Bill Gates badete nie im See Genezareth

Vincent Henssler
@Vincent Henssler

Durch das grau melierte Auge einer staatlichen Überwachungskamera sehen wir einen großen Platz (einer großen Stadt) in Süddeutschland. Es ist 15 Uhr 28.

Aus der Totalen (göttlich) überblicken wir die Menschenansammlung, die sich vor knapp zwei Stunden hier zusammengefunden hat. Einhundertsechzig Kleingruppen, verschwommene Objekte – etwas verzerrt dargestellt –, die sich im Fortlauf des dokumentierten Nachmittags immer seltener an den vorgeschriebenen Abstand halten.

Aufgrund einer Unzufriedenheit mit diesem anonymen Überblick, geleitet durch einen treffsicheren Instinkt, fokussiert die Kamera erneut. Zoomt nun auf den Rand der Versammlung – und findet endlich ein pittoreskes Ziel: Drei Personen in geringer Entfernung begrüßen sich auf anachronistische (körperliche) Weise.

Objekt A und Objekt B und Objekt C bilden aus unserer Sicht ein fast perfekt anmutendes Dreieck. Wir können ihren Dialog überraschend gut hören.

Objekt C:  Die Sonne blendet heute nicht.

Objekt A:  Mich macht es krank, dass alle fordern, ich solle gesund bleiben.

Objekt C:  Es ist trotzdem warm.

Objekt B:  Bleib gesund! Der Imperativ eines neuen Unrechtsstaates.

Objekt C:  Ich bin gesund.

Objekt A:  Nie war es schlimmer als eine Grippe.

Objekt C:  Die Krankenhäuser sind leer.

Objekt B:  Nie war die Unmündigkeit so sichtbar wie jetzt.

Objekt C:  Aber ich habe Angst.

Objekt B:  Man muss sich wehren, dann verschwindet die Angst.

Objekt C:  Wir erleben einen Wendepunkt. Wie ’68, Vietnam, die Unruhen. Die Menschen begannen, das System zu hinterfragen. Demonstrationen überall.

Objekt B:  Auf den Straßen hörte man die Wahrheit immer als erstes.

Objekt A:  Das Brandenburger Tor im Licht der Fackeln.

Objekt B:  Aber wer braucht heute Straßen?

Objekt C:  Das Vermögen eines Jeff Bezos stieg in den letzten zwei Monaten um 30 Prozent. Ich sehe die Richtung und wundere mich nicht, dass ich nur eine Antwort kenne.

Objekt A:  Die herrschenden Ideen einer Zeit sind immer die Ideen der herrschenden Klasse.

Objekt C:  Montaigne sagte, Zweifel seien ein gutes Kissen für einen ausgeglichenen Kopf.

Objekt A:  Wie recht er hatte, die Alten wussten alles besser.

Objekt B:  Wenn die Arbeitslosigkeit steigt.

Objekt C:  Dieses Virus bedeutet auch den Anfang der Entmenschlichung unserer Welt.

Objekt B:  Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, bekommen die Bürger einen klaren Blick.

Objekt A:  Erst wird der Deutsche durch den Ausländer ersetzt, dann wird der Ausländer durch den Roboter ersetzt und dann der Roboter durch…

Objekt C:  Der alte weiße Mann? Die Neue Ordnung.

Objekt A:  Ich sah vor wenigen Tagen eine Lichterkette am Abendhimmel. Satelliten wurden tausendfach in das All geschossen. Sie wanderten langsam über den Planeten.

Objekt B:  Man muss sich nur wehren, dann verschwindet die Angst.

Objekt C:  Ich sehe leere Innenstädte, ich sehe leere Bürokomplexe, ich sehe Kinder, die in Kellern an riesige Maschinen angeschlossen sind.

Objekt A:  Sie wanderten langsam über die Erde. Ich sah sie nur für Minuten, dann verschwanden sie aus meinem Blickfeld.

Objekt C:  Apple, Nestlé, Disney vergiften uns.

Objekt B:  Nur der ist zur Kritik berechtigt, der eine Aufgabe besser lösen kann, sagte vor vielen Jahrzehnten Du-weißt-schon-wer.

Objekt C:  Google, Rothschild, Pixar, Tesla.

Objekt B:  Toter Feldherr, geh ein in Walhall!

Objekt A:  Eine Lichterkette am Abendhimmel.

