Das Hinfällige kennt keinen Aufschub mehr. Nicht mal etwas Instabiles, Modellhaftes ist da mehr, das in dieser Hologrammatik entworfen würde. Statt dessen gibt es nur noch den Entzug, einen Strudel in endloser Krümmung, in dem die Iche schwanken und die Masken bersten. Erst steht es da und dann fällt es nur noch. In einem Labyrinth aus lauter Fallgruben kommt es nicht voran. Ich setze mich meiner selbst voraus, weil dieses Selbst nichts als Voraussetzung ist, die Annahme, es könnte so und so weiter gehen, eine Voraussetzung allerdings, die nicht verifiziert werden kann und will. Ich kann das nur aushalten, indem ich nichts weiß und alles erinnere und umgekehrt.
Indem ich Nähe zulasse und probiere, die Nähe der Verdichtungen. Das Gleiten und das Schreiben hören nicht auf. Es geht überaus beunruhigt durch die Sätze und die Wörter. Alles, was nah genug kommt, und sei es noch so schlimm. Ein paar Sekunden Fernsehen etwa, die Kriege und die Aerosole. Dann verbünden sich die Buchstaben, das Labyrinth bewegt sich und hört so schnell nicht wieder auf, weil jedes Zeichen und jedes Wort hier mit jedem anderen verbunden ist und sie mehr versprechen, als man fassen kann. Wer zufasst, greift ins Nichts. Die Nähe ist ein unzuverlässiges Versprechen, das man sich immer wieder neu gibt.
Ich setzte mich auf das anthrazitfarbene Sofa und atmete langsam durch die Nase ein und aus. Meine Bauchdecke und auch die Oberschenkel fühlten sich merkwürdig gespannt an, als stünden ein Niesanfall oder ein plötzlicher Sprint unmittelbar bevor, ich stellte die Beine nebeneinander auf den Boden, legte beide Hände in den Schoss und achtete darauf, dass sich meine Finger nicht verkrampften.
Der Atem brachte mir zuwenig Sauerstoff, jedenfalls ging mir die Luft aus, und ich riss den Mund auf, um mehr Luft in mich hineinzulassen. So saß ich eine Weile, kerzengerade, mit aufgerissenem Mund, bis mein Blick sich wieder schärfte und ich mich selbst in den großen Fenstern erkannte, eine kleine, lautlos schreiende Frau, und gleich schloss ich den Mund, lächelte über das kleine Schnappgeräusch, als die Lippen aufeinandertrafen, und bekam nun auch wieder Luft.
Wir sind immer ganz nahe dran, haben eine Ahnung, die aber nur von der nächsten Ahnung abgelöst wird, und wir sind die Sünder der Sprachlosigkeit, wenn wir die Spur der Schrift sichern und wenn wir sie verwischen wollen. Dieses Wir, die ganzen Iche, die aufeinander und voneinander weg reden und schreiben, und die begreifen, was sie nicht begreifen wollen. Wir machen weiter, werden endlich ein Ding unter vielen.
Am Ende muss eine Überraschung stehen.
Überrasche mich!
Ich will Träume vernichten,
vernichte mich,
auf Träume verzichten,
verzichte auf mich,
lauter narzisstische Hoffnungen abwickeln.
Wickle mich ab.
Und dann horchen auf das, was übrig bleibt.
Horch auf mich.
Das sind Hoffnungen auf ein gutes Ende, auf die Wahrheit, auf eine Bedeutung. Das ist die Wut des Verstehens, die ich durchstreiche. Ich bereite mich also vor. Diese Vorbereitung ist eine Theorie im Werden. Es braucht nicht mehr als diese Vorbereitung. Sie allein ist, was wichtig ist. Was wichtig ist und uns spielen lässt, kommt nicht aus dem, was wir erwarten, sondern von der Seite her, aus dem Schatten, von der Peripherie. Was erst beiläufig war, wird zur Hauptsache. Die Erwartung, ein gewisser, pragmatischer Optimismus, Risikobereitschaft, ein genauer Blick auf das Fremde und Andere, eine Art Obdachlosigkeit. Das stete Neuschreiben und das Übersetzen, das immer wieder Neuübersetzen, das Ändern und Verschieben, das Überarbeiten.
