Plakativ war gestern. Vorbei sind die Zeiten, in denen Literatur Kinder beim Namen genannt hat. Inzwischen sind alle Namen hunderte von Malen vergeben worden. Jetzt kommt Fuchsteufelsstill daher, und mit ihm eine Ich-Erzählerin, die allein auf Grund ihrer Eckdaten schon Gefahr läuft, für sich zu sprechen: Juli ist Asperger-Autistin, hat einen gescheiterten Selbstmordversuch hinter sich und ist 27 Jahr alt. Ja, auch das noch. Wir begleiten sie, wie könnte es anders sein, auf ihrem Weg in und durch die Psychiatrie. Dort trifft sie exemplarische Figuren mit exemplarischen Krankheitsbildern.
Da hätten wir die manisch-depressive Sophie, den schizophrenen Philipp, Mia „aus der Galaxie Anorexie” – Alles Gängige ist dabei! Soweit, so gut, denken wir, um auch ja nichts Falsches zu denken, und wappnen uns schon mal mit einem friedlichen Lächeln für eine dieser Geschichten, deren Botschaft uns nach einer Reihe im Grunde austauschbarer Eskapaden, inklusive Anecken und Anfeindungen rund ums Anderssein, mit dem Zaunpfahl erschlägt: Krankheiten machen keine Menschen.
Aber spätestens nach der ersten Hälfte des Romans wird klar, dass Fuchsteufelsstill alles andere ausdrücken möchte als das Altbekannte. Während Juli mit Philipp und Mia an ihrer ungewohnten Seite aus der Psychiatrie aus –und Richtung Norden aufbricht, ahnen wir, dass der Roman den Schritt in die entgegengesetzte Richtung wagt. Doch, sagt er nämlich entschieden. Krankheiten machen Menschen. Weil jeder Mensch krank ist. Irgendwie.
Fuchsteufelsstill zeigt Charaktere, die sich nicht nach Akzeptanz sehnen. Weder von Anderen, noch von sich selbst. Und das ist ungemein erfrischend. Es geht hier nicht um eine Reise zur Erkenntnis, noch nicht einmal um Flucht. Es geht um einen Ausbruch, präsentiert in einer Sprache, die nicht aus alten Mustern ausbrechen kann.
In Julis Welt gibt es nicht nur „dreiundzwanzig Fahrräder“ und „sieben Vorgärten“, wenn sie morgens die Wohnung verlässt, es geht ihr nicht nur „zu zweiundfünfzig Sekunden schlecht“. Da warten auch Bilder, abstrakt wie gemalt, hinter jeder Straßenecke. Scham wabert wie ein gelber Klumpen, Gedanken werden zu einer Pfütze, in der sie mit den Füßen stochert, und ihre immer wiederkehrende Angst meldet sich mit den Klauen eines Tieres. Die ganze Welt stellt sich ihr, und damit auch uns, dar wie ein immer wieder neu geformtes Spektrum, das sich mal vollständig, mal gar nicht sinnlich erfassen lässt, dabei manchmal keinen Sinn ergibt und das vielleicht auch gar nicht muss.
Gut möglich, dass es während der Lektüre misslingt, irgendwas zu greifen, aber genau das ist das Besondere an diesem Buch. Wir erfahren eine realitätsferne Realität ohne Zugang, aber dafür beschrieben mit den buntesten Farben und explosivsten Eindrücken, mit Bildern von einem gefluteten Berlin, dem Fußweg zur Sonne und fremden Galaxien.