Daniel Johnston
By Josh Head - daniel johnston, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1556855

Die Beute: drittes Stück

„Es bedarf großer Übung und Anstrengung, wenn man mit der Welt wie mit einem Mundraum umgehen will.“ (Detlef B. Linke)

Die Seite von Dichtung, die ich für mich immer in Schutz genommen habe, die der Artikulation, Akustik, des Stimmhaften, löst sich jetzt auf oder tritt zusammen mit der Bildergläubigkeit, die mir über die Jahre so abstoßend geworden ist. Man könnte der Naivität auch etwas zugute halten, die sich beständig in photographische Analogiebildungen kuschelt und damit das Projekt einer Spracharchäologie der Bildarchive wieder undurchsichtig macht; Spreizungen mit Numinosenschick.

Linke fragt aus neurologischer Sicht, weshalb der Mensch zur betonten Ausgestaltung kognitiver Leistungen gelangen konnte. Die Antwort liegt für ihn im Umgang des Menschen mit der Außenwelt. „Außenwelt heißt unerwartet sein.“ All unsere Motorik trifft in dieser Außenwelt dauernd auf sich ändernde Bedingungen. Nie ist etwas gleich. Was Auswirkungen auf sehr verschiedener körperliche Konstitutionen hat. Der Mundraum dagegen bietet seit eh und je ziemlich konstante Parameter für Muskelleistungen wie die der Zunge. Nur beim Essen, Trinken und Schlucken muss sie sich mit Dingen der Außenwelt arrangieren. “Eine derartige Situation erlaubt es, im Rahmen des Sprechens Merkzeichen für die motorischen Leistungen aufzubauen, die unter verschiedenen Rückkopplungsbedingungen keine Variation eingehen müssen.“ Hier setzt die Automation ein, die Sprache ermöglicht. Um sprechen zu können, muss nicht immer die neuronale Feedback-Schleife benutzt werden. Schont die Ressourcen, schafft Freiräume für Erweiterungen, für neue Laute und Wörter, vor allem für ihre Kombination. Im Mundraum finden Neurologen einen Modellbaukasten vor, mit dem sie dann auch andere kognitive Leistungen des Menschen beurteilen können. Das Hirnareal, das für die Artikulation zuständig ist, lässt sich also leicht stabilisieren. Schreiben und Lesen ahmen das nach.

Das Kriterium heißt Wiederholungsfähigkeit. Aus dieser Sicht könnte es interessant sein, Vokal- und Konsonantenstrukturen von Texten zu untersuchen: da bei Vokalen deutlich weniger Selbstberührungen im sensorisch hoch sensiblen Mundraum stattfinden, haben sie auch erst später den Weg in die Verschriftlichung gefunden als die Konsonanten. Sie werden auch in verschiedenen Hirnhemisphären verarbeitet. „Es bedarf großer Übung und Anstrengung, wenn man mit der Welt wie mit einem Mundraum umgehen will.“ Weiter heißt es bei Linke: „Ein Solipsismus – es sei denn, er fiele mit der Welt in eins – könnte schnell in die Beißfunktion des Oralraumes zurückfallen.“ Die ‘natürliche‘ Aufgabe des Menschen wäre also, für sich Stabilität in der Sprache zu suchen. Doch mit der Überdehnung des Mundraums auf die Welt (ich spreche, also bedeute ich; bzw.: ich bin das Projektil) – ist Dichtung nicht auf Seelengesundheit aus. Die mögliche Rückkopplungsfreiheit des Sprechens soll verwirklicht werden: eine Geste der Unterwerfung.

I felt a Funeral, in my Brain,

And Mourners to and fro

Kept treading–treading–till it seemed

That Sense was breaking through—

 

And when they all were seated,

A Service, like a Drum—

Kept beating–beating–till I thought

My Mind was going numb—

 

And then I heard them lift a Box

And creak across my Soul

With those same Boots of Lead, again,

Then Space–began to toll,

 

As all the Heavens were a Bell,

And Being, but an Ear,

And I, and Silence, some strange Race

Wrecked, solitary, here—

 

And then a Plank in Reason, broke,

And I dropped down, and down—

And hit a World, at every plunge,

And Finished knowing–then—

Ich barg ein Begräbnis, in meinem Hirn

Und Klagen hin und an

Gingen fort und fort – bis es schien

Dass Gefühl bricht sich Bahn

 

Und als sich wieder alles legte

Ein Anspiel, trommellaut

Geschlagen und geschlagen – bis ich dachte

Mein Verstand wird taub

 

Dann hört‘ ich sie einen Kasten heben

Und knarren quer durch meine Seele

mit den gleichen Bleistiefeln, und wieder

fing dann an der Raum zu läuten,

 

Als wär’ der ganze Himmel eine Glocke,

Weniger Sein als ein Ohr,

Und ich und die Stille, ein fremdes Geschlecht

Zerstört, einsam, hier –

 

