„Für meine Kinder“ – „Für meine Eltern“ – „Für meinen Mann“ – „Für Mädchen“.
Letztere Widmung findet man auf der ersten Seite des Romans „Tigermilch“ von Stefanie de Velasco. Die Autorin wurde 1978 in Oberhausen geboren und studierte Europäische Ethnologie und Politikwissenschaften. 2013 veröffentlichte sie ihren Debütroman „Tigermilch“ bei Kiepenheuer und Witsch. Darin erzählt sie von zwei 14-jährigen Mädchen aus einem sozialen Randgebiet Berlins, die sich intensiv mit ihrer Sexualität auseinandersetzen.
Da das Buch in Rezensionen als „Mädchenroman“1 betitelt wird, lag es für uns nah, dieses Werk als praktischen Ausgangspunkt für die Untersuchung einer Theorie zu betrachten: Im Rahmen des Seminars zum Thema „Écriture féminine – die Frage nach einem weiblichen Schreiben“ suchen wir nach möglichen Erscheinungsformen von Weiblichkeit in der Sprache und fragen nach Formen feministischer Literatur.
Mit Stefanie de Velasco befragen wir eine zeitgenössische Schriftstellerin danach, was es bedeutet, jugendliche Mädchen zum Thema und Weiblichkeit zum literarischen Konzept eigenen Schreibens zu machen.
Das Interview wurde per E-Mail geführt und teilt sich in zwei Teile. Ersterer beschäftigt sich mit Stefanie de Velascos persönlichen schriftstellerischen Zielsetzungen und Vorgehensweisen, zweiterer eher mit Theorien zur Stilistik und Thematik des weiblichen Schreibens/der Écriture féminine im Allgemeinen. Écriture féminine – kalter Kaffee oder Tigermilch?
Nele Holdorff, Anna Lee Engel und Svenja Stühmeier (NAS): Ihr Roman „Tigermilch“ handelt von der recht rauen Jugend der Freundinnen Nini und Jameelah. Können Sie uns sagen, wieso Sie sich für Mädchen als Protagonistinnen entschieden haben?
Stefanie de Velasco (SdV): Ich wollte einen Roman schreiben, der Protagonistinnen in den Mittelpunkt stellt, die nicht aus der Mittelschicht stammen. Das hat einfach mit persönlichen Interessen zu tun und auch eine politische Komponente. Ich finde, es gibt viel zu wenige politische Mädchenromane.
NAS: Noch bevor wir von den Mädchen lesen, lesen wir „für Mädchen“ als Widmung vorne im Buch. Wie ist diese Widmung zu verstehen? Aus welcher Intention heraus haben Sie sie geschrieben?
SdV: Ich habe mir bei der Widmung nicht viel gedacht, außer, dass ich Widmungen immer albern finde. Es stand dann plötzlich da, ohne dass ich lange überlegt habe, und dann fand ich es gut, also habe ich es gelassen.
NAS: Nini und Jameelah spielen häufig mit Sprache. Wir denken an das „Wörterknacken“ (die Mädchen benutzen O-Sprache, in welcher „drehen“ zu „drohen“ wird) und den auffälligen Idiolekt, in dem zum Beispiel das Wort „wolke“ so viel wie „super“ bedeutet. Welche Bedeutung/Funktion hat dies für die Freundinnen? Soll es den Lesern/innen etwas Bestimmtes vermitteln?
SdV: Ich wollte eine eigene Jugendsprache schaffen, die künstlich ist, aber möglichst authentisch wirken sollte, einfach weil Jugendsprache ein so wichtiges Attribut ist in dem Alter und ich gerade in einem Roman ungern darauf verzichten wollte. Es repräsentiert auch die eigene Welt der beiden Mädchen, die sie durch ihre eigene Sprache abgrenzen.
NAS: Ihr Roman wird aus Ninis Perspektive erzählt. Haben Sie Ihren Schreibstil bewusst vor diesem Hintergrund entwickelt/gewählt oder hat sich dieser eigenständig während des Schreibprozesses gebildet?
SdV: Die Erzählstimme war von Anfang an da. Ich habe daran nicht rumgebastelt, sondern bin einfach dem Ton gefolgt, dem Rhythmus. Die Figuren, die Motive und der ganze Plot kamen erst später dazu. Am Anfang habe ich mich selbst gefragt, wer das ist, der das hier erzählt. Ich wusste auch nicht, dass es ein Roman werden würde.