Jede Übersetzung ist in erster Linie das Ergebnis eines Gestaltungsprozesses von Sprache als Material, der nicht aus der Beschäftigung mit einem Gegenstand erwächst, sondern aus der Beschäftigung mit der Spannung zwischen zwei Arten der Behandlung eines Gegenstands. Das ist ein Prozess, in dem das »Was« hinter dem »Wie« zurücktritt. Dieses »Wie« ist hier der Gegenstand. Das »Was« ist nur insofern interessant, als es Schichten des »Wie« offenlegt, die weiter und tiefer reichen, als die meisten Leser vermuten.
Esther Kinsky, Fremd Sprechen
Die Methode, dauerhaft mit Unsicherheiten umgehen zu können, den notwendigen Umbruch als Dauerzustand zu akzeptieren.
Die Notwendigkeit, etwas zu haben, das nicht dazu gehört, um über die Wirklichkeit etwas aussagen zu können und über das, was die Wirklichkeit von uns will. Material oder Gegenstand oder Dokument oder Welt. Das ist, was es ist und zugleich nicht. Was sich vorstellt, mit einem Bein im Nichts zu stehen, in der Welt und in der Wirklichkeit. Die das, was nicht ganz zu ihr gehört, in sich einschließen kann, und das als Freiraum versteht, eine dauernde Frage an alle, die mitsprechen, an alles, das auch anwesend ist. An all das, was in hier hineinragt, als Störung und Fremdkörper. Doch sind diese Störungen kein Außen.
Nicht schreiben
Was hier ragt, hervor und hinein, kann das nur in dem Maße, als wir, wenn wir schreiben, da hinein stören. Die Erschütterung ist immer wechselseitig. Die Theorie unter Theorien lebt von dem Horizont, den sie erzählt, von der Erwartung, die sie schürt, der Realisation des Konzepts, das sie formuliert, gleichwohl zu diesem Konzept gehört, seine Realisation immer wieder aufzuschieben. Dieser Aufschub der Theorie ist ihre Performanz. Und die Performanz realisiert gleichermaßen ihre Theorie, verstanden als Set verschiedener Praktiken.
Nichts sammeln werde ich und nichts suchen, nicht die Oberflächen, nicht die Kälte, auch nicht die Borsten, die Rippen, die Seide. Horchen werde ich nicht und auch nicht kratzen. Vor allem werde ich nicht bleiben. Schließen werde ich vielleicht, wahrscheinlich aber nicht. Denn das werde ich nicht sein, dieses Ich, immer noch nicht und nimmermehr. Selbst wenn ich Teil von etwas sein könnte, findet sich kein Knoten, in dem ich nicht auf Widerstand stieße.
Wo das ist, werde ich nicht wissen, nicht, worauf ich mich beziehen könnte, was der Grund wäre, den ich finden müsste. Aber ich werde ja nichts finden, nichts und nicht mehr schaffen. Nicht im Schatten werde ich bleiben, unbehelligt werde ich nicht sein. Nichts von dem Licht, das übrig bleibt, könnte ich dann abtragen. Denn ich werde nichts auseinander treiben und nichts hörbar machen, nichts, was schön wäre, was da an der Wand bleiben wollte.
Nichts werde ich sagen, was noch niemand gesagt hat, nichts, was wahr sein könnte, nichts, was mehr wäre als ein Satz, der mich ängstigt und verpflichtet, weil er unmöglich ist und zufällig. Ich werde nicht misstrauisch sein und nichts zeigen, den Raum nicht ermessen, nichts verstehen oder auseinandersetzen, gar verteidigen. Zuhören werde ich nicht, nicht zustimmen und keine Fehler machen.
