Wir bringen eine seltsame Textgattung hervor, die es nie in die Anthologien und Literaturzeitschriften schafft: die Schreibübung. Ob man eine Erzählperspektive ausprobiert, mit Textmontagen experimentiert oder Tagesprotokolle anfertigt, immer wieder entstehen dabei Sätze, Gedichte und Geschichten, die gelesen werden sollten und zu Unrecht für immer in unzugänglichen Festplattenverzeichnissen verschwinden.
Thematisch sind diese Texte breit gestreut. Häufig sieht man ihnen an, dass sie aus der Gegenwart der Schreibenden hervorgehen. Sie verarbeiten Tagesnachrichten, erzählen Alltagsdinge und ähneln dadurch Gebrauchstexten wie Tagebucheinträgen, Emails, Kurznachrichten, Einkaufslisten oder Statusupdates. Dabei zeigen sie in kurzen Flashs aus anderen Welten wie sich dort das Leben anfühlt. Und sind deshalb wie gemacht für ungeduldige Leser, denen der Text eine sprachliche, philosophische oder psychologische Neuigkeit sofort liefern soll.
Das wäre auch schon die zweite Eigenschaft dieser Texte: Sie sind kurz und scheuen das Möbelrücken und Tischdecken, mit dem Kurzgeschichten und Romane ihre Handlung rahmen. Sie erläutern nichts, bleiben auf Lücken angewiesen und überlassen vieles ihren LeserInnen. In einem Absatz oder auf einer Seite ist meist alles passiert.
In diesen kleinen Formen sind alle Formen angelegt. Sie sind keine Romane, suggerieren aber deren Möglichkeit. Sie entwerfen Figurencharakterisierungen, setzen zu Theatermonologen an und skizzieren Plots, die ihre LeserInnen weiterführen müssten. Darin gleichen sie Fragmenten, Notaten oder Hybridgebilden wie dem Prosagedicht und dem lyrischen Essay, die sich so wenig wie sie festlegen lassen. Sie machen den Vorraum zum literarischen Salon. Als Entstehungsherde von Etwas zeigen sie, wie schön das Potentielle sein kann.