Objekt B:  Und wer kann eine Aufgabe besser lösen, als die einzigen Menschen, die wissen, wie die Aufgabenstellung lautet?

Objekt C:  Globale Konzerne vergiften den Brunnen.

Objekt B:  Eine Revolution muss stattfinden, aber die Herde ist zu satt und müde. Sie hat das Denken ausgeschaltet und den Gehorsam eingeschaltet.

Objekt A:  Das Wort Revolution verwenden sie nur noch als Branding für Elektroautos.

Objekt B:  Werden abgespeist mit Hollywood, aber jetzt lacht niemand mehr.

Objekt A:  Laufen auf dünnem Eis.

Objekt B:  Wir leben in einem Land, das seine Kultur verleugnet. Wie lange werden wir noch echtes Jägerschnitzel in deutschen Restaurants bestellen können?

Objekt C:  Das gemütliche alte Wirtshaus zerstört der Farbfilm mehr als es Bomben je vermochten, sagte einmal ein englischer General der Luftwaffe, glaube ich.

Objekt A:  Wir erleben den größten Eingriff einer deutschen Regierung in die Freiheit ihrer Bürger.

Objekt B:  Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, kommt die Wahrheit langsam ans Licht.

Objekt A:  Sarajevo, Dallas, Hanau. Wir erleben einen Wendepunkt.

Objekt B:  Die Alternative für Deutschland sind Bunker in abgelegener Wildnis, fernab jeglicher Kontrolle. Der Abzug aus den verseuchten Städten, die Rückeroberung der deutschen Wälder.

Objekt A:  So schön und so hässlich sah ich nie einen Tag.

Objekt C:  Die Titanic der westlichen Welt bekam einen Riss im Bug als Trump gewählt wurde. Sie liegt schon etwas schief.

Objekt B:  Der Zeppelin steht in Flammen.

Objekt A:  Deutschland erwache!

Objekt B:  Man muss sich nur wehren, dann verschwindet die Angst.

Objekt C:  Wenn die Arbeitslosigkeit steigt.

Objekt A:  Jeder Laptop ist der Widerstand. Jedes WLAN-Passwort ist der Schlüssel zum globalen Kampf!

Objekt B:  Früher hatte ich nie recht, jetzt hab ich’s in jedem Moment.

Objekt A:  Eine neue Counterculture.

Objekt C:  Start a revolution from your bed.

Objekt A:  Laugh track.

Objekt C:  Happiness is a warm gun.

Objekt B:  Wenn aus der Reaktion eine Aktion wird.

Objekt A:  Du schöne neue Welt!

Objekt B:  Brennender Reichstag!

Objekt C:  Mehr Inhalt, weniger Kunst!

Objekt A:  Oswald und James Earl Ray.

Objekt C:  Baader und Meinhof.

Objekt B:  NSA und NSU.

Objekt C:  Die Wahrheit wird alle Straßen durchfluten! (laut)

Objekt A:  Die Wahrheit wird über alles siegen! (laut)

Objekt B:  Wir werden… (laut)

Das brachiale Getöse eines in unmittelbarer Nähe haltenden Müllwagens – dessen Erscheinen hier als außerordentlich zufällige Erscheinung beschrieben werden muss – übertönt den Dialog der drei Gestalten vollständig. Jetzt sehen wir nur noch ihre stummen Körper: in abgehakten Gesten gestikulierend, hektisch aufeinander weisend. Unser mechanisches Auge bleibt starr auf ihnen, verharrt mit stoischer (regierender) Geduld.

Und plötzlich streckt Objekt B den rechten Arm in die Höhe, auf einen Punkt zeigend, der sich weit außerhalb des Kamerablickwinkels befinden muss. Auch Objekt A blickt in diese Richtung, hebt den Arm steif nach oben und deutet auf ein unsichtbares Ziel. Objekt C folgt ihrem Beispiel nur mit kurzer Verzögerung, reißt den Arm aber umso kräftiger in die Luft. Der Lärm des Müllwagens erreicht seine unausweichliche Klimax.

Und jetzt – höchstwahrscheinlich hervorgerufen durch die minimalste Bewegung einer Stratuswolke in kilometerweiter Entfernung – werden ihre Gesichter strahlend hell illuminiert. Drei unscharfe Objekte, die Köpfe in weißes Licht getaucht. Man kann ihr Zittern erahnen. Weißes Rauschen, das Bild bricht ab. Stille.

Deutschland im Frühling.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Vincent Henssler | Pfeil und Bogen