Nicht die Stadien sind es, nicht die Geisterspiele und auch nicht die Identität, nicht wie ihr, nicht wie wir. Wir verwechseln uns auch nicht mit unseren Figuren, nicht mit Handschuhen und Chirurgen. Wir vermessen nicht die Schönheit, nicht das Brot und nicht die Bühne. Wir halten nicht. Nicht laut und nicht entäußert oder entrüstet und nicht, weil es schwerfällt. Nicht jetzt und auch nicht als nächstes. Nicht per Streetview, nicht im Garten, nicht die Kindheit. Die Erlebnisse kommen nicht näher und konkurrieren nicht um unsere Aufmerksamkeit. Wir schütteln nicht mit unseren Fingern. Wir zeigen nicht und Nichts. Es sind nicht die Symptome, nicht die Simulationen. Nicht der Schluck, den du trinkst. Nicht der Ort und nicht die Luft im Zimmer, nicht die Fenster, nicht, was wir sagen. Nicht die Quadrate. Nicht ein einziges Video, nicht die Kritik und nicht die Praxis, schon gar nicht etwas Verinnerlichtes, nicht die Assoziation und nicht die Assoziationen als Kette. Nicht die Reflexion, nicht die Technik der Überschreitung. Es ist nicht das Ziel und nicht die Frage, mit der wir gekommen sind, nicht die Rolle und nicht das Urteil. Nicht die Grenzen sind es und es ist auch nicht die Vielfalt, nicht die Strategie der Anerkennung, nicht ein anderes Schreiben. Es ist nicht das Bekenntnis, nicht ein Geständnis oder die Korrespondenz, nicht das Vergnügen oder die Beichte. Das ist es nicht. Es ist nicht, dass sich etwas hebt, nicht etwas Fragwürdiges, es sind nicht die Begegnungen, die flüchtigen. Es hallt nicht nach und es ist nicht ein Strich, es ist nicht zum Entspannen und Träumen. Es ist nicht, was du beäugst oder fürchtest oder bewunderst, nicht, was du schlägst und schneidest. Es verschwindet nicht, erzählt nicht und zeigt nicht. Es ist nicht die Freundschaft und nicht die Solidarität, nicht das Alleinsein, schon gar nicht ein Albtraum. Es ist nicht Salz oder Zucker, nicht das Leben, das schwer fällt. Es findet nicht zu sich und hält nicht. Es ist nicht das Land der Sehnsucht. Es fühlt sich nicht fremd. Es verrät nicht, was wir fürchten. Es ist nicht geheim oder ausufernd. Es ist nicht, was wir uns miteinander oder gegeneinander antun, nicht angespannt, begeisternd oder ausufernd. Nicht entrückt ist es oder vielleicht unangenehm, nicht besprochen, zerpflückt, nicht alles auf einmal. Es ist nicht gestohlen, nicht unbesorgt und verleumdet. Es ist auch nicht langsam und voller Sehnsucht, es lügt nicht und taucht auch nicht ein. Es dichtet nicht. Es stört auch nicht oder zählt und schreit und heult. Nichts davon, denn es stimmt nicht, das Wort nicht oder Worte und die Wörter auch nicht. Denn es hallt nicht nach, wird nicht vergessen. Es bleibt nicht. Es ermächtigt uns nicht. Nicht uns selbst und auch sonst niemanden, nicht die Sammlerinnen und Delfine, die Restaurants, die Ignoranz oder Wikipedia. Es ist nicht das, was nicht rau ist. Nicht die Haut, nicht das Material. Es ist nicht wie jeder Idiot, nicht marternd oder erlöst. Es geht nicht weiter. Nicht, dass es Fragen stellt oder irgendwie klingt. Es füllt nicht die Seiten und entwickelt nicht und treibt nichts voran. Es ist nicht ein Land, nicht eine Farbe oder Reise. Es knirscht nicht, quietscht und reibt und und tanzt und fährt und fliegt auch nicht. Es kommt nicht.