und was war für LKA und/oder BKA von Interesse an unseren Diskussionen, Strukturen und politischen Aktionsformen? Während es fester Bestandteil einer linksradikalen Sozialisation ist, jederzeit mit Ausspähung durch die Polizei zu rechnen, erschienen uns Spitzel in der breiteren feministischen und queeren Szene damals eher abwegig. Die Enttarnung von Iris P. bedeutet insofern, sich nun damit auseinandersetzen zu müssen, was das staatliche Interesse an feministischen und queeren Diskussionen und Aktionsformen war und ist, und welche Effekte der verdeckte Polizeieinsatz in und für die Szene hat.”

Bild mit freundlicher Genehmigung von Leonie Lerch | Pfeil und Bogen