Wo ist die Schreibmaschine hin?
Es ist gerade einmal 80 Jahre her, dass der erste „moderne“ Computer ganze Hallen in Beschlag nahm. Die Z1, entwickelt von Konrad Zuse führte Berechnungen aus, die heute ein Smartphone lösen könnte. Seitdem wurden immer mehr Gegenstände mit Computern ausgestattet oder durch sie ersetzt. Ein Beispiel ist die Schreibmaschine, die vom digitalisierenden Gegenstück, der Tastatur, schließlich weitestgehend verdrängt wurde. Oder stellt die Tastatur doch eher die neuere und praktischere Version der Schreibmaschine dar – mit Computerchip ausgestattet, aber im Grunde immer noch Schreibmaschine? Ob ersetzt oder transformiert: In dieser Entwicklung wird sich immer zum Ziel gesetzt, Prozesse für die Computernutzenden zu vereinfachen und den Zeitaufwand für Aufgaben zu verkleinern. Die Digitalisierung zieht auch eine Veränderung der Gewohnheiten und der Handwerke mit sich, welche diese Dinge verwenden. Das wirft Fragen auf: Wie wird das Schreiben von literarischen Texten, das auch Züge eines Handwerkes aufweisen kann, durch die voranschreitende Digitalisierung verändert?
Schreiben bald nur noch Maschinen?
Zwar können mittlerweile journalistische Texte aus statistischen Daten generiert werden, doch hinter dieser Textgenerierung steht durch die Programmierung ein Mensch. Der Mensch trifft beim Programmieren grundlegende Entscheidungen, die sich auf den später generierten Text auswirken. Dadurch schreibt er an diesem Text mit. Von nur noch schreibenden Maschinen kann also nicht die Rede sein.
Programmierentscheidungen werden zu selbst aufgestellten Regeln, die fortan für die Verwendung des Programms gelten und die damit geschriebenen Texte beeinflussen. Diese Regeln erscheinen als Einschränkungen, da sie das große Potential vieler Ideen, auf eine einzige festlegen. Aber bereits wenn wir von Menschen geschriebene Texte lesen, bewegen wir uns im vorgegebenen Rahmen der Geschichten Anderer. Wenn wir Programme nutzen, zum Beispiel indem wir die von ihnen geschriebenen Texte lesen, bewegen wir uns im vorgegebenen Rahmen der Konzepte Anderer.
Wer nun die Algorithmen gestalten kann, hat mehr Freiraum darin, die Einschränkungen vorzunehmen. Der Rahmen kann damit selbst vorgegeben werden. Wir unterliegen zwar immer noch gewissen Zwängen, aber wenigstens den eigenen. Deshalb ist die Fähigkeit zu programmieren oder Algorithmen zu entwickeln, auch für Autorinnen und Autoren sinnvoll, da sie so die Möglichkeit erhalten, sich von den fremdbestimmten formalen Zwängen zu lösen – auch vom Zwang der maschinellen Ersetzung.
Formale Zwänge haben einen schlechten Ruf, wohl weil der Begriff des Zwangs negativ konnotiert ist. Aber formale Zwänge sind im Prozess des literarischen Schaffens nichts Neues. Spätestens mit Oulipo, der Werkstatt für potentielle Literatur, hat sich 1960 eine Gruppe von Literatinnen und Literaten gefunden, die den formalen Zwang zur obersten Maxime erhob. Formalia wurden in ein Spiel mit der Sprache überführt, der Zwang in eine Möglichkeit kreativ zu sein. Der spielerische Charakter und die Tatsache, dass formale Zwänge nahe an der Mathematik, Informatik und Algorithmik liegen, wirft Zweifel auf, ob Menschen mit schreiberischem Interesse sich durch Computer davon abhalten lassen. Die häufige Angst der den Menschen verdrängenden Maschine ignoriert nicht nur, dass auch Programme geschrieben werden müssen, sondern auch die menschliche Motivation zu schreiben.