Und dann brach der Rahmen der Vernunft

Und ich fiel und fiel

Und stieß auf eine Welt, in höchster Not

Und wusste nichts mehr – dann –

Man kann Dickinsons Texte vor und zurück lesen. Sie funktionieren wie eine Art Repetiergewehr. Konnte sie schießen? Das ist es nicht, was ich meinte. Es ist der umgedrehte Trauermarsch. Es gibt von Daniel Johnston ein Lied, „Funeral Home.“ Und die Schramms haben das auch besungen. Mr. Schramm ist ohnehin ein Dickinsonleser. Und die Fehler. Ein Raum läutet nicht. Kann er gellen? Dröhnen vielleicht. Das ist der Raum im Kopf. Ein Hohlkopf, durch den der Trauermarsch zieht, bis die Plank in Reason bricht, die auch nicht unbedingt der Rahmen der Vernunft ist, das heißt, sie ist es natürlich, aber sie ist davor und daneben auch noch etwas anderes, auf dem sie steht, etwas wackelig vielleicht, ein Sprungbrett möglicherweise, auf Maß geschnitten, der Sarg als Sprungbrett. Und erst als es bricht, kommt der Sturz der Vernunft. Am Boden angelangt, kann sie wieder anfangen, dann. Und nichts mehr wissen wollen. Was heißt wollen. Einfach nichts mehr wissen. Oder aufhören, etwas wissen zu wollen. Sich nicht mehr erinnern. Aufhören, vom Wissen etwas zu erwarten, das über den Tag, über das augenblickliche Dann noch hinausführt. Dann war da noch ein anderer Satz: Don’t it always seem to go, you don’t know what you’ve got till it’s gone. Aus Joni Mitchells Taxi. Wenn es zu gehen scheint, weißt du nicht, was du hast, bis es vorbei ist. Wenn was zu gehen scheint? Irgendwas. Immer wenn es scheinbar geht, wirst du nicht wissen, was dabei herauskommt, bis du am Ende angekommen bist. Ist das der Krug, der bricht? Es scheint nur zu gehen, weil es noch nicht vorbei ist. Und bis dahin glaubt man ja nur, was in den Händen zu haben. Ohne je zu wissen, was das sein könnte.

Ob ich das verstehe? Wir haben Erinnerungen und reden von Tatsachen. Soweit so gut und traurig. Aber warum soll die Sterblichkeit Begriff gewordene Unvernunft sein? Was wäre die Alternative? Doch kaum die Vernunft ewigen Lebens, oder? Oder die unbegriffliche Unvernunft? Die können wir uns natürlich folgenloser und besser vorstellen. Nichts anderes als eben das ist es ja (der Handlungstraum, der Gruftsprung, das Lungenbett, der Kehlenstuhl und Wundraum, die Schädelnasenfriktion). Doch die Unwelt wird nicht groß geschrieben. Nicht das Nicht-Ich ist es, das Emily plagt, eher das, was Jean Paul Richter sein Wicht-Ich nannte, das Resonanzen macht in der Erdkugelgruft, die die Welt ist als Himmel unter mir (womit wir endlich auch Büchners Kopfgeher besser zu verstehen lernen).

In diesem doppelten Spiegel, konstitutiv intransparent, als portabler Regressionsschale, kommen alle Antworten ganz schnell. Was kugelsichere Geranien sind, was mit Hegels Hirn war (man konnte es nur, prä-elektrisch, hören). Und schön natürlich das Lesewiehern bis zum Ohrenweh bei der Tarantel Dylan Thomas. Lieder und Sätze darüber, verliebt zu sein, und die Liebe zu lieben, die die Liebe hasst und die Liebe liebt und die hassfreie Liebe, die sich um den lieblosen Hass wickelt und die eine hasslose Liebe ist und die Liebe liebt die Liebe und der Hass, der die Liebe hasst, liebt den Hass, was mit der Mutter zu tun hat, die mit im Spiel ist, weil die Liebe die Mutter ist, und ohne die Mutter zu sein und den Hass zu lieben, das ist als wenn man hasst, die Mutter zu lieben, die ganze Zeit, wenn man den Hass hasst und die Liebe den Hass und Liebe ein liebloser Hass ist und immer so weiter geht.

Wenn ein Maulwurf sich langsam am Bein hoch schleicht und sich endlos ausdehnt und sicherlich 69 Nonnen gleichzeitig in 69 verschiedenen Sprachen auf einen einsprechen. Das entwickelt sich sozusagen aus sich selbst heraus. Aus einem beinlosen Hund wird ein Sturm auf des Vaters Stirn, ein Licht aus dem Himmel, das zu einem spricht, als sei man eine kleine Puppe, die sagt, dass sie sich noch bestimmt entwickeln wird. Und dann regnet es. Die Unschärfe, das ist die Zwischenzeit. Die Dauer jedes Satzes. Bis er bricht. Metaphern ohne Syntax darf es eigentlich nicht geben. Würde ich jedenfalls untersagen. Für die Praxis. Das Spiel, das Fersenblut, das Fernsehblut, der Koch, der sich vergeht (wohin sonst): all das kommt ohne Syntax nicht aus. Metaphern sind wie Netze (Kraken vielleicht), die sich selbst fangen, das aber natürlich nie zu Ende führen wollen und sich stattdessen lieber erweitern, fortknüpfen, sich in andere, weitere, neue Metaphern verwandeln, die man auch Texte nennen kann.

Bild mit freundlicher Genehmigung von By Josh Head - daniel johnston, CC BY-SA 2.0